Kein gutes Haar an Hartz IV

An Weihnachten vor zehn Jahren wurde das umstrittene Reformgesetz
auf den Weg gebracht
Würzburg/Nürnberg (epd). Mit Glacéhandschuhen werden sie nicht gerade angepackt,
die „Kunden“ der Jobcenter. Viele fühlen sich schlecht behandelt und in ihrer Problematik weder wahr- noch ernstgenommen. „Das liegt auch daran, dass die Zahl der Bedarfs-gemeinschaften pro Sachbearbeiter enorm hoch ist“, sagt Cathrin Holland von der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit (KASA) des Diakonischen Werks in Würzburg.
Die Sozialpädagogin kümmert sich vor allem um Alleinerziehende im Hartz-IV-Bezug.
75 Prozent aller Alleinerziehenden, die sich an die KASA wenden, sind auf Grund-sicherung für Arbeitssuchende angewiesen.
Bei Gesprächen mit den Sachbearbeitern fühlen sie sich oft vor den Kopf gestoßen. Zum Beispiel, weil Vereinbarungen plötzlich hinfällig werden. Auch das liegt Holland zufolge an der hohen Fluktuation in den Centern: „Dadurch werden die Fälle immer wieder neu aufgerollt.“ Die Frauen bekämen bald das Gefühl, tatsächlich nur noch ein „Fall“ zu sein. Das frustriert sie und raubt ihnen Kraft.
Als müssten Alleinerziehende nicht ohnehin schon an vielen Fronten fechten. Ohne Unter-stützung durch einen Partner kümmern sie sich um ihre Kinder. Sie arbeiten oft in Teilzeit unter prekären Bedingungen. Nicht selten haben sie laut Holland mit Verschuldung zu kämpfen. Und sie sind oft krank: „Viele leiden unter psychischen Störungen wie Depression oder Burnout, manche auch unter ernährungsbedingten Mangelerscheinungen.“
Schuldzuweisungen gerade an diese Personengruppe sind für Holland völlig deplatziert.
Die Frauen würden nichts lieber, als selbst ihren Lebensunterhalt verdienen.Dass sie das zum Teil wegen gesundheitlicher Probleme nicht können, gehe mit auf das Konto von Hartz IV. Denn die Frauen sparten, mit Blick auf ihre Kinder, oft an sich selbst: „Das reicht von der Ernährung bis zur Gesundheitsvorsorge.“
Dass die Regelsätze „an der Lebensrealität vorbeigehen“, findet auch Daniel Wagner,
Sprecher des Diakonischen Werkes in Bayern. Diese Tatsache wiederum hat inzwischen massive Auswirkungen auf die Wohlfahrtsverbände: „Die Zahl der Nothilfeanträge nimmt zu.“ Dass Lokalzeitungen vor allem an Weihnachten dazu aufrufen, Geld für arme Menschen zu geben, und auch die Freie Wohlfahrt zunehmend für diese Klientel sammele, führe zu einer „schleichenden Zweckentfremdung von Katharinenkirche freiwilligen Spenden“.
Dass 2010 mit einem Federstrich die Rentenversicherungsbeiträge ab Januar 2011 auf Null gesetzt wurden, werde unweigerlich die Armut im Alter vergrößern, warnt die Diakonie. „Ein weiteres Problem, vor allem für Familien mit Jugendlichen unter 25 Jahren, ist die verschärfte Sanktionspraxis“, sagt Wagner. Erfahrungsgemäß gebe es in dieser Altersgruppe immer wieder disziplinarische Probleme, die sich verheerend auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft auswirken. „Kürzungen der Hilfen für Jugendliche um 100 Prozent sind nicht selten“, erläutert er.
Dass sich Jugendliche verweigern, habe dabei weniger mit Faulheit als mit altersgemäß
typischen Entwicklungsphänomen zu tun, was ignoriert werde. Insgesamt ist der Umgang mit Langzeitarbeitslosen für die Diakonie ein „Skandal“. Nach den Berechnungen des Wohlfahrtsverbands sparte der Staat bei der letzten Hartz IV-Reform über 20 Milliarden Euro: „Durch Kürzung bei Wiedereingliederungshilfen, dem Regelsatz und der Abschaffung der Rentenzahlungen.“
Dass das Gefühl permanenter Abwertung und „totaler Ausgliederung“ durch die niedrigen Regelsatz vielen Arbeitslosen im Hartz-IV-Bezug arg zu schaffen macht, das weiß auch Hans Guttner. Der 54-jährige Kirchenvorstand aus Lauingen an der Donau kennt das Hartz-IV-System aus eigener Betroffenheit. 2006 gründete er im evangelischen Gemeindezentrum seiner Heimatstadt eine Arbeitsloseninitiative unter dem Dach des Diakonievereins.
Was er in seinen Sprechstunden zu hören bekommt, bestätigt seine eigenen Erfahrungen.
„Menschen, die ohnehin viele Schwierigkeiten zu bewältigen haben, werden so arrogant und respektlos behandelt, dass einem die Galle hochkommt“, empört er sich. Manchen werde „der letzte Lebensmut genommen“.
Dass Arbeitslose dem lieben Gott nicht den Tag stehlen wollen, ist den Sachbearbeitern
in den Jobcentern laut Klaus Schulenburg vom Bayerischen Landkreistag klar. Sie würden auch gern mehr helfen. Doch die Hände seien ihnen gebunden. „Arbeitsgelegen-heiten fielen weg, Instrumente zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt werden immer mehr verkompliziert“, kritisiert der Referent für Soziales. Das Geld sei zu knapp, die zur Verfügung gestellten Mittel könnten nicht mehr flexibel genug eingesetzt werden. Schulenburg: „Vom Grundsatz ‚Fördern und Fordern‘ ist aus Sicht vieler Verwaltungs-praktiker nur noch das ‚und‘ übrig geblieben.“
(00/4135/16.12.2013)

Pat Christ
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