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Informationsstelle der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina
(Christina Kaiser, Pristina)

Monatsbericht August 2000

1 - Einleitung: Aktualisierung von Strom- und Wasserversorgung und Abfallbeseitigung
2 - Gesundheitsversorgung
3 - Wohnraumsituation und soziale Versorgung
4 - Wirtschaftiche Lage

Monatsbericht Juli 2000

Die Sicherheitslage im Kosovo im Sommer 2000

Monatsbericht Juni 2000

1 - Die Situation alleinstehender Frauen/Mütter und Jugendlicher im Kosovo
2 - Die aktuelle Wohnraumsituation



Die Fußnoten des Originals  (PDF-file   http://www.cvizk.de/berichte/berichtaug2000.pdf  )
sind in dieser Internet-Fassung nicht wiedergegeben !

Monatsbericht August 2000

1 - Einleitung: Aktualisierung von Strom- und Wasserversorgung und Abfallbeseitigung
2 - Gesundheitsversorgung
3 - Wohnraumsituation und soziale Versorgung
4 - Wirtschaftiche Lage

 
1 - Einleitung: Aktualisierung von Strom - und Wasserversorgung und Abfallbeseitigung

Die offiziellen Aussagen zur Stromversorgung im Kosovo am Ende des Sommers 2000 und für den kommenden Winter lauten folgerndermaßen: Von den beiden Stromwerken in der Nähe von Pristina funktioniert im Moment nur ein Block in einem der beiden Kraftwerke. Dies bedeutet, daß zusammen mit Importen aus Bulgarien nur zwei Drittel der benötigten Elektrizität zur Verfügung stehen. Das bedeutet, daß der Strom wird für 8 Stunden am Tag abgestellt wird. „...die Situation könnte ein wenig besser werden als letzten Winter.“  Laut Peter Schumann, des Co-Direktors für Öffentliche Dienste, sind sogar dies leere Versprechungen: „Es wird noch schlimmer als im letzten Winter.“
Im letzten Winter im Kosovo gingen die Temperaturen hinunter auf - 32 Grad Celsius. Strom gab es so gut wie keinen. Da der kommende Winter voraussichtlich nicht wärmer als der letzte wird und fast alle Heizungen über Elektrizität laufen, kann man sich vorstellen, was die Menschen hier erwartet, vor allem diejenigen, die in Temporary Community Sheltern (TCS)  leben. Eines davon besteht aus Zelten, die in einem ehemaligen Großkuhstall aufgestellt sind (siehe unten).

Auch bei der Wasserversorgung sieht es nicht besser aus. Zur Zeit darf Wasser nur für den Haushalt verwendet werden, also keine Autos gewaschen werden, Felder bewässert, usw.. Bei Übertretung dieser „Notregulierung“ droht eine Strafe von 50 DM .
Die Gründe sind einmal der Wassermangel im allgemeinen, vor allem in der Pristinaregion, und zum anderen die 20 Jahre alten Pumpen des Kosovo. Zwei davon sind in Deutschland zur Reparatur, während die letzte droht, an Altersschwäche zu versagen, bevor die reparierten Wasserpumpen zurück sind.
Es gibt einen Bewässerungskanal, der Kühlwasser für die Stromwerke und Trinkwasser für die Pristinaregion bereitstellt. Leider liegt dieser Kanal jedoch offen und wird während des Winters zufrieren.

Ein bedenkliches Resultat des ständigen Stromausfalles sind Nahrungsmittelvergiftungen. Fleisch, Fisch und andere verderbliche Produkte gefrieren, tauen auf, gefrieren wieder. Mitte August erkrankten 42 Menschen an Krankheitserregern in wiedereingefrorenem Eis . Die Generatoren der meisten Restaurantbesitzer sind nicht stark genug, um Kühlschränke mit Strom zu versorgen.
 

Die Abfallbeseitigung liegt nie sehr weit oben auf der Prioritätenliste der Geldgeber solange der Abfall keine Gesundheitsbedrohung darstellt. Der ganze Kosovo ist eine einzige große Müllkippe, wogegen auch die paar Dutzend alte Müllwagen von Cap Anamur nichts ausrichten können. Tausende von weggeworfenen Coladosen säumen die Straßen und Wiesen und werden hin und wieder angezündet. Die dadurch entstehenden Dämpfe tragen zur ohnehin kaum zu atmenden Luft der Provinz bei. Es gibt nicht genug Arbeiter für die Entleerung der metallenen Müllcontainer, die vereinzelt herumstehen, was verwunderlich erscheint bei einer so hohen Arbeitslosenquote. Der Grund dafür ist die Zahlungsunfähigkeit von UNMIK für Angestellte im öffentlichen Dienst. Die Konsequenz sind hohe Abfallberge neben den Müllcontainern und deren Zerstörung durch Inbrandsetzung.

Laut Dr. Hannu Vuori von der Weltgesundheitsorganisation (WHO)  stellen die unzähligen Ratten im Sommer kein Problem dar: „Sie fressen sich jetzt erst mal zufrieden durch die Müllberge. Gefährlich werden sie im Winter, wenn sie Wärme in den Häusern suchen werden.“
 
 

2 - Gesundheitsversorgung

Dr. Reinhard Jung-Hecker, der Programmkoordinator bei WHO, ist entsetzt über die deutsche Abschiebungspolitik: „Man kann keinen Kranken mit gutem Gewissen in dieses Chaos zurückschicken. Das Gesundheitssystem funktioniert einfach noch nicht. Es gibt keine Zusicherung für Gesundheitsdienste, Medikamente, Notbehandlung, usw. Wenn etwas schiefgeht, gibt es keine Verantwortlichkeit“  Er nennt ein Beispiel: Eine Frau wurde nach einem schweren Autounfall in die Notaufnahme eingeliefert. Als Dr. Jung-Hecker später nach ihr sah, hatte niemand ihr Fieber oder den Blutdruck gemessen, es wurde keine Blutprobe entnommen. Am Wochenende wird ohnehin keinerlei Pflege erteilt. Es besteht eine Laxheit und schlichte Unkenntnis unter dem Pflegepersonal, die jede Garantie auf Pflege zunichte machen.

Es gibt noch immer keinerlei Richtlinien bei der Ausstattung der Krankenhäuser und Ambulantas. In Mitrovica haben 250.000 Albaner keinen Zugang zur Krankenbehandlung außer der des marokkanischen Militärkrankenhauses. Doch zu diesem haben die Menschen kein Vertrauen; es gibt nicht einmal Dolmetscher und albanische Frauen würden sich niemals von den männlichen Militärärzten behandeln lassen.

Die Kindersterblichkeitsrate ist noch immer die höchste in Europa. Die Kinder werden geboren wie am Fließband. Mehrere Frauen gebären in einem großen Operationssaal, die Hygieneumstände sind katastrophal. Dr. Jung-Hecker nennt die Prozedur „wie auf dem Schlachthof“.  Alleine in Pristina kommen täglich mehr als 50 Kinder auf die Welt. Epidemien unter Säuglingen sind häufig.
Zudem ist in der Säuglingsabteilung das Dach nicht dicht und es gibt nicht genügend Wasser.

Pro Jahr werden im Kosovo zwischen 35.000 und 40.000 Kinder geboren. Es gibt aber nur 125 Pädiater. Dies bedeutet einen Schnitt von 6.500 Geburten pro Arzt pro Jahr .
Impfprogramme gibt es selbst im Vergleich zur Dritten Welt zu wenig.

Viele Ärzte wandern in private Kliniken ab, wo sie weit mehr als das magere Gehalt von UNMIK bekommen. Das Problem dabei ist: Wer kümmert sich um die zahlenmäßig weit überlegenen Armen?

Judith Sedwick , die für die Hygieneverbesserung in den Krankenhäusern zuständig ist, bestätigt, daß die sanitären Anlagen genauso schlecht sind wie in einigen der Drittweltländer, in denen sie tätig war.
Die Toiletten funktionieren nicht richtig, sie lecken fortwährend. Patienten, die z.B. mit einem gebrochenen Bein ins Krankenhaus kamen, verlassen es oft mit einer Infektion.
Klinischer Abfall kann noch nicht adäquat beseitigt werden.

Das Hauptproblem ist immer noch eine Staphylokokkenepidemie unter Säuglingen, die, wenn überhaupt, erst mit Instandsetzung der sanitären Anlagen und entsprechender Ausbildung des Personals in den Griff zu bekommen sein wird.
Pränatale Pflege ist nicht existent, die Behandlungsmethoden sind hoffnungslos veraltet und auch die Übermedikation trägt erheblich zur Kindersterblichkeit bei.

Patienten werden zu lange stationär behandelt, die Küchen der Krankenhäuser sind in absolut desolatem Zustand. Angehörige von Patienten müssen noch immer Nahrungsmittel mitbringen. Es gibt zwar Mahlzeiten, aber das Essen ist auch für Problemfälle wie Diabetiker gleich. Es handelt sich in der Regel um Dosenessen ohne jeglichen Vitamingehalt, spezielle Diäten gibt es nicht.

Am 16. August besuchten wir das Krankenhaus in Pristina und sprachen mit Schwester Mustafa und Dr. Pushka. Sie beschwerten sich, daß seit Mai keine neuen Medikamente geliefert worden seien. Zum Beispiel gibt es die sogenannte „Zweiter-Typ-Diabetis“; das von den Betroffenen benötigte Insulin ist bis heute nicht einmal in privaten Apotheken zu finden.
Laut WHO   befindet sich eine Ladung von 74 essentiellen Medikamenten, genug für 6 Monate, in einem Warenhaus und „hat ihren Weg noch nicht in die Krankenhäuser gefunden“. Logistik und Transport sind im Kosovo nicht so selbstverständlich wie im Westen.
Laut der beiden Interviewten fehlt es selbst an solchen elementaren Dingen wie Matratzen, Bettüchern und Infusionen. Gespendet wurde schon lange nichts mehr. Infusionen fehlen ebenfalls.
Die Höhe der Gehälter des Krankenhauspersonals verteilt sich wie folgt:

Ärzte:    360 DM
Krankenschwestern: 240 DM
Professoren:   510 DM
Cleaners:   170 DM

Gerüchten zufolge haben schon Ärzte angefangen, Medikamente zu verkaufen, um ihr Gehalt aufzubessern.

Wir sahen uns die Innere Abteilung des Pristina Krankenhauses an. In winzigen Räumen sind entweder 4 oder 8 Betten untergebracht. Der Bodenbelag ist überall aufgerissen, der nackte Beton kommt zum Vorschein.
Die Toiletten und Badezimmer sind laut Judith Sedwick auf dem Stand von Dritte Welt Ländern. Uralte Stehtoiletten, für kranke Menschen schwer zu benutzen. Das einzige Bad auf dem ganzen Flur dient zur gleichen Zeit als Abstellkammer. Die Dusche besteht aus einem alten Duschkopf in einer Ecke. Die Bodenplatten fehlen zum größten Teil.  Eine Badewanne für Schwerkranke gibt es nicht.
Die Waschbecken des Pflegepersonals sind nur mit einem einzigen Handtuch ausgestattet, das mehrere Tage lang von Dutzenden von Leuten benutzt wird. Für die Sterilisierung von Geräten gibt es kein ausgebildetes Personal.

Laut Roy Dickinson, dem Direktor der UNMIK Abteilung für das Kostenprogramm des Wiederaufbaus steht weit weniger Geld für die Gesundheitsversorgung zur Verfügung als letztes Jahr, obwohl es jetzt darum geht, für die nächsten 10 Jahre aufzubauen und nicht mehr kurzfristig zu improvisieren.

Dr. Vuori, der Co-Direktor der UNMIK Gesundsheitsabteilung , erklärt, warum Krankenhauspersonal entlassen wurde. Das Budget für Gesundheitsversorgung verfügt über genug Mittel um 11.500 Angestellt bezahlen zu können. Es sind aber 13.500 Menschen beschäftigt.
Es gibt immer noch zu wenig Ärzte da, aber die Anzahl der Angestellten in der Verwaltung ist exorbitant. So gibt es z.B. 4 Telefonlinien, aber 26 Telefonistinnen. In einem Health House gibt es zwar keine Küche, aber 6 Köche.
Das größte Problem ist die regionale und sektorale Verteilung der Ärzte. Viel zu viele arbeiten in Pristina, während niemand aufs Land will. Außerdem gibt es noch immer nicht genug Anästhesisten und Psychiater.

Die Ausbildung der Ärzte ist noch immer ungenügend. Diejenigen, die im Ausland studiert haben oder eine Fremdsprache sprechen, sind meist besser ausgebildet. Diejenigen jedoch, die keiner anderen Sprache mächtig sind, bleibt der Zugang zu fast aller modernen medizinischen Fachliteratur versperrt, da nur sehr wenige dieser Bücher auf Albanisch übersetzt sind.

Ein sehr großes Problem besteht in der hohen Anzahl der Tuberkuloseerkrankungen, die zudem durch die ständige „Wanderung“ der Bevölkerung (z.B. Zweite Interne Vertreibung, siehe Bericht Juni) verbreitet wird. Zusätzlich ist es schwierig, diese Menschen auf längere Sicht zu behandeln.
Die Behandlungsmöglichkeiten sind inadäquat .

Da wir oft Fragen über Dialysebehandlungsmöglichkeiten erhalten, hierzu einige Informationen:

? Die Dialysegeräte sind in sehr schlechtem Zustand und müssen ersetzt werden.
? Labortests stehen nicht zur Verfügung.
? Oft müssen Patienten länger als 2 Monate auf Operationen warten
? Nierentransplantationen sind im Kosovo nicht möglich
 

Weitere fehlende oder defekte Apparate:

? Röntgenapparate sind veraltet und dadurch gefährlich. Ihre Strahlungen sind zu hoch.
? Es gibt keine Magnetresonanztomographien
 

Fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo:

? Krebs (soweit Radio- oder Chemotherapie nötig)
? jegliche Art von Herzoperationen, Herzschrittmacher eingeschlossen
? Augenchirurgie
? schwere und chronische Geistesgestörtheit
 

Des weiteren müssen folgende Tatsachen berücksichtigt werden:

? Es stehen nur gewöhnliche Medikamente zur Verfügung. Folglich werden Menschen, die an seltenen oder chronischen Krankheiten leiden, dafür benötigte Medikamente wenn überhaupt, nur in privaten Apotheken bekommen, wo sie teuer sind und die langfristige Versorgung nicht garantiert werden kann.

Dies betrifft unter anderem
? Fehlen des Wachstumshormons
? Hämophilie
? HIV/Aids

? Patienten, die regelmäßig Labortests benötigen (z.B. Transplantationspatienten, die immunosuppressive Medikamente benötigen), werden mit größter Wahrscheinlichkeit diese Labortests nicht bekommen können.

? Alle Krankenhäuser arbeiten, doch die Kapazität an Labors und Röntgenapparaten ist begrenzt.

? Alle Health Houses (kleiner als Krankenhäuser, in den größten Städten der Verwaltungsbezirke) arbeiten, aber ihre Diagnosekapazitäten sind begrenzt.

? Von 308 Ambulantas (kleine Krankenstationen in den Dörfern) sind nur 200 offen. Ihre Ausrüstung ist extrem limitiert. Vielen steht kein permanent arbeitender Arzt zur Verfügung.

Nach Ansicht von WHO würde eine große Anzahl von Rückkehrern das Gesundsheitssystem überlasten.

Es gibt keine Krankenversicherung im Kosovo. Behandlungen sowie Medikamente müssen von den Patienten selbst bezahlt werden. Allerdings sind die Behandlungskosten symbolisch gering.
 
 

3 - Wohnraumsituation und soziale Versorgung

a) Wohnraumsituation

Die Übergabe der Verantwortung für die nun 44 Temporary Community Shelter (TCS) von UNHCR auf UNMIK ist vollzogen.
Gordon Kindlon, der Verantwortliche für TCS bei UNMIK, bestätigte noch einmal, daß Nahrungsmittel und Hygienepackete nicht länger an die TCS verteilt werden; jedoch die Versorgung mit Feuerholz eventuell weitergeführt werden wird . Die Gründe sind a) Mangel an finanziellen Mitteln, b) die Ermutigung der Menschen zur Selbsthilfe.
Bis zum 15. November werden keine neuen Bewohner in den TCS aufgenommen werden, außer in ganz besonders kritischen Fällen.

Am 25. August sahen wir uns das TCS bei Gllogovac/Gllogovc an, das einzige, in dem noch Menschen aufgenommen werden. Es liegt eine halbe Stunde Fußmarsch von der Kleinstadt entfernt. Es besteht aus 6 Gebäuden, die ehemals Kuhställe waren, in denen nun Zelte aufgestellt sind.
Die Bewohner haben große Angst vor der Kälte des Winters, da die Gebäude sehr groß und hoch und dadurch schlecht zu heizen sind. Im Moment liefert die Mutter-Theresa-Gesellschaft noch Nahrungsmittel, allerdings keine frischen Produkte, wie Obst und Gemüse, worunter besonders die Kinder leiden.
Die Idee der Selbstversorgung ist sicherlich angebracht für Menschen, die in ihrem Ursprungsort leben und dort Familie und verwurzelt sind, aber nicht für die Bewohner der TCS .
Man muß wissen, daß man im Kosovo nicht einfach in ein anderes Dorf zieht. Dadurch finden die Rückkehrer, die in einem TCS außerhalb ihres ursprünglichen Heimatorts leben, keine Arbeit und können auch das Land, das ihnen nicht gehört, nicht bearbeiten. Ihre Möglichkeiten zur Selbstversorgung sind dadurch gleich null.

Rückkehrer müssen einen Kurzzeitvertrag über ihren Aufenthalt im TCS mit UNMIK abschließen und haben normalerweise nur das Recht, bis zum 1. April 2001 dort zu bleiben.

Im Moment gibt es 8.000 verfügbare Plätze, von denen 4.700 besetzt sind. Es wird erwartet, daß 1300 dieser Personen die TCS noch vor dem Winter verlassen werden.

Ehemalige TCS sind den Gemeinden zurückgegeben worden und sollten theoretisch bei Bedarf zur Verfügung stehen. Meist aber haben die Dorfbewohner sie schon anderweitig genutzt und sind nicht bereit, die Gebäude wieder zu räumen.

Es ist unmöglich, genaue Daten über den Wiederaufbau von privaten Wohnhäusern zu bekommen. Man schätzt, daß die für den Wiederaufbau geplanten 20% der zerstörten Häuser in diesem Jahr nicht ganz wiederaufgebaut werden können. Das EU-Programm hat in vielen Fällen den Wiederaufbau aufgrund fehlerhafter Begünstigtenlisten noch nicht einmal begonnen. Die Temperaturen sind jedoch schon jetzt auf 10 Grad Celsius tagsüber gefallen und viele Straßen sind durch heftige Regenfälle in unbefahrbare Schlammwege verwandelt worden.
 

b) Soziale Versorgung

Vorweg: Es gibt keinerlei Sozialversicherungssystem im Kosovo.

Die soziale Versorgung durch das Zentrum für Sozialfälle (Qendra per Raste Sociale)  wurde schon ausführlich im Monatsbericht Juni besprochen, so daß in diesem Bericht nur eine zahlenmäßige Aktualisierung erfolgt.

Ungefähr 25.000 Familien fallen in Kategorie 1. Zur Erinnerung: Zu dieser Kategorie zählen Familien ohne Einkommen, in denen niemand zum Arbeiten fähig ist.

Aufgrund der hohen Zahl der Kategorie 1 Fälle werden die Kriterien für Kategorie 2 (Familien ohne Einkommen jedoch grundsätzlich zumindest einem arbeitsfähigen Mitglied) noch verschärft. Außer den persönlichen Dokumenten, die für einen Antrag auf Sozialhilfe nötig sind, muß ein Empfehlungsschreiben von einem Gemeindeführer oder lokalem Verteilungspartner (z.B. MTS) vorgelegt werden.

Nahrungsmittelhilfe steht bis März 2001 der Kategorie 1 zu; ab dann gibt es nur noch Geldzuwendungen, die bei einem Maximum von 120 DM pro Familie liegen. Die meisten Familien bekommen jedoch weniger als diesen Höchstsatz.

Laut Brendan McDonald von UNMIK  stehen UNMIK für dieses Programm 6 Mill. DM pro Monat zur Verfügung. Insgesamt können nicht mehr als 50.000 Familien aus Kategorie 1 und 2 aufgenommen werden.

Grundsätzlich kommt nicht in das Programm wer

? mehr als einen halben Hektar Land besitzt
? ledig ist
? verheiratet ist und keine oder erwachsene Kinder hat
? Menschen, die in einem Institut (z.B. Altersheim, etc) leben
? religiöse Orden

Renten werden nicht mehr ausgezahlt, was sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern wird.
 
 

4 - Wirtschaftliche Situation

Die AGEF - Arbeit für Kosova, von der schon im Monatsbericht März berichtet wurde, hat seitdem kleine Fortschritte gemacht. Von ihnen derzeit bekannten 585 verfügbaren Arbeitsplätzen konnten sie 122 vermitteln. Dabei handelt es sich allerdings nur um Jobs, die eine qualifizierte Ausbildung verlangen.
Die AGEF ist eine deutsche gemeinnützige Gesellschaft mit Sitz in Berlin. Bewerbungen von Flüchtlingen mit Ausbildung werden normalerweise nur akzeptiert, wenn sie diese noch vor ihrer Rückkehr in den Kosovo bei der AGEF in Berlin einreichen. Dieses Prinzip ist allerdings in der Realität nicht durchführbar. So werden auch Bewerbungen direkt in Pristina angenommen.
Auf die 585 der AGEF bekannten Arbeitsplätze kommen rund 3000 Bewerber. Die meisten Arbeitgeber sind zur Zeit Baufirmen. Im Land werden derzeit fast nur Maschinenteile, Ziegel, usw. produziert.
Die einzige andere Produktionsbranche ist die Landwirtschaft, die allerdings nur für den landesinternen Verbrauch Produkte bieten kann. Für den Export reicht es nicht.

Die meisten gesuchten Arbeitskräfte sind laut Herrn Bedrj Xhafa, des lokalen Leiters der AGEF, Maschinenbauingenieure, Ärzte, Zahnärzte und Pflegepersonal im privaten Gesundheitswesen und - stark abnehmend - Übersetzer für die internationalen Organisationen.
Auf die Frage nach Fremdinvestitionen erklärt Herr Xhafa , daß ungefähr 6 deutsche Firmen - alles Baufirmen - im Kosovo tätig sind. Sie beschäftigen zusammen zwischen 400 und 500 Personen.

Das Projekt der AGEF ist, 600 Arbeitsplätze bis Ende des Jahres 2000 zu vermitteln. Dafür gibt die deutsche Regierung 2,5 Mill. DM. Herr Xhafa ist verbittert über die seiner Meinung nach geringe Summe. Mit mehr Geld könnte er mehr potentielle Arbeitgeber unterstützen und damit mehr Arbeitsplätze schaffen, sagt er. Er weiß nicht, ob das Projekt im nächsten Jahr weitergeführt werden soll.

Herr Knapp, der Beauftrage der Deutschen Wirtschaft für den südwestlichen Balkan des Deutschen Industrie und Handelstags , bestätigt, daß nur sehr grobe Schätzungen über die Arbeitslosigkeit im Kosovo gemacht werden können. Zum einen sind bei der von der OSZE organisierten Registrierung der Bevölkerung nur die Personen über 18 Jahre aufgenommen worden, zum anderen ist die gewaltige Schattenwirtschaft nicht zu überblicken.

Herrn Knapps Meinung nach kann die alte Wirtschaft kaum reaktiviert werden. Die Fabriken sind entweder völlig zerstört, von KFOR besetzt oder einfach zu desolat, daß eine Wiederinstandsetzung sich lohnen würde. Selbst in der ehemaligen DDR, in der der Zustand der Fabriken bei weitem nicht so  kritisch war, sei vieles noch immer im Argen. Die Probleme hier liegen - wie schon im Märzbericht erwähnt - vor allem an ungeklärten Eigentumsverhältnissen und praktischen Erwägungen. Es wäre teurer, die meisten dieser alten Fabriken zu sanieren, als neue zu errichten, wofür allerdings kein interessierter Geldgeber in Sicht sei.
Auch um die Trepca-Minen, um die in der letzten Zeit viel Wirbel gemacht wurde, und die laut Gerüchten bald wieder arbeiten sollen, steht es laut Herrn Knapp nicht viel besser. Die Miteigentümer aus Frankreich, Schweden und den USA werden deren Zustand erst mal genau prüfen, bevor sie sich eventuell in das Abenteuer kostenspieliger Sanierungen einlassen.

Kurz zur Erklärung: Die Trepca-Minen im serbisch dominierten Nordosten der Provinz stellten den größten Arbeitgeber des Kosovo dar. Seit einem Jahr streiten sich Kosovoalbaner und Kosovoserben um deren Besitz. Am 14. August 2000 wurde ein Teil dieser Minen wegen erhöhtem Bleiausstoß von UNMIK geschlossen . Der Bleigehalt in der Luft im Umkreis dieser Schmelzfabrik ist 200 mal höher als der von WHO als akzeptabel genannter Grenzwert.

Aufgrund schwachen Managements und Vernachlässigung in den letzten 10 Jahren sind die meisten der 8 Minen in völlig desolatem Zustand. Nur eine davon arbeitet im Moment mit einem Bruchteil der vormals beschäftigten Personen.
Zu den enormen Instandsetzungskosten (alleine 16 Mill. $ für die sogenannte zweite Phase) kommen noch ungeklärte Eigentumsverhältnisse.

Was Fremdinvestitionen betrifft, so erklärt Herr Knapp, ist dies nicht nur eine Frage der Standortbedingungen (siehe Bericht März), sondern auch  - und vor allem - der Psychologie.

Herr Knapp liefert den traurigen Beweis:
Vor einiger Zeit versuchte er im Auftrag des Deutschen Industrie und Handelstags (DIHT) Startkapital für lokale kosovarische Firmen von deutschen Unternehmen zu bekommen. Von 50 Anfragen antworteten 47 überhaupt nicht, 3 negativ und ein Unternehmen zögerte. Mittlerweile hat der DIHT diese Art Initiativen aufgegeben.
Selbst Mazedonien leidet unter „dem schlechten Ruf“ des Kosovo. Auch dort gibt es aufgrund der mangelnden Stabilität nur wenige Fremdinvestitionen.

Jetzt fördert er neue Ideen, wie den Steinbruch in Kamenica. Doch auch diese Unternehmungen bleiben im kleinen Rahmen. Dr. Wulffen vom Deutschen Haus reaktiviert zur Zeit den Export des Amselfelder Weins, der in den sechziger Jahren in Deutschland - allerdings zu einem minimalen Preis - verkauft wurde.

Die einzigen Exportgüter des Kosovo beschränken sich demnach auf ein paar Flaschen billigen Wein und - Arbeitskräfte. Die Produkte der Trepca-Minen, wie Blei, Zink, Bismuth, usw., die für das ehemalige Jugoslawien wichtig waren, nennt Herr Knapp heute einen Mythos. In dieser Ära warfen die Minen Profit ab, weil die Kosten in der alten, schwachen, jugoslawischen Währung bestritten wurden, während die Profite in harten westlichen Devisen zurückkamen. Da die Kosten heute in DM anfallen, hat sich die Wirtschaftlichkeit stark geändert.

Die einzige Chance zum Überleben im Kosovo sind derzeit private Kleinunternehmen, vor allem Geschäfte und Tankstellen  (von denen allerdings mit dem Verschwinden der internationalen Organisationen, dem dadurch verursachten Jobverlust tausender Menschen und dem Ausfallen der Gelder der Diaspora sehr viele in den nächsten Jahren werden schließen müssen) und die sogenannten „Selbstheilungskräfte“ der kosovarischen Gesellschaft. Bevor ein Volk verhungert, findet es Mittel und Wege zum Überleben. Diese Mittel sind zum größten Teil illegaler Natur: „Not kennt keine Gebote“, so Herr Knapp.

Zum Thema Rückkehrer meint Herr Knapp, daß das familiäre Netzwerk, welches vom Westen als so unfehlbar angesehen wird und viele Gewissen betäubt, den Rückkehrern gegenüber oft feindlich eingestellt ist. Nicht nur fällt durch Rückkehr das so dringend benötigte Geld aus dem Ausland weg, sondern diese rückkehrenden oft kinderreichen Familien bedeuten eine zusätzliche enorme Belastung. Die gepriesene Politik der Rückkehr zur Hilfe beim Wiedraufbau ist eine kurzsichtige Illusion: Es werden keine Arbeitskräfte sondern finanzielle Mittel in dieser Provinz gebraucht.

Gerard Fischer, der Stellvertreter von Dr. Kouchner in der Zivilverwaltung und Zuständiger für Industrie und Handel von UNMIK  erweitert die Erklärungen zur - wie es scheint hoffnungslosen - wirtschaftlichen Situation des Kosovo um einige Punkte. Wie allgemein bekannt, gehen UNMIK die finanziellen Mittel aus. Nur noch die allernotwendigsten Maßnahmen können unterstützt werden, d.h. vor allem der Straßenbau und die Sanierung der Strom- und Wasserversorgung. Laut Peter Schumann, des UNMIK Co-Direktors für öffentliche Dienste, wird ein großer Teil des Budgets das eigentlich für Gesundheits- und Schulwesen bestimmt war, für diese Zwecke abgezweigt.

Fest steht, daß für den wirtschaftlichen Aufbau der Provinz nicht viel übrigbleibt.  Das Problem sei, daß es für den Kosovo, d.h. UNMIK, keine Möglichkeit gibt, Geld zu leihen, da der Kosovo kein eigenständiges Land ist. Folglich kann nur auf Spender gehofft werden, die zwangsläufig immer weniger bereit sind, Millionen in dieses Land zu stecken, in dem kein offensichtlicher Fortschritt zu sehen ist. Die Gewalt nimmt ständig zu - und das nicht nur im Bereich der normalen, politisch und ethnisch motivierten Kriminalität, sondern auch die Aggressivität gegenüber den „Besatzern“. So forderte eine lokale Tageszeitung nach der Flucht der 15 serbischen Gefangenen aus dem Gefängnis in Mitrovica die Absetzung Dr. Kouchners und die Übernahme der Gefängnisüberwachung von der TMK (ehemalige UCK-Kämpfer, heute eine Art THW) .

Durch das Handicap des fehlenden lokalen Banksystems werden viele ausländische Unternehmer abgeschreckt. Ein Beispiel ist auch das Telefonnetz. Ericson z.B. wollte sich nicht auf das Geschäft einlassen, da es weder Versicherungen noch eine Bankgarantie gibt. Alcatel hat durch „pure Überzeugungskraft“ von seiten der UNMIK schließlich in das Geschäft eingewilligt.

Um eine Art legalen Rahmen in die hiesige Wirtschaftssituation zu bringen, müssen Geschäfts-, Restaurant- und Barbesitzer (u.a) seit 1. Juli eine Lizenz vorweisen können. Da diese allerdings wie Pilze aus dem Boden schießen, ist es fast unmöglich, die Übersicht zu behalten. Bis jetzt sind 25.000 Kleinunternehmen registriert, man schätzt die eigentliche Zahl aber weit höher ein.

Ein weiteres Problem liegt in dem weiterhin sozialistischen Denken der Arbeiter. Es besteht bei den wenigen hergestellten Produkten kein Verhältnis zwischen Produktion und Absatzmarkt. Wie im ehemaligen Jugoslawien besteht ein Produktionsplan, der erfüllt wird; ob er die Nachfrage übersteigt oder nicht befriedigt, scheint keine Rolle zu spielen.

Laut Herrn Fischer arbeitet so gut wie keine der ehemaligen Fabriken. Auch seiner Meinung nach wird der Kosovo außer z.B. geringen Mengen an Wein niemals exportieren, sondern nur für den lokalen Markt produzieren können.

Wie alle Wirtschaftsexperten, mit denen ich sprach, geht auch Herr Fischer davon aus, daß die Kosovaren immer als Arbeitskräftelieferant für andere Länder dienen werden. Die Wirtschaft im eigenen Land wird nie stark genug sein, um genügend Arbeitsplätze zu stellen.
 

Christina Kaiser
Pristina, den 9. September 2000

Die Fußnoten des Originals  (PDF-file   http://www.cvizk.de/berichte/berichtaug2000.pdf  )
sind in dieser Internet-Fassung nicht wiedergegeben !



weitere Berichte (Quelle:  http://www.cvizk.de/berichte.htm ) :

 

Bericht vom Januar 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtjan2000.pdf

Bericht Nahrungsmittel Januar 2000

http://www.cvizk.de/berichte/nberichtjan2000.pdf

Bericht Südserbien März 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtsuedsermaerz2000.pdf

Bericht vom März 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtmaerz2000.pdf

Bericht vom April 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtapr2000.pdf

Bericht vom Mai 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtmai2000.pdf

Bericht vom Juni 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtjun2000.pdf

Bericht vom Juli 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtjul2000.pdf

Bericht vom August 2000

http://www.cvizk.de/berichte/berichtaug2000.pdf

Nach Mitteilung vom May 27, 2005 existiert Informationszentrum Kosovo nicht mehr.

Kontaktpersonen  (Quelle:  http://www.cvizk.de/kontaktpersonen.htm )

Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V.
Informationszentrum Kosovo
Strombergstr. 11
70188 Stuttgart
Tel.: 0711 - 2633 - 0 Fax-Modem: 0711 - 2633 - 1267
Unsere e-mail Adresse:
Caritasverband-Info.zentrum@t-online.de

Ansprechpartner:
Milan Cesljarevic
Tel.: 0711 - 2633 1144
Fax: 0711 - 2633 1461

Ansprechpartnerin:
Silke Blumbach
Tel.: 0711 - 2633 1179
Fax: 0711 - 2633 1461

Ansprechpartnerin:
Marija Cutura
Tel.: 0711 - 2633 1150
Fax: 0711 - 2633 1461

Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart



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Seite erstellt am 28.09.2000