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Aushungern, obdachlos aussetzen, illegalisieren -
die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin

                               von  Georg Classen,  Flüchtlingsberater bei der Passionskirche in Berlin

mit Ergänzungen am 16.2.1999
           Asylbewerberleistungsgesetz - Links zu aktuellen Informationen und Dokumenten


Betreff:             Artikel zur Umsetzung der AsylbLG-VerschSrfungen
Datum:             Sun, 14 Feb 1999 17:32:22 +0100
    Von:             Georg Classen <gclassen@zedat.fu-berlin.de>

Georg Classen
Passionskirchengemeinde
Schleiermacherstr. 24a
10961 Berlin
Telefon 030/694 012 40 (Mi und Do 14-18)
FAX 030/694 012 42
E-mail:   gclassen@zedat.fu-berlin.de                           Berlin, den 14.02.99
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

beiliegenden Artikel übersende ich Ihnen zu Ihrer Information und zur beliebigen nichtkommerziellen Weiterverwendung (Belegexemplar erbeten!).

Mit freundlichen Grüßen

Georg Classen


Aushungern, obdachlos aussetzen, illegalisieren -
die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin
 

Der Asylkompromiss 1993

Mit dem "Asylkompromiss" wurde zum 1.7.1993 das Grundrecht auf Asyl für diejenigen abgeschafft, die auf dem Landweg nach Deutschland geflohen sind. Der "Asylkompromiss" war die Reaktion einer großen Koalition aus CDU/CSU/FDP/ SPD auf eine steigende Zahl von asylsuchenden Flüchtlingen einerseits und auf die pogromartigen Ausschreitungen Deutscher gegen asylsuchende Flüchtlinge in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 andererseits . Die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland noch ein Asylverfahren betreiben, ist seitdem erheblich zurückgegangen.

Als Gegenleistung (das ganze war ja ein "Kompromiss") war ein eigenständiger Aufenthaltsstatus für Kriegsflüchtlinge vereinbart, der mit einer Arbeitserlaubnis verbunden sein sollte, der Bund sollte ggf. erforderliche Sozialhilfekosten anteilig tragen. Der Status sollte einen sicheren Aufenthalt für die Dauer des Krieges ermöglichen, auch sollte erreicht werden, dass Kriegsflüchtlinge keine (aussichtslosen) Asylverfahren betreiben müssen. Obwohl im Ausländergesetz geregelt, wurde dieser Status seitdem in der Praxis nie angewandt - nicht auf bosnische Kriegsflüchtlinge, nicht auf Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, aus Afghanistan, aus Angola, aus Somalia, aus Eritrea oder sonstwoher.

In der Praxis erhalten die betroffenen Kriegsflüchtlinge in der Regel nur "Duldungen" (= "Aussetzung der Abschiebung" für jeweils meist 3 bis 6 Monate), teils auch nur "Grenzübertrittsbescheinigungen", meist mit einem (durch den Arbeitsmarktvorrang Deutscher und bevorrechtigter AusländerInnen zumindest faktischen) Arbeitsverbot verbunden. Während für Bosnier während des Krieges wenigstens ein offizieller bundesweiter Abschiebestopp galt, gibt es derzeit für Kosovo-Albaner nicht einmal einen Abschiebestopp. Nicht in den Kosovo abgeschoben wird aktuell nur aufgrund interner Behördenregelungen ("heimlicher Abschiebestopp"), die allerdings für "Straftäter" nicht gelten.

Folge des Arbeitsverbotes ist, daß die Flüchtlinge auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Mangels Arbeit ist auch kein Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung möglich, so daß auch die Krankenhilfe vom Sozialamt erbracht werden muß.

Bestandteil des Asylkompromisses war das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das für Asylsuchende im ersten Jahr des Asylverfahrens eine deutliche Absenkung der gewährten Leistungen gegenüber der Sozialhilfe, die vorrangige Versorgung mit Sachleistungen sowie eine eingeschränkte medizinische Versorgung vorsah. Mit dem zum 1.11.1993 in Kraft getretenen AsylbLG wurden die Fürsorgeleistungen für asylsuchende Flüchtlinge sowie für geduldete und sonstige ausreisepflichtige AusländerInnen in einem Sondergesetz außerhalb des Bundessozialhilfegesetzes geregelt.

Das Gesetz wird von machen Kommentatoren nicht als Sozialleistungsgesetz, sondern als Bestandteil des Ausländerrechts bezeichnet. Gemeint ist damit eine Fürsorgegewährung nach Maßstäben des Polizei- und Ordnungsrechts und damit ein Rückfall in Zustände des 19. Jahrhunderts und früherer Zeiten. Die Zuständigkeit für den Erlass von Richtlinien zum Umsetzung des AsylbLG liegt folgerichtig in vielen Bundesländern bei den Innen- und nicht bei den Sozialministerien. In Sachsen sind mancherorts anstelle der Sozialämter die Ausländerbehörden für die Leistungsgewährung zuständig.
 

Die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1997

Asylsuchende mit mehr als einem Jahr Verfahrensdauer sowie geduldete AusländerInnen erhielten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung von 1993 ungekürzte Leistungen, deren Form und Höhe den Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz entsprach, für sie galten nur die Verfahrensregelungen des AsylbLG. Viele Bundesländer, darunter Bayern, Baden-Württemberg, alle neuen Bundesländer und teilweise NRW weiteten die seinerzeit nur für Asylsuchende im ersten Jahr vorgesehenen Einschränkungen des Asylbewerberleistungsgesetzes seit seinem Inkrafttreten 1993 rechtswidrig auf alle Asylsuchenden, auch mit mehr als einem Jahr Verfahrensdauer, sowie auf AusländerInnen mit Duldung aus. Ausnahmslos alle Leistungsberechtigten erhielten dort abgesenkte Sachleistungen, Taschengeld sowie eingeschränkte medizinische Versorgung, obwohl das Gesetz nach einem Jahr ungekürzte Geldleistungen und uneingeschränkte medizinische Versorgung vorsah. Diese rechtswidrige Praxis konnte in den meisten der genannten Länder mittels Klagen der betroffenen Flüchtlinge bei den Verwaltungsgerichten gestoppt werden.

Eine weitere Form der rechtswidrigen Leistungseinschränkung war die Verweigerung der für geduldete Flüchtlinge gesetzlich möglichen Mietkostenübernahme für eine Wohnung unter Verweis auf die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft selbst dann, wenn dadurch erhebliche Mehrkosten verursacht wurden. Vor allem in Niedersachsen haben Flüchtlinge hiergegen erfolgreich vor Gericht geklagt.

Die Reaktion der beklagten Länder war, über den Bundesrat eine Gesetzesverschärfung zu betreiben, um die bislang rechtswidrig praktizierte Leistungseinschränkungen zu legalisieren. Als "Hardliner" taten sich dabei neben Bayern und Baden-Württemberg besonders die SPD-Länder Niedersachsen und Brandenburg hervor. Nach zweijährigen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss wurde zum 1.6.1997 in einem neuerlichen "Kompromiss" das AsylbLG dahingehend verschärft, dass von nun an die Leistungseinschränkungen für alle Leistungsberechtigten, also auch für geduldete Flüchtlinge drei Jahre lang gelten sollten. Rein vorsorglich neu einbezogen in die Leistungseinschränkungen wurden auch Kriegsflüchtlinge mit dem 1993 geschaffenen, in der Praxis bis heute nicht umgesetzten eigenständigen Aufenthaltsstatus. Dieser Status wurde dadurch deutlich entwertet.

Die Dreijahresfrist für die Leistungseinschränkungen gilt nicht ab Einreise, sondern für alle derzeit hier lebenden Leistungsberechtigten ab Inkrafttreten der Gesetzesänderung, unabhängig davon wie lange sie schon hier leben. Diese zusätzliche Verschärfung der Dreijahresfrist hatte das Land Berlin im Vermittlungsausschuss einen Tag vor der endgültigen Verabschiedung der Gesetzesverschärfung  in dritter Lesung im Bundestag eingebracht. Keiner der RednerInnen in der Bundestagsdebatte ging auf diese zusätzliche Verschärfung ein. Auch Asylsuchende, die schon fünf Jahre oder noch länger hier leben, erhalten somit seit dem 1.6.1997 für drei Jahre, also bis zum 30.5.2000 abgesenkte (Sach)leistungen.

Mit der ersten AsylbLG-Novelle wurde zugleich der gesetzliche Vorrang für Sachleistungen gelockert, um den Ländern die politische Möglichkeit für eine Entscheidung zur Gewährung (gekürzter) Geldleistungen und zur Mietkostenübernahme zu geben, ohne den betroffenen Flüchtlingen hierauf einen einklagbaren Rechtsanspruch einzuräumen. Während Sachsen-Anhalt und viele Landkreise in Schleswig-Holstein dies nutzten, um von Sach- auf Geldleistungen umzustellen, verschärfte das Berliner Landessozialamt seine Praxis und führte für die etwa 2.500 Asylsuchenden in Berlin eine Versorgung mittels Sonderläden ein. Nach Protesten wurden statt dessen Chipkarten eingeführt, während die meisten Bezirkssozialämter, wo die etwa 30.000 in Berlin geduldeten Flüchtlinge Leistungen erhalten, bislang noch Bargeld gewähren.

Ausnahmslos alle Berliner Bezirke verweigern - obwohl das Gesetz eine politische Ermessensentscheidung zugunsten der Flüchtlinge ermöglichen würde - seit 1.6.1997 die Mietkostenübernahme für unter das AsylbLG fallende Ausländer. Für eine vorhandene Wohnung werden zwar weiterhin die Mietkosten übernommen, aber niemand darf in eine andere Wohnung umziehen oder aus einer Gemeinschaftsunterkunft in eine Wohnung ziehen. Mit dem gesetzlichen "Vorrang für Sachleistungen" wird begründet, dass das Sozialamt an dem Heimbetreiber beispielsweise für die Unterkunft einer Familie mit drei Kindern in einem Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft ohne Verpflegung in Berlin etwa 3.500 DM monatlich bezahlt, der gleichen Familie aber regelmäßig verbietet, etwa eine Zweizimmerwohnung zum Preis von 900.- DM warm anzumieten. Die jährlichen Kosten für dieses bei allen Berliner Sozialämtern - egal ob die verantwortlichen Sozialstadträte der CDU, SPD, den Grünen oder der PDS angehören - im Bereich der Unterbringung hartnäckig praktizierte Sachleistungs- bzw. besser gesagt Abschreckungsprinzip dürften einen mindestens zweistelligen Millionenbetrag erreichen. Insgesamt gibt Berlin etwa 500 Millionen DM im Jahr für Leistungen nach dem AsylbLG aus, wovon etwa 2/3 auf die Kosten der Gemeinschaftsunterkünfte (ohne Verpflegung) entfallen dürften.
 

Die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1998

Im Tagesspiegel vom 6.7.1997 beklagt Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John einen zunehmenden illegalen Zuzug serbischer Staatsangehöriger, die aufgrund des mit der BR Jugoslawien vereinbarten Rückübernahmeabkommens in der Praxis erst nach einem möglicherweise jahrelangen Verfahren wieder abgeschoben werden könnten und solange in Berlin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen würden. John beklagt als besonderen Missstand, dass man aufgrund einer "Gesetzeslücke" diesen Menschen, die nur nach Deutschland gekommen seien, um hier Sozialhilfe zu kassieren, den Anspruch auf Leistungen nicht verweigern könne. Dass es bei den Flüchtlingen keineswegs um Serben, sondern um Kosovo-Albaner handelt, verschweigt Frau John dabei wider besseres Wissen.

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im September 1997 in einer Grundsatzentscheidung Ausländern, die in absehbarer Zeit nicht abgeschoben werden können, den Anspruch auf Erteilung einer "Duldung" zuspricht und die Berliner Praxis der Ausstellung von "Grenzübertrittsbescheinigungen" als rechtswidrig, weil im Gesetz so nicht vorgesehen, verurteilt, fordert John etwa 14 Tage lang nahezu täglich im Tagesspiegel und anderen Zeitungen, u.a. in einem Kommentar auf Seite 1 der TAZ vom 27.9.1997 die Änderung der geltenden Gesetze, um zu verhindern, dass AusländerInnen "Duldungen und Sozialhilfe erhalten", solange sie aufgrund der fehlenden Aufnahmebereitschaft ihrer Herkunftsländer nicht abgeschoben werden können.

Aufgrund der Initiativen Johns legt Berlin am 10.9.1997 im Bundesrat einen Entwurf zu einer Verschärfung des AsylbLG vor. Bayern, Baden-Württemberg und insbesondere Niedersachsen bringen weitere Verschärfungen ein. Nachdem im März 1998 schließlich im Bundestag in erster Lesung ein Gesetzentwurf verabschiedet wird, der für mindestens 250.000 geduldete Flüchtlinge, darunter praktisch alle geduldeten bosnischen Kriegsflüchtlinge, die Streichung sämtlicher Hilfen nach dem AsylbLG bedeuten würde, bricht bei Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen eine Welle des Protestes gegen das geplante "Aushungern und obdachlos Aussetzen" los, mit deren Hilfe die schlimmste Variante verhindert werden kann.

Gesetz wird schließlich eine in einem neuen "§ 1a AsylbLG - Leistungseinschränkung" festgeschrieben Missbrauchsregelung, die zum 1.9.1998 in Kraft getreten ist und in zwei Fällen eine Leistungseinschränkung "auf das im Einzelfall Unabweisbare" vorsieht:

Die Umsetzung der Leistungseinschränkung in den Bundeländern

Zu klären ist in der Praxis, wie bei Vorliegen eines entsprechenden Tatbestandes der ohnehin schon erheblich gegenüber der Sozialhilfe abgesenkte Leistungsumfang überhaupt noch weiter auf das "Unabweisbare" eingeschränkt werden kann. Die Gesetzesbegründung sowie die Ausführungsbestimmungen anderer Bundesländer (z.B. Bayern, Sachsen, Brandenburg, Schleswig Holstein, Saarland) sehen vor, bei Vorliegen eines Tatbestandes für die Leistungseinschränkung das Taschengeld zu kürzen oder allenfalls zu streichen. Hingegen sind nach Auffassung der genannten Länder aus Gründen des verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Existenzminimums, des Rechts auf Leben und Menschenwürde die Unterkunft, Ernährung, Kleidung, Hygiene sowie die medizinische Versorgung "stets unabweisbar geboten". Aus anderen Bundesländern sind nur ganz wenige Einzelfälle von Leistungseinschränkungen bekannt, wobei es sich ausschließlich um Taschengeldkürzungen oder -streichungen handelt.
 

Die Praxis der Berliner Sozialämter:
Aushungern, obdachlos Aussetzen, Kriminalisieren

Berlin steht in der Härte seiner Praxis bundesweit einzig da. Bei neu ankommenden Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo scheint die Verweigerung sämtlicher Hilfen eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Allenfalls Unterkunft wird - längst nicht in allen Fällen - gewährt, es gibt in der Regel aber keine Kleidung, keine Hygieneartikel, keinen Pfennig Bargeld (und keine Fahrscheine für die BVG), und vielfach nichts zu Essen und keine Krankenscheine.

Die Flüchtlinge werden ausgehungert, obdachlos ausgesetzt, und ärztliche Versorgung wird verweigert. Sie werden durch den Entzug jeglichen Bargeldes z.B. gezwungen, mit der BVG schwarz zu fahren - schon um zur Ausländerbehörde, zum häufig am anderen Ende der Stadt gelegenen zuständigen Sozialamt oder zu einer Beratungsstelle zu gelangen. Zahlungsaufforderungen der BVG sowie Strafbefehle häufen sich. Die Flüchtlingen werden so kriminalisiert - damit schafft man Gründe für eine Abschiebung.

Viele Sozialämter unterstellen Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo generell, sie seien nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland gekommen. Zum Beweis wird angeführt, sie hätten ja in einem auf der Reise nach Deutschland durchquerten Land bleiben können, und seien nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland weitergereist. Diese Argumentation wurde nunmehr vom Oberverwaltungsgericht Berlin als unzulässig zurückgewiesen, da sie im Ergebnis eine vom Gesetzgeber nicht gewollten Drittstaatenregelung für geduldete Kriegsflüchtlinge wäre, die z.B. einen Leistungsausschluss auch aller auf dem Landweg eingereisten bosnischen Flüchtlinge bedeuten würde. Die Senatssozialverwaltung erklärte hierzu allerdings, der Beschluss sei eine "Einzelfallentscheidung", eine Änderung der Praxis der Sozialämter sei nicht erforderlich (TAZ v. 11.2.99). Vielleicht hat Frau Hübner ja das Prinzip der Gewaltenteilung im Rechtsstaat nicht so richtig verstanden, oder soll man diese Äußerungen als Aufruf zum Rechtsbruch verstehen?

Die Unterstellung des Verhinderns der Abschiebung bzw. Verschleierns der Identität hat demgegenüber in der Praxis eine geringere Bedeutung. Auch dies wird aber z.B. Kosovo-Kriegsflüchtlingen in der Praxis vielfach unterstellt, obwohl derzeit ohnehin keine Abschiebungen in die BR Jugoslawien stattfinden. Wenn die Flüchtlinge keinen Pass, sondern nur einen Personalausweis besitzen, wird generell unterstellt, dieses Dokument sei nicht fälschungssicher und könne daher gefälscht sein. Die Ausländerbehörde stempelt deshalb - trotz erkennungsdienstlicher Behandlung und obwohl im konkreten Fall gar keine Anhaltspunkte für eine Fälschung vorliegen - "Identität ungeklärt" in die Duldung.

Das Sozialamt schickt dann die Flüchtlinge zur jugoslawischen Botschaft, um als Identitätsnachweis einen Pass zu beantragen - und streicht solange erstmal alle Leistungen. Die Botschaft stellt Flüchtlingen aber keine Pässe, sondern lediglich ein Passersatzpapier zu einmalige Einreise in die BR Jugoslawien im Rahmen des Rückübernahmeabkommens aus. Und sie nimmt Anträge nur gegen Vorlage des Original-Personalausweises entgegen. Die Ausweise gibt die Ausländerbehörde aber nicht heraus, um zwecks Abschiebung ggf. selbst den Antrag auf den Passersatz bei der Botschaft stellen zu können.

Das Berliner Verwaltungsgericht verlangte in einem solchen Fall als Voraussetzung der Leistungsgewährung die Vorsprache des Flüchtlings bei der Botschaft mit einer von der Ausländerbehörde beglaubigten Kopie des Personalausweises. Die Botschaft akzeptiert aber keine beglaubigten Kopien. Der betroffene Flüchtling war schon über zwanzigmal bei der Botschaft und erhält dennoch seit mehr als vier Monaten vom Sozialamt Wedding für sich, seine Frau und zwei Kinder nichts zu essen, keine Krankenscheine, keine BVG-Fahrscheine und keinen Pfennig Bargeld!
 

Die Verweigerung ärztlicher Versorgung - einige Beispiele

Die Verweigerung von Krankenscheinen ist die Regel, spätestens dann, wenn erst die übrigen Hilfen nach § 1a AsylbLG eingestellt sind. Viele SachbearbeiterInnen erklären den unter Verweis auf akute Krankheitssymptome und Schmerzen um Krankenscheine bittenden Flüchtlingen "das interessiert uns nicht!" Manche verwenden zur Ablehnung die Mittel der Körpersprache und halten sich Augen und Ohren zu, andere bescheiden Flüchtlinge, die um einen Krankenscheine bitten, nur mit der schlichten Aufforderung "raus hier!"

Gegenüber dem Verwaltungsgericht führt die Rechtsstelle des Sozialamtes Wedding zur Verweigerung der Krankenscheine aus: "Zwecks Gewährung von Krankenhilfe ist die Vorlage eines Attestes eines niedergelassenen Arztes unter Angabe der akuten Erkrankung erforderlich." Wie die Flüchtlinge sich ohne einen Pfennig Bargeld und ohne Krankenschein solche Atteste beschaffen sollen, bleibt offen. Inzwischen musste die betroffene Mutter blutspuckend ins Krankenhaus eingewiesen werden, eine schwere bakterielle Infektion wurde diagnostiziert, auch ihr Kind wird inzwischen wegen einer Lungeninfektion stationär behandelt.

Die Rechtsstelle des Sozialamtes Prenzlauer Berg erklärte gegenüber dem Verwaltungsgericht zur Verweigerung von Krankenscheinen, dass die "behaupteten Schmerzzustände unglaubwürdig" seien, da "jedes Krankenhaus akute Erkrankungen behandeln würde". Das Verwaltungsgericht hat diese Entscheidung in zwei Instanzen als von §1a AsylbLG gedeckt bestätigt: "Die behaupteten Zahn- und Augenschmerzen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Es ist auch weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass insoweit ein unaufschiebbarer Behandlungsbedarf besteht." (OVG 6 SN 229.98/VG 6 A 534.98). Auf welche Weise der Flüchtling seine Schmerzen, deren Diagnose er nicht kennt, und deren akuten Behandlungsbedarf näher glaubhaft machen bzw. darlegen soll, ohne die Möglichkeit zu haben zum Arzt zu gehen, bleibt allein das Geheimnis der VerwaltungsrichterInnen.

Eine 63 jährige Kosovo-Albanerin, die vom Sozialamt Steglitz nur Unterkunft ohne Verpflegung erhält, hat mit vom Taschengeld anderer Flüchtlingen geliehenem Geld einen Arzt aufgesucht und 39.- DM bezahlt. Die Ärztin hat eine behandlungsbedürftige akute Gastritis bescheinigt. Beim Sozialamt erklärte man ihr, solange der Eilantrag auf Leistungen beim Verwaltungsgericht nicht zu ihren Gunsten entscheiden sei, dürfe sie beim Sozialamt nicht mehr erscheinen, und bekäme auch keine Krankenscheine.

Einem Kosovo-Flüchtling wurden vom Sozialamt Reinickendorf der Barbetrag von 80.- auf 20.- gekürzt, die Chipkarte entzogen, und er wurde in die DRK-Sammelunterkunft Streitstr. (500 Flüchtlinge) eingewiesen. Er erhält Unterkunft und Vollverpflegung, aber keine Kleidung und keine Krankenscheine. Auf dem Bauch hat er seitdem einen rotfleckigen Ausschlag unbekannter Ursache. Dennoch wurde ihm der Krankenschein verweigert, erst nach wochenlangen Auseinandersetzungen und nachdem ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt war, und nachdem der Flüchtling auf Aufforderung des Sozialamtes mit einer von einer Arztpraxis ausgestellten "Terminkarte" einen Arzttermin nachweisen konnte (eine weitverbreitete Schikane der Sozialämter gegenüber Flüchtlingen), erhielt er den Krankenschein. Der Arzt diagnostizierte eine Herzerkrankung sowie eine kriegsbedingte psychische Traumatisierung. Der Ausschlag wurde als Krätze diagnostiziert, der Flüchtling erhielt die erforderlichen Medikamente. Mangels Kleidung zum Wechseln kann er die Krätze allerdings noch immer nicht behandeln.

Ein - zugegebenermaßen noch harmloses - Beispiel, wie durch §1a AsylbLG vorsätzlich die Ausbreitung von Krankheiten in Massenunterkünften gefördert wird.

Festzustellen ist, dass regelmäßig VerwaltungssachbearbeiterInnen der Sozialämter, JuristInnen der Rechtsstellen der Bezirksämter sowie VerwaltungsrichterInnen die Behandlung von Krankheiten verweigern, ohne dass jemals eine ÄrztIn oder AmtsärztIn die PatientIn gesehen und eine Diagnose gestellt hat.

Im krassen Gegensatz hierzu stehen Äußerungen des seinerzeit für das AsylbLG verantwortlichen Bundesgesundheitsministers im Gesetzgebungsverfahren, so in einer Presseerklärung vom 24. Juni 1998: "Zu den wiederholten falschen Behauptungen des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, dass die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zu einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung der Betroffenen führe, sagt Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer: Herr Dr. Montgomery sollte mit der Wahrheit korrekt umgehen. Bereits letzte Woche wurde vom Bundesgesundheitsministerium klargestellt: 'An der Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz über die Leistungen bei Krankheit wird nichts geändert. Leistungen bei akuter Erkrankung und Schmerzzuständen gehören stets zu der unabweisbar gebotenen Hilfe, darüber besteht auf allen Seiten Einigkeit.' Dies wird auch in dem Bericht des Gesundheitsausschusses festgehalten. Ich appelliere an Herrn Dr. Montgomery, mit der Wahrheit verantwortlich umzugehen und die unwahren Behauptungen endlich zu unterlassen."
 

Kein Rechtsschutz

Die Kammern des Berliner Verwaltungsgerichtes haben die Praxis des Entzugs jeglichen Bargeldes, des Aushungerns und des obdachlos Aussetzens in vielen Fällen bestätigt. Einzig die "Fahrtkosten der preisgünstigsten Beförderungsmöglichkeit in das Herkunftsland" sowie ein Zehrgeld für unterwegs könnten Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo noch beanspruchen. Für den dagegen prinzipiell möglichen Beschwerdezulassungsantrag beim Oberverwaltungsgericht besteht Anwaltszwang, so dass viele Flüchtlinge mangels Geld und vertretungsbereiter AnwältInnen hiergegen nichts mehr tun können.
 

Ob Schwarz oder Gelb, ob Rot oder Grün: Flüchtlinge werden rausgemobbt.

Im Rot-Grünen Koalitionsvertrag steht nichts zur endlich fälligen Umsetzung des Kriegsflüchtlingsstatus aus dem Asylkompromiss, nichts zur Aufhebung des Arbeitsverbotes für Kriegs- und andere Flüchtlinge, nichts zur Umsetzung von Abschiebestoppregelungen und auch nichts zum Asylbewerberleistungsgesetz.

Hört man Rot oder Grün über AusländerInnen reden, geht es um Staatsbürgerschaftssrecht und wie man unter Druck sei, weil die CDU Unterschriften sammelt. Jedenfalls dürfe man derzeit keine zusätzlichen Dinge fordern, wie die Rücknahme des AsylbLG oder zumindest seiner Verschärfungen von 1997 und 1998. Diskutiert man mit grünen SpezialistInnen auf fachlicher Ebene, geht es ggf. auch noch um einige Mängel im Ausländergesetz, allenfalls um Mängel bei den sozialen Rechten anerkannter Flüchtlinge.

Von Asylsuchenden, von Kriegsflüchtlingen ohne gesicherten Status, von "illegalen" bzw. illegalisierten AusländerInnen spricht bei Rot-Grün niemand mehr. Dass Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge nicht arbeiten dürfen, in Lager eingewiesen werden, mit Sachleistungen versorgt werden, mancherorts vielleicht auch gar nichts mehr erhalten, scheint gesellschaftlicher Konsens geworden zu sein - auch bei rot und grün.

Öffentlichkeit zu schaffen ist nach unseren Erfahrungen in den letzten Monaten kaum möglich. Vielfach - etwa beim Berliner Tagesspiegel - glaubt man uns einfach nicht, daß in Berlin Kriegsflüchtlinge von den Sozialämtern ausgehungert, obdachlos ausgesetzt und kriminalisiert werden - wenn schon Leistungen verweigert werden, werden die Ämter sicherlich auch berechtigte Gründe dafür haben. Andere Zeitungen, wie z.B. die TAZ, aber auch viele Leute in der linken Szene, scheinen SORAT-Sonderläden oder Chipkarten viel schlimmer noch zu finden als die vollständige Verweigerung jeglicher Hilfe.
 

Georg Classen

Der Autor ist Flüchtlingsberater bei der Passionskirche, Markeinekeplatz 1,
0961 Berlin, FAX 030-69401242, E-Mail  georg.classen@berlin.de .
Er arbeitet derzeit für PRO ASYL an einem Leitfaden zum AsylbLG.
Ausführliche weitere Materialien zum Thema im Internet unter http://www.proasyl.de im Verzeichnis "aktuell".

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Ergänzungen am 16.2.1999
Asylbewerberleistungsgesetz
                           - Links zu aktuellen Informationen und Dokumenten
 

Das AsylbLG und seine Novellen von 1997 und 1998
(Übersicht, Stichworte zur Diskussion) sowie

"Aushungern, obdachlos Aussetzen, Illegalisieren" 
(Dokumentation von Einzelfällen)
auf der Homepage von "Kein Mensch ist illegal" unter

                  http://www.contrast.org/borders/kein/hintergrund/frame.html

Bericht zur Umsetzung des AsylbLG in Berlin
auf der Kosova-Homepage von Wolfgang Plarre unter
                  http://www.dillingen.baynet.de/~wplarre/Berlin02.htm

Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Asylbewerberleistungsgesetz
(einschl. aktuellen Entscheidungen zu §1a AsylbLG) und zum Flüchtlingssozialrecht
als Dateien zum Download bei DIM-NET,
dem Dokumentations- und Informations-Netzwerk Flucht und Migration e.V, unter
                  http://www.dim-net.de/dad20.htm

Zur Verfassungsmäßigkeit der 2. AsylbLG-Novelle:
Röseler/Schulte, Hrsg. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW),
Rechtsgutachten zur geplanten 2. AsylbLG-Novelle, April 1998
                  http://www.paritaet.org/gv/archiv/gutasyl.htm

Umfangreiche Informationen zum Asylbewerberleistungsgesetz
sind auf der Homepage PRO ASYL im Verzeichnis "aktuell" abrufbar:
                  http://www.proasyl.de/presse99/aktuell.htm

Abrufbar sind über PRO ASYL u.a. folgende Dateien:
 
Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Asylbewerberleistungsgesetz und zum Flüchtlingssozialrecht
(Download als Dateien besser über DIM-NET, s.o!)

"Eckpunkte zu §1a AsylbLG" - Auslegungshinweise zur 2. AsylbLG-Novelle
                  http://www.proasyl.de/lit/classen/asylblg1a.htm
 
"Social Human Rights in the Federal Republic of Germany"
Parallel Information to the third report of the Federal Republic of Germany, concerning the Rights enshrined in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights
                  http://www.proasyl.de/texte/fian.htm

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ebenfalls von  Georg Classen:

Verwaltungsgericht Berlin: Butterbrot und Fahrkarte in den Kosovo ist
                  alles, was Kriegsflüchtlinge jetzt noch beanspruchen können
Berlin01.htm

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Wolfgang Plarre
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