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Weihnachtslied
Eine Gespenstergeschichte
Charles Dickens
1.Strophe: Marleys Geist
2.Strophe: Der erste Geist
3.Strophe: Der zweite Geist
4.Strophe: Der letzte Geist
5.Strophe: Das Ende
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Weihnachtslied
Eine Gespenstergeschichte
Erste Strophe
Marleys Geist
Marley war tot, damit wollen wir anfangen. Kein Zweifel kann
darüber bestehen. Der Schein über seine Beerdigung ward unterschrieben
von dem Geistlichen, dem Küster, dem Leichenbestatter und den vornehmsten
Leidtragenden. Scrooge unterschrieb ihn, und Scrooges Name wurde auf der
Börse respektiert, wo er ihn nur hinschrieb. Der alte Marley war so
tot wie ein Türnagel.
Versteht mich recht! Ich will nicht etwa sagen, daß ein
Türnagel etwas besonders Totes für mich hätte. Ich selbst
möchte fast zu der Meinung neigen, daß das toteste Stück
Eisen auf der Welt ein Sargnagel sei. Aber die Weisheit unsrer Altvordern
liegt in den Gleichnissen, und meine unheiligen Hände sollen sie dort
nicht stören, sonst wäre es um das Vaterland geschehen. Man wird
mir also erlauben, mit besonderem Nachdruck zu wiederholen, daß Marley
so tot wie ein Türnagel war.
Wußte Scrooge, daß er tot war? Natürlich wußte
er's. Wie sollte es auch anders sein? Scrooge und er waren, ich weiß
nicht seit wieviel Jahren, Kompagnons. Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker,
sein einziger Verwalter, sein einziger Erbe, sein einziger Freund und sein
einziger Leidtragender. Und selbst Scrooge war von dem traurigen Ereignis
nicht so schrecklich mitgenommen, um nicht selbst am Begräbnistag
ein vortrefflicher Geschäftsmann sein und ihn mit einem unzweifelhaft
guten Handel feiern zu können.
Nun bringt mich die Erwähnung von Marleys Begräbnistag
wieder zu dem Ausgangspunkt meiner Erzählung zurück. Es gibt
keinen Zweifel, daß Marley tot war. Das muß scharf ins Auge
gefaßt werden, sonst kann in der Geschichte, die ich erzählen
will, nichts Wunderbares geschehen. Wenn wir nicht vollkommen fest überzeugt
wären, daß Hamlets Vater tot ist, ehe das Stück beginnt,
so wäre durchaus nichts Merkwürdiges in seinem nächtlichen
Spaziergang bei scharfem Ostwind auf den Mauern seines eigenen Schlosses.
Nicht mehr, als bei jedem anderen Herrn in mittleren Jahren, der sich nach
Sonnenuntergang rasch zu einem Spaziergang auf einem luftigen Platz entschließt,
zum Beispiel auf dem Sankt-Pauls-Kirchhof.
Scrooge ließ Marleys Namen nicht ausstreichen. Noch nach
Jahren stand über der Tür des Speichers »Scrooge und Marley«.
Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt. Leute, die Scrooge
nicht kannten, nannten ihn zuweilen Scrooge und zuweilen Marley; aber er
hörte auf beide Namen, denn es galt ihm beides gleich.
Oh, er war ein wahrer Blutsauger, dieser Scrooge! Ein gieriger,
zusammenkratzender, festhaltender, geiziger alter Sünder: hart und
scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen warmen Funken geschlagen
hat, verschlossen und selbstgenügsam und ganz für sich, wie eine
Auster. Die Kälte in seinem Herzen machte seine alten Gesichtszüge
starr, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht runzlig, seinen Gang
steif, seine Augen rot, seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus
seiner krächzenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag auf seinem
Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf dem starken struppigen Bart. Er schleppte
seine eigene niedere Temperatur immer mit sich herum: in den Hundstagen
kühlte er sein Kontor wie mit Eis, zur Weihnachtszeit machte er es
nicht um einen Grad molliger.
Äußere Hitze und Kälte wirkten wenig auf Scrooge.
Keine Wärme konnte ihn wärmen, keine Kälte frösteln
machen. Kein Wind war schneidender als er, kein Schneegestöber erbarmungsloser,
kein klatschender Regen einer Bitte weniger zugänglich. Schlechtes
Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der ärgste Regen, Schnee oder Hagel
konnten sich nur in einer Art rühmen, besser zu sein als er: sie gaben
oft im Überfluß, und das tat Scrooge nie und nimmer.
Niemals kam ihm jemand auf der Straße entgegen, um mit
freundlichen Blicken zu ihm zu sagen:»Mein lieber Scrooge, wie geht's,
wann werden Sie mich einmal besuchen?« Kein Bettler sprach ihn um
eine Kleinigkeit an, kein Kind fragte ihn, wie spät es sei, kein Mann
und keine Frau hat ihn je in seinem Leben nach dem Weg gefragt. Selbst
der Hund des Blinden schien ihn zu kennen, und wenn er ihn kommen sah,
zog er seinen Herrn in einen Torweg und wedelte dann mit dem Schwanz, als
wollte er sagen: »Gar kein Auge, blinder Herr, ist besser als ein
böses Auge.«
Doch was kümmerte all das den alten Scrooge? Gerade das
gefiel ihm. Allein seinen Weg durch die engen Pfade des Lebens zu wandern,
jedem menschlichen Gefühl zu sagen: »Bleibe mir fern«;
das war es, was Scrooge gefiel.
Einmal, es war von allen guten Tagen im Jahr der beste, der
Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Kontor. Draußen
war es schneidend kalt und neblig, und er konnte hören, wie die Leute
im Hof, um sich zu erwärmen, prustend auf und nieder gingen, die Hände
aneinander schlugen und mit den Füßen stampften. Es hatte eben
erst drei Uhr geschlagen, doch war es schon stockfinster. Den ganzen Tag
über war es nicht hell geworden, und die Kerzen in den Fenstern der
benachbarten Kontore flackerten wie rote Flecken auf der dicken braunen
Luft. Der Nebel drang durch jede Spalte und durch jedes Schlüsselloch
und war draußen so dick, daß die gegenüberliegenden Häuser
des sehr kleinen Hofes wie ihre eigenen Geister aussahen. Wenn man die
trübe, dicke, alles verfinsternde Wolke heruntersinken sah, hätte
man meinen können, die Natur wohne dicht nebenan und braue en gros.
Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen
Kommis beaufsichtigen konnte, der in einem erbärmlich feuchten, kleinen
Raum, einer Art Burgverlies, Briefe kopierte. Scrooge hatte nur ein sehr
kleines Feuer, aber des Dieners Feuer war um so viel kleiner, daß
es nur wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen, denn
Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer, und jedesmal, wenn der
Kommis mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte sein Herr,
es sei wohl nötig, daß sie sich trennten. Worauf der Kommis
seinen weißen Schal umband und versuchte, sich an dem Licht zu wärmen,
was aber immer fehlschlug, da er ein Mann von nicht sehr starker Einbildungskraft
war.
»Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!«
rief da eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der
so schnell hereingekommen war, daß dieser Gruß das erste war,
was man von ihm bemerkte.
»Pah«, sagte Scrooge, »dummes Zeug!«
Der Neffe war vom schnellen Laufen so warm geworden, daß
er über und über glühte; sein Gesicht war rot und hübsch,
seine Augen glänzten und sein Atem rauchte.
»Weihnachten dummes Zeug, Onkel?« sagte Scrooges
Neffe. »Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
»Es ist mein Ernst«, sagte Scrooge. »Fröhliche
Weihnachten? Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was
für einen Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.«
»Nun«, antwortete der Neffe heiter, »was für
ein Recht haben Sie, grämlich zu sein? Was für einen Grund, mürrisch
zu sein? Sie sind reich genug.«
Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort darauf bereit
hatte, sagte noch einmal »Pah!« und brummte hinterher »Dummes
Zeug!«
»Seien Sie nicht böse, Onkel«, sprach der Neffe.
»Was soll ich anderes sein«, antwortete der Onkel,
»wenn ich in einer Welt voll solcher Narren lebe? Fröhliche
Weihnachten! Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten
für dich anderes, als eine Zeit, in der du Rechnungen bezahlen sollst,
ohne Geld zu haben, eine Zeit, in der du dich um ein Jahr älter und
nicht um eine Stunde reicher findest, eine Zeit, in der du deine Bücher
abschließest und in jedem Posten durch ein volles Dutzend von Monaten
ein Defizit siehst? Wenn es nach mir ginge«, setzte Scrooge heftig
hinzu, »so müßte jeder Narr, der mit seinem ›Fröhliche
Weihnachten‹ herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit
einem Stechpalmenzweig im Herzen begraben werden.«
»Onkel!« bat der Neffe.
»Neffe«, antwortete der Onkel erbost, »feiere
du Weihnachten nach deiner Art und laß es mich nach meiner feiern.«
»Feiern!« wiederholte Scrooges Neffe. »Aber
Sie feiern es ja nicht.«
»Laß mich ungeschoren«, brummte Scrooge. »Mag
es dir Nutzen bringen. Es hat dir ja immer schon Nutzen gebracht.«
»Es gibt viele Dinge, die mir hätten nützen
können und die ich nicht genutzt habe, das weiß ich«,
antwortete der Neffe, »und Weihnachten ist eins davon. Aber ich weiß
gewiß, daß ich Weihnachten, abgesehen von der Verehrung, die
wir seinem heiligen Namen und Ursprung schuldig sind, immer als eine gute
Zeit betrachtet habe, als eine liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und
Barmherzigkeit, als die einzige Zeit, die ich in dem ganzen langen Jahreskalender
kenne, da die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun
und die andern Menschen ansehen, als wären sie wirklich Reisegefährten
nach dem Grabe und nicht eine ganz andere Art von Geschöpfen, die
einen ganz andern Weg gehen. Und daher, Onkel, wenn es mir auch niemals
ein Stück Gold oder Silber in die Tasche gebracht hat, daher glaube
ich doch, es hat mir Gutes getan, und es wird mir Gutes tun, und ich sage
›Gott segne das Weihnachtsfest!‹«
Der Diener in dem Burgverlies draußen applaudierte unwillkürlich;
aber im Augenblick darauf fühlte er auch die Unschicklichkeit seines
Betragens, schürte die Kohlen und löschte dadurch die letzten
kleinen Funken unwiederbringlich.
»Wenn Sie da drin mich noch einen einzigen Laut hören
lassen«, sagte Scrooge, »so feiern Sie Ihre Weihnachten mit
dem Verlust Ihrer Stelle. - Du bist ein ganz gewaltiger Redner«,
fügte er dann hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. »Es wundert
mich, daß du noch nicht ins Parlament gekommen bist!«
»Seien Sie nicht böse, Onkel. Essen Sie morgen mit
uns.«
Scrooge sagte, daß er ihn erst verdammt sehen wolle; ja
wahrhaftig, er sprach sich so deutlich aus.
»Aber warum?« rief Scrooges Neffe. »Warum
denn?«
»Warum hast du dich verheiratet?« fragte Scrooge.
»Weil ich mich verliebte.«
»Weil er sich verliebte!« brummte Scrooge, als sei
dies das einzige Ding in der Welt, das noch lächerlicher als eine
fröhliche Weihnacht ist. »Guten Abend!«
»Aber Onkel, Sie haben mich ja auch vorher nie besucht.
Warum soll es da ein Grund sein, mich jetzt nicht zu besuchen?«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
»Ich brauche nichts von Ihnen, ich verlange nichts von
Ihnen, warum können wir nicht gute Freunde sein?«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
»Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so hartnäckig
zu finden. Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld
gewesen wäre. Aber ich habe den Versuch gemacht, Weihnachten zu Ehren,
und ich will meine Weihnachtsstimmung bis zuletzt behalten. Fröhliche
Weihnachten, Onkel!«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
»Und ein glückliches Neujahr!«
»Guten Abend!« sagte Scrooge.
Trotz allem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses
Wort. An der Haustür blieb er dann stehen, um mit dem Glückwunsch
des Tages den Kommis zu begrüßen, der trotz der Kälte dennoch
wärmer war als Scrooge, denn er gab den Gruß freundlich zurück.
»Das ist auch so ein Kerl!« brummte Scrooge, der
es hörte. »Mein Kommis, mit fünfzehn Shilling die Woche
und Frau und Kindern, spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich gehe
nach Bedlam ins Irrenhaus.«
Der Kommis hatte, als er den Neffen hinausließ, zwei andere
Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige, wohlansehnliche Herren,
die jetzt, mit dem Hut in der Hand, in Scrooges Kontor standen. Sie hatten
Bücher und Papiere unterm Arm und verbeugten sich.
»Scrooge und Marley, glaube ich«, sagte einer der
Herren, indem er auf seine Liste sah. »Hab ich die Ehre, mit Mr.
Scrooge oder mit Mr. Marley zu sprechen?«
»Mr. Marley ist seit sieben Jahren tot«, antwortete
Scrooge. »Er starb heute vor sieben Jahren.«
»Wir zweifeln nicht, daß sein überlebender
Kompagnon ganz seine Freigebigkeit besitzen wird«, sagte der Herr,
indem er ihm sein Beglaubigungsschreiben überreichte.
Er hatte ganz recht, denn sie waren wirklich zwei verwandte
Seelen gewesen. Bei dem ominösen Wort Freigebigkeit runzelte Scrooge
die Stirn, schüttelte den Kopf und gab das Papier zurück.
»An diesem festlichen Tage des Jahres, Mr. Scrooge«,
sagte der Herr, eine Feder ergreifend, »ist es mehr als sonst wünschenswert,
wenigstens einigermaßen für die Armen zu sorgen, die zu dieser
Zeit in großer Bedrängnis leben. Vielen Tausenden fehlen selbst
die notwendigsten Bedürfnisse, Hunderttausenden die notdürftigsten
Bequemlichkeiten des Lebens.«
»Gibt es keine Gefängnisse?« fragte Scrooge.
»Überfluß an Gefängnissen«, sagte
der Herr, die Feder wieder hinlegend.
»Und die Armenhäuser?« fragte Scrooge. »Bestehen
die noch?«
»Allerdings«, antwortete der Herr, »aber doch
wünschte ich, sie brauchten weniger in Anspruch genommen zu werden.«
»Tretmühle und Armengesetz sind in voller Kraft?«
sagte Scrooge.
»Beide haben alle Hände voll zu tun.«
»So? Nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich,
es halte sie etwas in ihrem nützlichen Gang auf«, sagte Scrooge.
»Ich freue mich, das Gegenteil zu hören.«
»In der Überzeugung, daß sie doch wohl kaum
imstande sind, der Seele oder dem Leib der Armen christliche Stärkung
zu geben«, entgegnete der Herr, »sind einige von uns zur Veranstaltung
einer Sammlung zusammengetreten, um für die Armen Nahrungsmittel und
Feuerung anzuschaffen. Und wir wählen diese Zeit, weil sie vor allen
andern eine Zeit ist, da der Mangel am bittersten gefühlt wird und
nur der Reiche sich freut. Welche Summe darf ich für Sie aufschreiben?«
»Nichts«, antwortete Scrooge.
»Sie wünschen ungenannt zu bleiben?«
»Ich wünsche, daß man mich in Ruhe läßt«,
sagte Scrooge. »Da Sie mich fragen, meine Herren, was ich wünsche,
so ist eben dies meine Antwort. Ich freue mich selbst nicht zu Weihnachten
und habe nicht die Mittel, mit meinem Geld Faulenzern Freude zu machen.
Ich trage meinen Teil zu den Anstalten bei, die ich genannt habe; sie kosten
genug, und wem es schlecht geht, der mag dorthin gehen!«
»Viele können nicht hingehen, und viele würden
eher sterben.«
»Wenn sie eher sterben würden«, sagte Scrooge,
»so wäre es gut, wenn sie es täten und die überflüssige
Bevölkerung dadurch verminderten. Übrigens, Sie entschuldigen,
ich weiß nichts davon.«
»Aber Sie könnten es wissen«, bemerkte der
Herr.
»Es kümmert mich nichts«, antwortete Scrooge.
»Es genügt, wenn ein Mann sein eignes Geschäft versteht
und sich nicht in das anderer Leute mischt. Das meinige nimmt meine ganze
Zeit in Anspruch. Guten Abend, meine Herren!«
Da sie deutlich einsahen, wie vergeblich weitere Versuche sein
würden, zogen sich die Herren zurück. Scrooge setzte sich wieder
an die Arbeit mit einer erhöhten Meinung von sich selbst und in einer
bessern Laune als gewöhnlich.
Nebel und Dunkelheit hatten inzwischen so zugenommen, daß
die Leute mit brennenden Fackeln herumliefen, um den Wagen vorzuleuchten.
Der alte Kirchturm, dessen brummende alte Glocke sonst unverwandt aus einem
alten gotischen Fenster in der Mauer listig auf Scrooge herabsah, wurde
unsichtbar in den Wolken und schlug die Stunden und Viertel mit einem zitternden
Nachklang, als wenn in dem erfrorenen Kopfe droben die Zähne klapperten.
Die Kälte wurde immer schneidender. In der Hauptstraße an der
Ecke der Sackgasse wurden die Gasleitungen ausgebessert, und die Arbeiter
hatten ein großes Feuer in einer Kohlenpfanne angezündet. Darum
herum drängten sich einige zerlumpte Männer und Knaben, die über
den Flammen behaglich blinzelnd sich die Hände wärmten. Aus der
eisernen Pumpe, sich selbst überlassen, floß ungehindert Wasser
aus, aber bald war es zu Eis erstarrt. Der Lichtschimmer der Läden,
in deren Fenstern Stechpalmenzweige und Beeren in der Lampenwärme
knisterten, rötete die bleichen Gesichter der Vorübergehenden.
Die Gewölbe der Geflügel- und Materialwarenhändler sahen
aus wie ein glänzendes, fröhliches Märchenland, und es schien
fast unmöglich, damit den Gedanken an eine so langweilige Sache wie
Kauf und Verkauf zu verbinden. Der Lord Mayor gab in den innern Gemächern
des Mansion House seinen fünfzig Köchen und Kellermeistern Befehl,
Weihnachten zu feiern, wie es eines Lord Mayors würdig ist, und selbst
der kleine Schneider, den er am Montag vorher wegen Trunkenheit und blutrünstiger
Äußerungen in der Öffentlichkeit mit fünf Shilling
gestraft hatte, rührte den Pudding für morgen in seinem Dachkämmerchen,
während seine magere Frau mit dem Säugling auf dem Arm wegging,
um das Roastbeef zu kaufen.
Immer nebliger und kälter wurde es, durchdringend, schneidend
kalt. Wenn der gute, heilige Dunstan die Nase des Gottseibeiuns nur mit
einem Hauch von diesem Wetter gefaßt hätte, anstatt seine gewöhnlichen
Waffen zu gebrauchen, dann hätte er wohl recht gebrüllt. Der
Inhaber einer kleinen, jungen Nase, an der die hungrige Kälte biß
und nagte, wie Hunde an einem Knochen, legte sich an Scrooges Schlüsselloch,
um ihn mit einem Weihnachtsliede zu erfreuen. Aber beim ersten Ton des
Liedes ergriff Scrooge das Lineal mit einer solchen Heftigkeit, daß
der Sänger voll Schrecken entfloh und das Schlüsselloch dem Nebel
und dem noch verwandteren Frost überließ.
Endlich kam die Feierabendstunde. Unwillig stieg Scrooge von
seinem Sessel und gab dadurch dem harrenden Kommis in dem Verlies stillschweigend
die Einwilligung zum Aufbruch, worauf dieser sogleich das Licht auslöschte
und den Hut aufsetzte.
»Sie wollen morgen den ganzen Tag frei haben, vermute
ich«, sagte Scrooge.
»Wenn es Ihnen recht ist, Sir.«
»Es ist mir durchaus nicht recht«, sagte Scrooge,
»und es gehört sich auch nicht. Wenn ich Ihnen eine halbe Krone
dafür abzöge, würden Sie denken, es geschähe Ihnen
Unrecht, nicht wahr?«
Der Kommis antwortete mit einem gezwungenen Lächeln.
»Und doch«, sagte Scrooge, »denken Sie nicht
daran, daß mir Unrecht geschieht, wenn ich einen Tag Lohn bezahle
für einen Tag Faulenzen.«
Der Kommis bemerkte, daß es ja nur einmal im Jahr geschähe.
»Eine armselige Entschuldigung, um an jedem fünfundzwanzigsten
Dezember eines Mannes Tasche zu bestehlen«, murrte Scrooge, indem
er seinen Überrock bis an das Kinn zuknöpfte. »Aber ich
vermute, Sie wollen den ganzen Tag frei haben? Seien Sie wenigstens übermorgen
um so früher hier!«
Der Kommis versprach es, und Scrooge ging mit einem Brummen
fort. Das Kontor war im Nu geschlossen, und der Kommis, dem die langen
Enden seines weißen Schals um die Beine baumelten, schlitterte zu
Ehren des Festes in einer Reihe von Knaben zwanzigmal Cornhill hinunter;
dann lief er so schnell wie möglich in seine Wohnung in Camden Town,
um dort Blindekuh zu spielen.
Scrooge nahm sein einsames, trübseliges Mahl in seinem
gewöhnlichen, einsamen, trübseligen Gasthaus ein, und nachdem
er alle Zeitungen gelesen und sich den Rest des Abends mit seinem Bankjournal
vertrieben hatte, ging er nach Hause zurück, um zu schlafen. Er wohnte
in den Zimmern, die seinem verstorbenen Kompagnon gehört hatten. Es
war eine düstere Flucht von Zimmern in einem niedrigen, dunklen Gebäude,
das in seinen Hof so ganz und gar nicht hineinpaßte, daß man
fast hätte glauben mögen, es habe sich, als es noch ein junges
Haus war und mit andern Häusern Versteck spielte, dorthin verlaufen
und nicht wieder hinausfinden können. jetzt war es alt und öde,
weil niemand dort wohnte als Scrooge und alle andern Örtlichkeiten
als Geschäftsräume vermietet waren. Der Hof war so dunkel, daß
selbst Scrooge, der dort jeden Pflasterstein kannte, seinen Weg mit den
Händen ertasten mußte. Der Nebel und der Frost ballten sich
so dick und schwer um den schwarzen alten Torweg des Hauses, als hocke
der Wettergeist in trübem Sinnen auf der Schwelle.
Nun steht es fest, daß an dem Klopfer der Haustür
ganz und gar nichts Besonderes war als seine Größe. Auch steht
es fest, daß ihn Scrooge jeden Abend und jeden Morgen, seitdem er
das Haus bewohnte, gesehen hatte und daß Scrooge so wenig Phantasie
besaß, als irgend jemand in der City von London, mit Einschluß
des Stadtrats - wenn das zu sagen erlaubt ist -, der Aldermen und der Zünfte.
Man vergesse auch nicht, daß Scrooge, außer heute nachmittag,
keine Sekunde an seinen vor sieben Jahren verstorbenen Kompagnon gedacht
hatte. Und dann erkläre mir jemand, warum Scrooge, als er seinen Schlüssel
in das Türschloß steckte, in dem Klopfer, ohne daß dieser
sich vor seinen Augen verändert hätte, keinen Türklopfer,
sondern Marleys Gesicht sah?
Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht von so undurchdringlichem
Dunkel umgeben, wie die andern Gegenstände im Hof, sondern von einem
unheimlichen Licht, wie ein verdorbener Hummer in einem dunklen Keller.
Es blickte ihm nicht wild entgegen, oder zürnend, sondern sah Scrooge
an, wie ihn Marley gewöhnlich angesehen hatte, die gespenstige Brille
auf die gespenstige Stirn hinaufgeschoben. Das Haar stand ihm seltsam zu
Berg, wie von Atem oder heißer Luft gesträubt, und obgleich
die Augen weit offen standen, waren sie doch ohne jede Bewegung. Dies und
die leichenhafte Farbe machten das Gesicht schrecklich: aber diese Schrecklichkeit
schien eher etwas dem Gesicht Aufgezwungenes zu sein, als ein Teil seines
Ausdruckes.
Als Scrooge fest auf die Erscheinung blickte, da sah er wieder
einen Türklopfer!
Es wäre eine Unwahrheit, zu sagen, er sei nicht erschrocken
oder sein Blut habe nicht ein grausendes Gefühl durchzuckt, das ihm
seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war. Aber gewaltsam faßte
er sich, faßte mit der Hand abermals nach dem Schlüssel, drehte
ihn um, trat in das Haus und zündete sein Licht an.
Und doch zögerte er einen Augenblick, bevor er die Tür
schloß, und spähte erst vorsichtig dahinter, als fürchte
er wirklich, mit dem Anblick von Marleys Zopf erschreckt zu werden. Aber
hinter der Tür war nichts, als die Schrauben, die den Klopfer festhielten,
und so sagte er: »Bah, bah«, und warf sie hinter sich ins Schloß.
Der Schall klang wie ein Donner durch das Haus. jedes Zimmer
oben und jedes Faß in des Weinhändlers Keller unten schien mit
seinem besonderen Echo zu antworten. Scrooge war nicht der Mann, der sich
durch Echos erschrecken ließ. Er schloß die Tür, ging
über den Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam, langsam
und beim Hinaufgehen das Licht heller machend.
Man mag behaupten, daß sich's mit einem Sechsspänner
eine stattliche alte Treppenflucht hinauf - oder mitten durch ein neues
Parlamentsdekret hindurchsausen lasse; ich sage aber, daß man mit
einem Leichenwagen, und zwar der Quere nach, mit der Deichsel nach der
Wand und mit der Tür nach dem Geländer zu, diese Treppe hinaufgekommen
wäre, und zwar ganz bequem. Und das ist vielleicht die Ursache, warum
Scrooge glaubte, er sähe einen Leichenwagen vor sich hinaufdampfen.
Ein halbes Dutzend Gaslampen von der Straße aus hätten den Eingang
nicht hell genug gemacht, und so kann man sich denken, daß es bei
Scrooges kleinem Talglicht ziemlich dunkel blieb.
Scrooge aber ging hinauf und kümmerte sich keinen Pfifferling
um all das. Dunkelheit ist billig, und das Billige liebte Scrooge. Aber
ehe er seine schwere Tür zumachte, ging er durch die Zimmer, um zu
sehen, ob alles in Ordnung sei. Er erinnerte sich des Gesichts noch gerade
genug, um das zu wünschen.
Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer, alles war, wie es sein
sollte. Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa; ein kleines Feuer
auf dein Rost, Löffel und Teller bereit und das kleine Töpfchen
Haferschleim (Scrooge hatte den Schnupfen) auf dem Feuer. Niemand unter
dem Bett, niemand im Alkoven, niemand in seinem Schlafrock, der auf eine
ganz verdächtige Weise an der Wand hing. Die Rumpelkammer wie gewöhnlich.
Ein alter Kaminschirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger
Waschtisch und ein Schüreisen.
Vollkommen zufriedengestellt, machte er die Tür zu, schloß
sich ein und schob noch den Riegel vor, was sonst seine Gewohnheit nicht
war, So gegen Überraschung sichergestellt, legte er seine Halsbinde
ab, zog seinen Schlafrock an und die Pantoffeln, setzte die Nachtmütze
auf und nahm dann vor dem Feuer Platz, um seinen Haferschleim zu essen.
Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, in einer so kalten Nacht
so gut wie gar keins. Er mußte sich dicht daran setzen und sich darüber
hinbeugen, um das geringste Wärmegefühl von dieser Handvoll Kohlen
zu erhaschen. Der Kamin war vor langen Jahren von einem holländischen
Kaufmann gebaut worden und ringsum mit seltsamen holländischen Fliesen
mit Bildern aus der biblischen Geschichte belegt. Da sah man Kain und Abel,
Pharaos Töchter, die Königin von Saba, Engel durch die Luft auf
Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham, Belsazar, Apostel in
See gehend auf Butterschiffen, Hunderte von Figuren, seine Gedanken zu
beschäftigen, und doch kam das Gesicht Marleys wie der Stab des alten
Propheten und verschlang alles andere. Wenn jede glänzende Fliese
weiß gewesen wäre und die Macht gehabt hätte, aus den vereinzelten
Fragmenten seiner Gedanken ein Bild auf ihre Fläche zu zaubern, auf
jeder wäre ein Abbild von des alten Marley Gesicht erschienen.
»Dummes Zeug!« brummte Scrooge und schritt durch
das Zimmer.
Nachdem er einige Male auf und ab gegangen war, setzte er sich
wieder. Als er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, fiel sein Auge wie
durch Zufall auf eine Klingel, eine alte, nicht mehr gebrauchte Klingel,
die zu einem jetzt vergessenen Zwecke mit einem Zimmer im obersten Stockwerk
des Hauses in Verbindung stand. Zu seinem großen Erstaunen und mit
einem seltsamen, unerklärlichen Schauer sah er, wie die Klingel sich
zu bewegen begann: erst bewegte sie sich so wenig, daß sie kaum einen
Ton von sich gab, aber bald schellte sie laut und mit ihr jede andre Klingel
des Hauses.
Das mochte eine halbe Minute gedauert haben, oder eine ganze,
aber es kam ihm vor wie eine Stunde. Die Klingeln hörten gleichzeitig
auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Dann vernahm man ein Rasseln
tief unten, als ob jemand über die Fässer in des Weinhändlers
Keller eine schwere Kette schleppe. jetzt erinnerte sich Scrooge gehört
zu haben, daß Gespenster Ketten schleppen.
Die Kellertür flog mit einem dumpfdröhnenden Knall
auf, und dann hörte er das Klirren viel lauter auf dem Hausflur unten,
dann wie es die Treppe herauf und dann wie es gerade auf seine Tür
zukam.
»Es ist ja dummes Zeug«, sagte Scrooge. »Ich
glaube nicht dran.«
Aber er wechselte doch die Farbe, als es nun ohne zu verweilen,
durch die schwere Tür und in das Zimmer kam. Als es hereintrat, flammte
das sterbende Feuer auf, als riefe es: »Ich kenne ihn, Marleys Geist!«,
und die Glut sank wieder zusammen.
Dasselbe Gesicht, ganz dasselbe. Marley mit seinem Zopf, seiner
gewöhnlichen Weste, den engen Hosen und hohen Stiefeln, deren Troddeln
in die Höhe standen, wie sein Zopf, und ebenso seine Rockschöße
und das Haar auf seinem Kopf. Die Kette, die er hinter sich herschleppte,
war um seinen Leib geschlungen. Sie war lang, ringelte sich wie ein Schwanz
und war (Scrooge betrachtete sie sehr genau) aus Geldkassen, Schlüsseln,
Schlössern, Hauptbüchern, Kontrakten und schweren Börsen
aus Stahl zusammengesetzt. Sein Leib war so durchsichtig, daß Scrooge
durch die Weste hindurch die zwei Knöpfe hinten an seinem Rock sehen
konnte.
Scrooge hatte oft sagen gehört, Marley habe kein Herz,
aber erst jetzt glaubte er es.
Nein, er glaubte es selbst jetzt noch nicht. Obgleich er das
Gespenst durch und durch und vor sich stehen sah, obgleich er den erkältenden
Schauer seiner totenstarren Augen fühlte und selbst den Stoff des
Tuches erkannte, das ihm um Kopf und Kinn gebunden war und das er früher
nicht bemerkt hatte, war er dennoch ungläubig und sträubte sich
gegen das Zeugnis seiner Sinne.
»Nun«, sagte Scrooge, scharf und kalt wie gewöhnlich,
»was wollt Ihr?«
»Viel!« Das war Marleys Stimme.
»Wer seid Ihr?«
»Fragt mich, wer ich war.«
»Nun, wer wart Ihr?« fragte Scrooge lauter. »Für
einen Schatten seid Ihr ja sonderbar.«
»Als ich lebte, war ich Euer Kompagnon, Jacob Marley.«
»Könnt Ihr Euch setzen?« fragte Scrooge und
sah ihn zweifelnd an.
»Ich kann es.«
»So tut's.«
Scrooge fragte nur, weil er nicht wußte, ob sich ein so
durchsichtiger Geist setzen könne, und er fühlte die Notwendigkeit
einer unangenehmen Erklärung, wenn es ihm nicht möglich wäre.
Aber der Geist setzte sich auf der anderen Seite des Kamins nieder, als
sei er so gewohnt.
»Ihr glaubt nicht an mich?« fragte der Geist.
»Nein«, sagte Scrooge.
»Welches Zeugnis, außer dem Eurer Sinne, wollt Ihr
von meiner Wirklichkeit haben?«
»Ich weiß nicht«, sprach Scrooge.
»Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?«
»Weil sie die geringste Kleinigkeit stört«,
entgegnete Scrooge. »Eine kleine Unpäßlichkeit des Magens
macht sie zu Lügnern. Ihr könnt ein unverdautes Stück Rindfleisch,
ein Käserindchen, ein Stückchen schlechter Kartoffeln sein. Wer
Ihr auch sein möget, Ihr habt mehr vom Unterleib, als von der Unterwelt
an Euch.«
Es war nicht eben Scrooges Gewohnheit, Witze zu machen, auch
fühlte er eben jetzt keine besondere Lust dazu. Die Wahrheit ist,
daß er sich bestrebte lustig zu sein, um sich zu erleichtern und
sein Entsetzen niederzuhalten; denn die Stimme des Geistes ließ ihn
bis ins Mark erzittern.
Diesen starren, toten Augen nur einen Augenblick schweigend
gegenüberzusitzen, wäre teuflisch gewesen, das fühlte Scrooge
wohl. Auch daß das Gespenst seine eigene höllische Atmosphäre
hatte, war so grauenerregend. Scrooge fühlte sie nicht selbst, aber
doch mußte es so sein; denn obgleich das Gespenst ganz regungslos
dasaß, bewegten sich sein Haar, seine Rockschöße und seine
Stiefeltroddeln wie von dem heißen Dunst eines Ofens.
»Ihr seht diesen Zahnstocher«, sprach Scrooge, seinen
Angriff aus dem eben angeführten Grunde sogleich aufs neue beginnend
und von dem Wunsch beseelt, den starren, eisigen Blick des Gespenstes,
wenn auch nur für einen Augenblick, von sich abzulenken.
»Ja«, antwortete der Geist.
»Ihr schaut ihn ja nicht an«, sagte Scrooge.
»Aber ich sehe ihn trotzdem«, sprach das Gespenst.
»Gut denn«, antwortete Scrooge. »Ich brauche
ihn nur hinunterzuschlucken und mein ganzes übriges Leben hindurch
verfolgen mich eine Legion Kobolde, die ich selbst erschaffen habe. Dummes
Zeug, sag ich, dummes Zeug!«
Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen markerschütternden
Schrei aus und ließ seine Kette so grauenerregend und fürchterlich
klirren, daß sich Scrooge fest an seinen Stuhl halten mußte,
um nicht ohnmächtig herunterzufallen. Aber wie wuchs sein Entsetzen,
als das Gespenst das Tuch von dem Kopfe nahm, als wär es ihm zu warm
im Zimmer, so daß der Unterkiefer auf die Brust herunterklappte.
Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors
Gesicht.
»Gnade!« rief er. »Schreckliche Erscheinung,
warum verfolgst du mich?«
»Mensch mit dem irdisch gesinnten Verstand«, entgegnete
der Geist, »glaubst du an mich oder nicht?«
»Ich glaube«, sagte Scrooge, »ich muß
glauben. Aber warum wandeln Geister auf Erden, und warum kommen sie zu
mir?«
»Von jedem Menschen wird verlangt, daß seine Seele
unter seinen Mitmenschen wandle, in die Ferne und in die Nähe«,
antwortete der Geist; »und wenn die Seele dies während des Lebens
nicht tut, so ist sie verdammt, es nach dem Tode zu tun. Man ist verdammt,
durch die Welt zu wandern - ach, wehe mir! - und zu sehen, was man nicht
teilen kann, was man aber auf Erden hätte teilen können und zu
seinem Glück anwenden sollen.«
Und wieder stieß das Gespenst einen Schrei aus und schüttelte
seine Ketten und rang die schattenhaften Hände.
»Du bist gefesselt«, sagte Scrooge zitternd. »Sage
mir, warum?«
»Ich trage die Kette, die ich während meines Lebens
geschmiedet habe«, sprach der Geist. »Ich schmiedete sie Glied
für Glied und Elle für Elle; mit meinem eigenen freien Willen
lud ich sie mir auf, und mit meinem eigenen freien Willen trug ich sie.
Ihre Glieder kommen dir seltsam vor?«
Scrooge zitterte mehr und mehr.
»Oder willst du wissen«, fuhr der Geist fort, »wie
schwer und wie lang die Kette ist, die du selber trägst? Sie war gerade
so lang und so schwer wie diese hier, vor sieben Weihnachten. Seitdem hast
du daran gearbeitet! Es ist eine schwere Kette.«
Scrooge sah auf den Boden hinab, in der Erwartung, sich von
fünfzig oder sechzig Ellen Eisenkette umschlungen zu sehen; aber er
sah nichts.
»Jacob«, sagte er flehend. »Jacob Marley,
sage mir mehr. Sprich mir Trost zu, Jacob.«
»Ich habe keinen Trost zu geben«, antwortete der
Geist. »Er kommt von andern Regionen, Ebenezer Scrooge, und wird
von andern Boten zu andern Menschen gebracht. Auch kann ich dir nicht sagen,
was ich dir sagen möchte. Ein klein wenig mehr ist alles, was mir
erlaubt ist. Nirgends kann ich rasten oder ruhen. Mein Geist ging nie über
unser Kontor hinaus - merke wohl auf - im Leben blieb mein Geist immer
in den engen Grenzen unsrer schachernden Höhle; und weite Reisen liegen
noch vor mir.«
Scrooge hatte die Gewohnheit, wenn er nachdenklich wurde, die
Hand in die Hosentasche zu stecken.
Über das nachsinnend, was der Geist sagte, tat er es auch
jetzt, aber ohne die Augen zu erheben oder vom Stuhl aufzustehen.
»Du mußt dir aber viel Zeit gelassen haben, Jacob«,
bemerkte er im Ton eines Geschäftsmannes, obgleich mit viel Demut
und Ehrerbietung.
»Viel Zeit!« wiederholte der Geist.
»Sieben Jahre tot«, sagte sinnend Scrooge. »Und
die ganze Zeit über gereist.«
»Die ganze Zeit«, sagte der Geist. »Ohne Frieden,
ohne Ruhe und mit den Qualen ewiger Reue.«
»Du reisest schnell«, sagte Scrooge.
»Auf den Schwingen des Windes«, sagte der Geist.
»Du hättest eine große Strecke in sieben Jahren
bereisen können«, sagte Scrooge.
Als der Geist dies hörte, stieß er wieder einen Schrei
aus und klirrte so gräßlich mit seiner Kette durch das Grabesschweigen
der Nacht, daß ihn die Polizei mit vollem Recht wegen Ruhestörung
hätte bestrafen können.
»Oh, gefangen und gefesselt«, rief das Gespenst,
»nicht zu wissen, daß Zeitalter von unaufhörlicher Arbeit
unsterblicher Geschöpfe vergehen, ehe sich das Gute, dessen die Erde
fähig ist, entwickeln kann. Nicht zu wissen, daß jeder christliche
Geist dieses Erdenleben zu kurz finden wird, um alles Nützliche zu
tun, und wenn er auch in einem noch so kleinen Kreise wirkt. Aber ich wußte
es nicht, ach, ich wußte es nicht!«
»Aber du warst immer ein guter Geschäftsmann, Jacob«,
stotterte Scrooge zitternd, der jetzt anfing, das Schicksal des Geistes
auf sich selbst zu beziehen.
»Geschäft!« rief das Gespenst, seine Hände
abermals ringend. »Der Mensch wäre mein Geschäft gewesen!
Das allgemeine Wohl wäre mein Geschäft gewesen! Barmherzigkeit,
Versöhnlichkeit und Liebe, alles das wäre mein Geschäft
gewesen! Alles, was ich in meinem Gewerbe tat, war nur ein kleiner Tropfen
Wasser im weiten Ozean meines Geschäfts!«
Er hielt seine Kette vor sich hin, als ob sie die Ursache seines
nutzlosen Schmerzes gewesen wäre, und warf sie abermals dumpfdröhnend
nieder.
»Zu dieser Zeit des schwindenden Jahres«, sagte
das Gespenst, »leide ich am meisten. Warum ging ich mit zur Erde
gehefteten Augen durch die Schar meiner Mitmenschen und wendete meinen
Blick nie zu dem gesegneten Stern empor, der die Weisen zur Wohnung der
Armut führte? Gab es keine arme Hütte, wohin mich sein Licht
hätte leiten können?«
Scrooge hörte mit Entsetzen das Gespenst so reden und fing
an gewaltig zu zittern.
»Höre mich«, mahnte der Geist. »Meine
Zeit ist halb vorbei.«
»Ich höre«, hauchte Scrooge. »Aber mach
es gnädig mit mir! Werde nicht hitzig, Jacob, ich bitte dich.«
»Wie es kommt, daß ich in einer dir sichtbaren Gestalt
vor dich treten kann, das weiß ich nicht. Viele, viele Tage habe
ich unsichtbar neben dir gesessen.«
Das war kein angenehmer Gedanke. Scrooge schauderte und wischte
sich den Schweiß von der Stirn.
»Es ist kein leichter Teil meiner Sühne«, fuhr
der Geist fort. »Heute nacht komme ich zu dir, um dich zu warnen,
da du noch die Möglichkeit hast, meinem Schicksal zu entgehen. Eine
Möglichkeit und eine Hoffnung, die du mir zu verdanken hast.«
»Du bist immer mein guter Freund gewesen«, murmelte
Scrooge. »Ich danke dir.«
»Drei Geister«, fuhr das Gespenst fort, »werden
zu dir kommen.« Bei diesen Worten wurde Scrooges Angesicht fast so
unglücklich wie das des Gespenstes.
»Ist das die Möglichkeit und die Hoffnung, die du
genannt hast, Jacob?« fragte er mit bebender Stimme.
»Ja.«
»Ich - ich möchte lieber nicht«, sagte Scrooge.
»Ohne ihr Kommen«, sagte der Geist, »kannst
du nicht hoffen, den Pfad zu vermeiden, dem ich nun folgen muß. Erwarte
den ersten morgen früh, wenn die Glocke eins schlägt.«
»Könnte ich sie nicht alle miteinander hinter mich
bringen?« meinte Scrooge.
»Erwarte den zweiten in der nächsten Nacht um dieselbe
Stunde. Den dritten in der darauffolgenden Nacht, wenn der letzte Schlag
der zwölften Stunde verklungen ist. Schau mich an, denn du siehst
mich nicht wieder; und schau mich an, damit du dich um deinetwillen an
das erinnerst, was zwischen uns vorgefallen ist.«
Als es diese Worte gesprochen hatte, nahm das Gespenst das Tuch
vom Tisch und band es sich wieder um den Kopf. Scrooge merkte es am Geräusch
der Zähne, als die Kinnladen zusammenklappten. Er wagte, die Augen
zu erheben, und sah seinen übernatürlichen Besuch vor sich stehen,
die Augen noch starr auf ihn geheftet und die Kette um Leib und Arme gewunden.
Die Erscheinung entfernte sich rückwärtsgehend, und
bei jedem Schritt öffnete sich das Fenster ein wenig, so daß
es weit offen stand, als das Gespenst es erreicht hatte. Es winkte Scrooge,
näher zu kommen, und er tat es. Als sie noch zwei Schritte voneinander
entfernt waren, hob Marleys Geist die Hand und gebot ihm, nicht näher
zu kommen. Scrooge stand still. Mehr aus Überraschung und Furcht,
als aus Gehorsam, denn wie sich die gespenstige Hand erhob, hörte
er verwirrte Klänge durch die Luft schwirren und unzusammenhängende
Töne der Klage und des Leides, unsäglich schmerzlich und reuevoll.
Das Gespenst hörte eine Weile zu und stimmte dann in das Klagelied
ein; dann schwebte es in die dunkle, kalte Nacht hinaus.
Scrooge trat an das Fenster, von Neugier fast zur Verzweiflung
getrieben. Er sah hinaus.
Die Luft war mit Schatten angefüllt, die in ruheloser Hast
klagend hin und her schwebten. jeder trug eine Kette wie Marleys Geist;
einige wenige waren zusammengeschmiedet (wahrscheinlich schlechte Minister),
keiner war ganz fessellos. Viele waren Scrooge während ihres Lebens
bekannt gewesen. Ganz genau hatte er einen alten Geist in einer weißen
Weste gekannt, der einen ungeheuren eisernen Geldkasten hinter sich herschleppte
und jämmerlich schrie, einer armen, alten Frau mit einem Kind nicht
beistehen zu können, die unten auf einer Türschwelle saß.
Man sah es deutlich, ihre Pein war, sich umsonst bestreben zu müssen,
den Menschen Gutes zu tun und die Macht dazu auf immer verloren zu haben.
Ob diese Wesen in dem Nebel zergingen oder ob sie der Nebel
einhüllte, wußte er nicht zu sagen. Aber sie und ihre Gespensterstimmen
vergingen gleichzeitig, und die Nacht wurde wieder so, wie sie auf seinem
Nachhauseweg gewesen war.
Scrooge schloß das Fenster und untersuchte die Tür,
durch die das Gespenst eingetreten war. Sie war noch verschlossen und verriegelt
wie vorher. Er versuchte zu sagen: »Dummes Zeug«, blieb aber
bei der ersten Silbe stecken, und da er von der innern Bewegung, oder von
den Anstrengungen des Tages, oder von seinem Einblick in die unsichtbare
Welt, oder von der Unterhaltung mit dem Gespenst, oder der späten
Stunde sehr erschöpft war, ging er sogleich ins Bett, ohne sich auszuziehen,
und sank sofort in Schlaf.
http://gutenberg.aol.de/dickens/weihlied/weihl002.htm
Zweite Strophe
Der erste Geist
Als Scrooge wieder erwachte, war es so finster, daß er
das Fenster kaum von den Wänden seines Zimmers unterscheiden konnte.
Er bemühte sich, die Finsternis mit seinen Katzenaugen zu durchdringen,
als die Glocke eines Turmes in der Nachbarschaft mit vier Viertelschlägen
die volle Stunde ankündigte. Er lauschte, um die Stundenschläge
zu hören.
Zu seinem großen Erstaunen schlug die Glocke fort, von
sechs zu sieben, von sieben zu acht und so weiter bis zwölf; dann
schwieg sie.
Zwölf! Es war zwei vorübergewesen, als er sich zu
Bett gelegt hatte. Das Uhrwerk mußte falsch gehen.
Ein Eiszapfen mußte zwischen die Räder gekommen sein.
Zwölf!
Er drückte an die Feder seiner Repetieruhr, um die verrückte
Glocke zu kontrollieren. Ihr kleiner lebhafter Puls schlug zwölf und
schwieg.
»Was! Das ist doch nicht möglich«, sagte Scrooge.
»Ich soll den ganzen Tag und bis tief in die andere Nacht hinein
geschlafen haben? Es kann doch nicht sein, daß der Sonne etwas passiert
und es mittags um zwölf ist?«
Mit diesen unruhigen Gedanken beschäftigt, stieg er aus
dem Bett und tappte nach dem Fenster. Er mußte das Eis erst wegkratzen
und das Fenster mit dem Ärmel seines Schlafrockes abwischen, ehe er
etwas sehen konnte; und auch nachher konnte er nur sehr wenig sehen. Alles,
was er bemerkte, war, daß es noch sehr neblig und sehr kalt war,
und daß man nicht den Lärm hin und her eilender Leute hörte,
was doch gewiß vernehmbar gewesen wäre, wenn Nacht plötzlich
den hellen Tag vertrieben und von der Welt Besitz genommen hätte.
Das war ein großer Trost, weil Bedingungen wie »Drei Tage nach
Sicht bezahlen Sie diesen Primawechsel an Mr. Ebenezer Scrooge oder dessen
Order« und so weiter bloße Vereinigte-Staaten-Sicherheiten
wären, wenn es keine Tage mehr gab, um danach zu zählen.
Scrooge legte sich wieder ins Bett und dachte darüber nach,
konnte aber zu keinem Schluß kommen. Je mehr er nachdachte, desto
verwirrter wurde er, und je mehr er sich bemühte nicht nachzudenken,
desto mehr dachte er nach. Marleys Geist machte ihm viel zu schaffen. Immer,
wenn er nach reiflicher Überlegung zu dem festen Entschluß gekommen
war, das Ganze nur für einen Traum zu halten, flog sein Geist wie
eine starke vom Druck befreite Feder wieder in die alte Lage zurück
und legte ihm erneut dieselbe Frage vor, die er schon zehnmal überlegt
hatte: »War es ein Traum oder nicht?«
Scrooge blieb in diesem Zustand liegen, bis es wieder drei Viertel
schlug. Da besann er sich plötzlich, daß der Geist ihm eine
Erscheinung mit dem Schlag eins versprochen hatte. So beschloß er
wach zu bleiben, bis die Stunde vorüber sei, und wenn man bedenkt,
daß er ebensowenig schlafen, als in den Himmel kommen konnte, war
dies gewiß der klügste Entschluß, den er fassen konnte.
Die Viertelstunde war so lang, daß es ihm mehr als einmal
vorkam, er müsse unversehens in Schlaf gefallen sein und die Uhr überhört
haben. Endlich vernahm sein lauschendes Ohr die Glocke.
»Bim, bam!«
»Ein Viertel«, sagte Scrooge zählend.
»Bim, bam!«
»Halb«, sagte Scrooge.
»Bim, bam!«
»Drei Viertel«, sagte Scrooge.
»Bim, bam!« »Voll!« rief Scrooge freudig.
»Und weiter nichts!«
Er sprach das, ehe die Stundenglocke schlug, was sie jetzt mit
einem tiefen, hohlen, melancholischen Klang tat. In demselben Augenblick
wurde es hell im Zimmer, und die Vorhänge seines Bettes wurden geöffnet.
Ich sage euch, die Vorhänge seines Bettes wurden von einer
Hand weggezogen, und sich aufrichtend blickte Scrooge dem unirdischen Gast,
der sie geöffnet hatte, in das Gesicht. So dicht stand er ihm gegenüber,
wie ich jetzt im Geist neben euch stehe.
Es war eine sonderbare Gestalt, gleich einem Kind, aber doch
eigentlich nicht gleich einem Kind, sondern mehr wie ein Greis, der durch
einen wunderbaren Zauber erschien, als sei er dem Auge entrückt und
auf diese Weise so klein geworden wie ein Kind. Sein Haar, das in langen
Locken auf seine Schultern herabwallte, war weiß, wie vom Alter,
und dennoch hatte das Gesicht keine einzige Runzel, und um das Kinn bemerkte
man den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und muskulös, die Hände
ebenso, als läge in ihnen eine ungeheure Kraft. Seine Füße,
zart und fein geformt, waren entblößt, gleich den Armen. Der
Geist trug einen Talar vom reinsten Weiß; um seinen Leib schlang
sich ein Gürtel von wunderbarem Glanz. Er hielt einen frisch-grünen
Stechpalmenzweig in der Hand; aber in seltsamem Widerspruch mit diesem
Zeichen des Winters war das Kleid mit Sommerblumen verziert. Das Wunderbarste
aber war, daß von seinem Scheitel ein heller Lichtstrahl in die Höhe
schoß, der alles ringsum erleuchtete, und der gewiß die Ursache
war, daß der Geist bei weniger guter Laune einen großen Löschhut,
den er jetzt unter dein Arm trug, als Mütze aufsetzte.
Aber selbst dies war nicht seine seltsamste Eigenschaft. Denn
wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und
funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell gewesen
war, plötzlich dunkel wurde, so verwandelte sich auch die Gestalt
selbst, man wußte nicht wie: bald war es ein Ding mit einem Arm,
bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald sah man nur zwei Füße
ohne Kopf, bald einen Kopf ohne Leib; und wie einer dieser Teile verschwand,
blieb keine Spur von ihm in dem dichten Dunkel zurück, das ihn verschlang.
Und das größte Wunder dabei war: die Gestalt blieb immer dieselbe.
»Sind Sie der Geist, dessen Erscheinung mir vorhergesagt
wurde?« fragte Scrooge.
»Ich bin es.«
Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als käme
sie nicht aus dichtester Nähe, sondern aus einiger Entfernung.
»Wer und was sind Sie?« fragte Scrooge, schon etwas
mehr Mut fassend.
»Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht.«
»Einer lange vergangenen?« fragte Scrooge, seiner
zwerghaften Gestalt gedenkend.
»Nein, einer deiner vergangenen.«
Vielleicht hätte Scrooge, wenn ihn jemand befragt hätte,
nicht sagen können, warum, aber doch fühlte er ein ganz besonderes
Verlangen, den Geist unter seinem Hut zu sehen; und er bat ihn, sich zu
bedecken.
»Was?« rief der Geist. »Willst du so bald
mit irdisch gesinnter Hand das Licht, das ich spende, verlöschen?
Ist es nicht genug, daß du einer von denen bist, deren Leidenschaften
diese Mütze geschaffen haben und mich zwingen, durch lange, lange
Jahre meine Stirn damit zu verhüllen?«
Scrooge entschuldigte sich ehrfurchtsvoll, er habe nicht die
Absicht gehabt, ihn zu beleidigen, und behauptete, nicht zu wissen, daß
er irgend einmal in seinem Leben dem Geist Ursache gegeben habe, sich zu
bedecken. Dann war er so frei, zu fragen, was ihn hierher führe?
»Dein Wohl«, sagte der Geist.
Scrooge drückte ihm seine Dankbarkeit aus, konnte sich
aber doch nicht des Gedankens erwehren, daß ihm eine Nacht ungestörten
Schlafes mehr genützt hätte. Der Geist mußte ihn haben
denken hören, denn er sagte sogleich:
»Deine Besserung. Nimm dich in acht!«
Er streckte seine starke Hand aus, als er dies sprach, und ergriff
sanft seinen Arm.
»Steh auf und folge mir.«
Vergebens würde Scrooge eingewendet haben, Wetter und Stunde
seien schlecht geeignet zum Spazierengehen, das Bett sei warm und das Thermometer
ein gutes Stück unter dem Gefrierpunkt, er sei nur leicht in Pantoffeln,
Schlafrock und Nachtmütze gekleidet und habe gerade jetzt den Schnupfen.
Dem Griff, war er auch sanft wie der einer Frauenhand, war nicht zu widerstehen.
Er stand auf; aber als er sah, daß der Geist nach dem Fenster schwebte,
faßte er ihn flehend bei dem Gewand.
»Ich bin ein Sterblicher«, sagte Scrooge, »und
könnte fallen.«
»Laß meine Hand dich hier berühren«,
sagte der Geist, indem er die Hand auf das Herz legte, »und du wirst
größere Gefahren überwinden, als diese hier.«
Als er diese Worte gesprochen hatte, drangen die beiden durch
die Wand und standen plötzlich im Freien auf der Landstraße,
rings von Feldern umgeben. Die Stadt war ganz verschwunden. Keine Spur
war mehr davon. Die Dunkelheit und der Nebel waren mit ihr verschwunden,
denn es war jetzt ein klarer, kalter Wintertag und der Boden mit weißem
reinem Schnee bedeckt.
»Gütiger Himmel!« rief Scrooge, die Hände
faltend, als er um sich blickte. »Hier wurde ich geboren. Hier lebte
ich als Knabe.«
Der Geist schaute ihn mit milden Blicken an. Seine sanfte Berührung,
obgleich sie nur leise und flüchtig gewesen war, bebte immer noch
nach in dem Herzen des alten Mannes. Er fühlte, wie tausend Düfte
die Luft durchwehten, jeder mit tausend Gedanken und Hoffnungen und Freuden
und Sorgen verbunden, die lange, lange vergessen waren.
»Deine Lippen zittern«, sagte der Geist. »Und
was glänzt auf deiner Wange?«
Scrooge murmelte mit einem ungewöhnlichen Mollton in der
Stimme, es sei ein Wärzchen, und bat den Geist, ihn zu führen,
wohin er wolle.
»Erinnerst du dich des Weges?« fragte der Geist.
»Ob ich mich seiner erinnere?« rief Scrooge mit
Innigkeit. »Blindlings könnte ich ihn gehen!«
»Seltsam, daß du ihn so viele Jahre hindurch vergessen
hast«, sagte der Geist. »Komm!«
Sie schritten den Weg entlang. Scrooge erkannte jedes Tor, jeden
Pfahl, jeden Baum wieder, bis ein kleiner Marktflecken in der Ferne mit
seiner Kirche, seiner Brücke und dem hellen Fluß erschien. jetzt
kamen einige Knaben, auf zottigen Ponies reitend, auf sie zu, die anderen
Knaben in ländlichen Wagen laut zuriefen. Alle waren gar fröhlich
und laut, bis die weiten Felder so voll heiterer Musik waren, daß
die kalte, sonnige Luft lachte, sie zu hören.
»Dies sind nur Schatten der Dinge, die da gewesen sind,«
meinte der Geist, »sie wissen nichts von uns.«
Die fröhlichen Reisenden kamen näher, und Scrooge
erkannte sie jetzt alle und konnte sie alle beim Namen nennen. Warum freute
er sich über alle Maßen, sie zu sehen, warum wurde sein kaltes
Auge feucht, warum frohlockte sein Herz, als sie vorübereilten, warum
wurde sein Herz weich, wie sie an den Kreuzwegen voneinander schieden und
einander fröhliche Weihnachten wünschten?
Was gingen denn Scrooge fröhliche Weihnachten an? Der Henker
hole die fröhlichen Weihnachten! Welchen Nutzen hatte er wohl jemals
davon gehabt?
»Die Schule ist nicht ganz verlassen«, nahm der
Geist wieder das Wort. »Ein Kind, eine verlassene Waise, sitzt noch
einsam dort.«
Scrooge sagte, er wisse es. Und er schluchzte.
Sie verließen nunmehr die Heerstraße auf einem wohlbekannten
Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten Backsteinen mit einem
kleinen Türmchen auf dem Dach und einer Glocke drin. Es war ein großes
Haus, aber jetzt vernachlässigt und ziemlich verwahrlost, weil die
geräumigen Gemächer wenig gebraucht waren, die Wände feucht
und grün, die Fenster zerbrochen, die Türen morsch und halb zerfallen.
Hühner gluckten und scharrten in den Ställen, und der Wagenschuppen
war mit Gras überwachsen. Auch im Innern war nichts übriggeblieben
von seiner alten Pracht, denn als sie in den verödeten Hausflur eintraten
und durch die offenen Türen in die vielen Zimmer blickten, sahen sie
nur ärmlich ausgestattete, kalte, große Räume. Ein erdiger,
multriger Geruch lag in der Luft, eine frostige Unbehaglichkeit von allzu
häufigem Aufstehen bei Kerzenlicht und nicht allzu reichlichem Essen.
Der Geist ging mit Scrooge über den Hausflur nach einer
Tür auf der Rückseite des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen
und zeigte ihnen einen langen, kahlen, unbehaglichen Saal, den Reihen von
einfachen hölzernen Bänken noch kahler und unbehaglicher machten.
Auf einer davon saß einsam ein Knabe neben einem schwachen
Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und weinte,
als er sein eigenes, vergessenes Selbst sah, wie es in früheren Jahren
war.
Kein dumpfer Widerhall in dem Haus, kein Rascheln der Mäuse
hinter dem Getäfel, kein Getröpfel des halbgefrorenen Brunnentrogs
hinten im Hof, kein Seufzer in den blattlosen Zweigen einer verlassen trauernden
Pappel, nicht das Knarren der vom Wind hin und her bewegten Tür des
Vorratshauses im Hof, selbst nicht das Knistern des Feuers war für
Scrooge verloren. Alles fiel auf sein Herz wie erweichende Töne und
löste seine Tränen.
Der Geist berührte seinen Arm und wies auf sein jüngeres,
in ein Buch vertieftes Abbild. Plötzlich stand draußen vor dem
Fenster ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und
einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führend.
»Was! Das ist ja Ali Baba!« rief Scrooge voller
Freude aus. »Es ist der alte, liebe, ehrliche Ali Baba. Ja, ja, ich
weiß es noch. Einst zur Weihnachtszeit geschah es, daß dieser
verlassene Knabe ganz allein hier saß, und er zum ersten Male wirklich
kam, gerade wie er dort steht. Der arme Junge! Und Valentin«, fuhr
Scrooge fort, »und auch sein wilder Bruder Orson, dort gehen sie!
Und wie heißt doch der, der mitten im Schlaf vor das Tor von Damaskus
gesetzt wurde? Siehst du ihn nicht? Und der Stallmeister des Sultans, der
von den bösen Geistern auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er ja
auch! Ha, ha, es geschieht ihm schon recht! Wer hieß es ihn auch,
die Prinzessin heiraten wollen!«
Scrooge mit vollem Ernst über solche Gegenstände reden
zu hören und mit einer zwischen Lachen und Weinen schwankenden Stimme,
dann auch sein vor Freude aufgeregtes Gesicht zu sehen: das wäre für
seine Geschäftsfreunde in der City gewiß eine große Überraschung
gewesen.
»Da ist ja auch der Papagei«, rief Scrooge, »der
mit grünem Leib und gelbem Schwanz, da ist er! Der arme Robinson,
er rief ihn, als er von seiner Inselumsegelung wieder nach Hause kam ›Robinson
Crusoe, wo bist du gewesen?‹ Er glaubte, er träume, aber das war der
Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen Bucht. Es gilt das
Leben. Hallo, hob, hallo!«
Dann sagte er mit einem schnellen Wechsel der Gefühle,
der seinem gewöhnlichen Charakter sehr fremd war: »Der arme
Knabe!«, und er weinte wieder. Dann wischte er sich mit dem Ärmelaufschlag
die Augen, steckte die Hand in die Tasche und murmelte: »Ich wünschte
- aber es ist jetzt zu spät.«
»Was willst du?« fragte der Geist.
»Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern
abend sang ein Knabe ein Weihnachtslied vor meiner Tür. Ich wünschte,
ich hätte ihm etwas gegeben, weiter war es nichts.«
Der Geist lächelte gedankenvoll und winkte mit der Hand.
Dann sagte er: »Laß uns ein anderes Weihnachtsfest sehen.«
Scrooges früheres Selbst wurde bei diesen Worten größer,
und das Zimmer etwas finsterer und schwärzer, das Getäfel warf
sich, die Fensterscheiben sprangen, Stücke des Kalkbewurfs fielen
von der Decke und das bloße Lattenwerk zeigte sich: aber wie das
alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er wußte
nur, daß alles stimmte und sich ganz so zugetragen habe, und daß
er's nun wieder sei, der dort allein sitze, während die andern Knaben
nach Hause gereist waren zur fröhlichen Weihnachtsfeier.
Er las nicht, sondern ging wie in Verzweiflung im Zimmer auf
und ab. Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen Kopfschütteln
und in banger Erwartung nach der Tür.
Da ging sie auf und ein kleines Mädchen, viel jünger
als der Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Hals, küßte
ihn und begrüßte ihn als ihren »lieben, lieben Bruder«.
»Ich komme, um dich mit nach Hause zu nehmen, lieber Bruder!«
sagte das Kind, fröhlich mit den Händen klatschend. »Dich
mit nach Hause zu nehmen, nach Hause, nach Hause!«
»Nach Hause, liebe Fanny?« fragte der Knabe.
»Ja!« antwortete die Kleine in überströmender
Freude. »Nach Hause und für immer! Der Vater ist so viel freundlicher
als sonst, daß es bei uns wie im Himmel ist. Eines Abends, als ich
zu Bett ging, sprach er so freundlich mit mir, daß ich mir ein Herz
faßte und ihn fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest
-, und er sagte ja, und schickte mich im Wagen her, um dich zu holen. Und
du sollst jetzt dein freier Herr sein«, sagte das Kind und blickte
ihn bewundernd an, »und nicht mehr hierher zurückkehren; aber
erst sollen wir alle zusammen das Weihnachtsfest feiern und recht lustig
sein.«
»Du bist ja eine ordentliche Dame geworden, Fanny!«
rief der Knabe aus.
Sie klatschte in die Hände und lachte und versuchte, bis
an seinen Kopf zu reichen; aber sie war zu klein, und lachte wieder und
stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie ihn in kindlicher
Ungeduld zur Tür, und er begleitete sie mit leichtem Herzen.
Eine schreckliche Stimme im Hausflur rief: »Bringt Master
Scrooges Koffer herunter!« Es war der Lehrer selbst, der Master Scrooge
mit brutal hochnäsiger Herablassung anstierte, und ihn in großen
Schrecken setzte, als er ihm die Hand drückte. Dann führte er
ihn und seine Schwester in ein feuchtes, fröstelnerregendes Empfangszimmer,
an dessen Wänden Landkarten und in dessen Fenster die Erd- und Himmelsgloben
vor Kälte glänzten. Hier brachte er eine Flasche merkwürdig
leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen herbei
und regalierte die Kinder schonend sparsam mit diesen auserlesenen Leckerbissen.
Auch schickte er eine hungrig aussehende Magd hinaus, um dem Postillion
ein Gläschen anzubieten, wofür dieser aber mit den Worten dankte,
wenn es von demselben Faß wie das vorige sei, möchte er lieber
nicht kosten. Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf den
Wagen gebunden worden, und die Kinder nahmen ohne Rührung von dem
Schulmeister Abschied, setzten sich in den Wagen und fuhren so schnell
zum Garten hinaus, daß der Reif und der Schnee wie Schaum von den
immergrünen Gebüschen hinwegstob.
»Sie war immer ein zartes Wesen, das von einem Hauch hätte
verwelken können«, sagte der Geist. »Aber sie hatte ein
großes Herz.«
»Ja, das hatte sie«, rief Scrooge. »Ich will
nicht widersprechen, Geist. Gott verhüte es.«
»Sie starb als Frau«, sagte der Geist, »und
hatte Kinder, glaube ich.«
»Ein Kind«, antwortete Scrooge.
»Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe.«
Scrooge schien unruhig zu werden und antwortete kurz: »ja.«
Obgleich sie die Schule kaum einen Augenblick hinter sich gelassen
hatten, befanden sie sich doch plötzlich mitten in den lebendigsten
Straßen der Stadt, wo schattenhafte Fußgänger vorübergingen,
wo gespenstige Wagen und Kutschen um Platz stritten und wo das ganze wirre
Leben einer wirklichen Stadt herrschte. Am Aufputz der Läden sah man,
daß auch hier Weihnachten war; aber es war Abend und die Straßenlaternen
brannten.
Der Geist blieb vor dem Eingang eines Lagerhauses stehen und
fragte Scrooge, ob er dies kenne.
»Ob ich es kenne?« sagte Scrooge. »Hab ich
hier nicht gelernt?«
Sie traten ein. Beim Anblick eines alten Herrn in einer Stutzperücke,
der hinter einem so hohen Pult saß, daß er mit dem Kopf hätte
an die Decke stoßen müssen, wäre er zwei Zoll größer
gewesen, rief Scrooge in großer Aufregung: »Ha, das ist ja
der alte Fezziwig, Gott segne ihn, es ist Fezziwig, wie er leibt und lebt!«
Der alte Fezziwig legte seine Feder hin und sah hinauf nach
der Uhr, deren Zeiger auf sieben stand. Er rieb die Hände, zog seine
geräumige Weste herunter, schüttelte sich vor heimlichem Lachen
von Kopf bis Fuß und rief mit einer behäbigen, voll und doch
mild tönenden heiteren Stimme: »Hallo, dort! Ebenezer! Dick!«
Scrooges früheres Selbst, jetzt zu einem Jüngling
geworden, trat flink herein, begleitet von seinem Mitlehrling.
»Dick Wilkins, wahrhaftig!« sagte Scrooge zu dem
Geist. »Wahrhaftig, er ist es. Er war mir sehr zugetan, der Dick.
Der arme Dick! Du meine Güte!«
»Hallo, meine Burschen«, rief Fezziwig. »Feierabend
heute. Weihnachten, Dick! Weihnachten Ebenezer! Macht die Läden zu,
schnell! Ehe einer Jack Robinson sagen kann.« So rief der alte Fezziwig,
munter die Hände zusammenschlagend.
Kaum zu glauben, wie rasch und munter die beiden Jungen darangingen.
Sie liefen mit den Läden hinaus -eins, zwei, drei - hatten sie eingesetzt
- vier, fünf, sechs - sie zugeriegelt und zugeschraubt - sieben, acht,
neun - und kamen zurück, ehe man zwölf sagen konnte, außer
Atem, wie Rennpferde.
»Hussahoh!« rief der alte Fezziwig, mit wunderbarer
Geschicklichkeit von seinem hohen Sessel herunterspringend. »Aufräumen,
Jungens, und macht viel Platz! Hussahoh, Dick! Hallo, Ebenezer!«
Aufräumen! Es gab nichts, was sie nicht wegräumen
wollten oder wegräumen konnten, wenn der alte Fezziwig zusah. Es war
in einer Minute geschehen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde
in die Winkel geschoben, als sei es für immer aus dem öffentlichen
Dienste entlassen; der Flur wurde gekehrt und gesprengt, die Lampen geputzt,
Kohlen auf das Feuer geschüttet, und der Laden war so behaglich, so
warm und hell wie ein Ballsaal und wie man es nur an einem Winterabend
verlangen konnte.
Jetzt trat ein Fiedler mit einem Notenbuch herein, er kletterte
auf Fezziwigs hohen Stuhl, machte ihn zum Orchester und begann zu stimmen,
als hätte er fünfzigfaches Bauchweh. Dann kam Mrs. Fezziwig,
ein einziges behagliches Lächeln. Dann kamen die drei Miss Fezziwig,
freudestrahlend und liebenswürdig. Dann kamen die sechs Jünglinge,
deren Herzen sie brachen. Dann kamen die Burschen und Mädchen, die
im Haus einen Dienst hatten: das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem
Bäcker, die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freund, dem Milchmann.
Dann kam der Bursche von gegenüber, von dem man sagte, er habe bei
seinem Herrn knappe Kost; er versuchte, sich hinter dem Mädchen aus
dem Nachbarhaus zu verstecken, der man nachwies, sie sei von ihrer Herrschaft
an den Ohren gezogen worden. Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige
schüchtern, andere keck, einige mit Geschick, andere mit Ungeschick,
die zerrend und jene stoßend. Dann ging es los, zwanzig Paare auf
einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann die Mitte des Zimmers
hinauf und wieder herab, dann in zärtlichen Gruppen sich drehend:
das alte erste Paar immer an der falschen Stelle, das nächste erste
Paar immer zur falschen Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges
mehr das letzte. Als sie so weit gekommen waren, klatschte der alte Fezziwig
zum Zeichen, daß der Tanz aus sei, in die Hände und rief »Bravo!«,
und der Fiedler senkte sein glühendes Gesicht in einen Krug Porter,
der besonders zu diesem Zweck neben ihm stand. Aber kaum war er wieder
heraus, als er, obgleich noch keine Tänzer dastanden, wieder aufzuspielen
begann, als sei der alte Fiedler erschöpft nach Hause getragen worden
und er ein ganz frischer, entschlossen, den alten vergessen zu machen oder
zu sterben.
Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele
und wieder Tänze. Dann kam Kuchen und Negus und ein großes Stück
kalter Braten, und dann ein großes Stück kaltes Siedfleisch
und Fleischpasteten und viel Bier. Aber der Glanzpunkt des Abends kam nach
dem Siedfleisch, als der Fiedler (ein heller Kopf, er kannte sein Geschäft
besser, als ihr oder ich es hätte lehren können) den Großvatertanz
»Sir Roger de Coverley«zu spielen begann. Da trat der alte
Fezziwig mit Mrs. Fezziwig an, und zwar als das erste Paar. Sie hatten
ein gutes Stück Arbeit vor sich, drei- oder vierundzwanzig Partner,
Leute, mit denen nicht zu spaßen war, Leute, die tanzen wollten und
keine Lust hatten, zu spazieren.
Aber selbst wenn es zweimal, ja viermal soviel gewesen wären,
hätte es der alte Fezziwig mit ihnen aufgenommen und auch Mrs. Fezziwig.
Sie war im vollen Sinn des Wortes würdig, seine Tänzerin zu sein.
Wenn das kein großes Lob ist, so sagt mir ein größeres
und ich will es aussprechen. Von Fezziwigs Waden schien ein eigener Glanz
auszugehen. Sie leuchteten in jedem Teil des Tanzes wie ein Paar Monde.
Ihr hättet zu keiner Minute voraussagen können, was aus ihnen
in der nächsten wird. Und als der alte Fezziwig und Mrs. Fezziwig
alle Touren des Tanzes durchgemacht hatten, sprang Fezziwig so geschickt,
als zwinkere er mit den Beinen, und kam, ohne zu wanken, wieder auf die
Füße.
Mit dem Glockenschlag elf war dieser häusliche Ball zu
Ende. Mr. und Mrs. Fezziwig stellten sich zu beiden Seiten der Tür
auf, schüttelten jedem einzelnen der Gäste die Hand zum Abschied
und wünschten ihm oder ihr fröhliche Weihnachten.
Als alles, außer den zwei Lehrlingen, fort war, wünschten
sie diesen das gleiche. So waren die heiteren Stimmen verklungen, und die
Burschen gingen in ihr Bett, das sich unter einem Ladentisch hinten im
Lagerraum befand.
Während dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie ein Verrückter
benommen. Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem früheren
Selbst. Er bestätigte alles, erinnerte sich an alles, freute sich
über alles und befand sich in der seltsamsten Aufregung. Nicht eher
als bis die fröhlichen Gesichter seines früheren Selbst und das
Antlitz Dicks verschwunden waren, dachte er daran, daß der Geist
neben ihm stand und ihn anschaute, während das Licht auf seinem Haupt
in voller Klarheit brannte.
»Eine Kleinigkeit war's doch«, meinte der Geist,
»diesen närrischen Leuten solche Dankbarkeit einzuflößen.«
»Eine Kleinigkeit!« gab Scrooge zurück.
Der Geist bedeutete ihm, den beiden Lehrlingen zuzuhören,
die sich gegenseitig mit Lobpreisungen Fezziwigs überboten; und als
Scrooge das getan hatte, sprach der Geist: »Nun, ist es nicht so?
Er hat nur ein paar Pfund irdischen Mammons hingegeben; vielleicht drei
oder vier. Ist das so der Rede wert, daß er solches Lob verdient?«
»Das ist's nicht«, sagte Scrooge, von dieser Bemerkung
gereizt und wie sein früheres, nicht wie sein jetziges Selbst sprechend.
»Das ist's nicht, Geist. Er hat die Macht, uns glücklich oder
unglücklich, unsern Dienst zu einer Lust oder zu einer Bürde,
zu einer Freude oder zu einer Qual zu machen. Du magst sagen, seine Macht
liege in Worten und Blicken, in so unbedeutenden und kleinen Dingen, daß
es unmöglich ist, sie herzuzählen: was schadet das? Das Glück,
das er bereitet, ist so groß, als wenn es sein ganzes Vermögen
kostete.«
Er fühlte des Geistes Blick und schwieg.
»Was gibt's?« fragte der Geist.
»Nichts, nichts«, sagte Scrooge.
»Aber doch etwas, wie?« drängte der Geist.
»Nein«, sagte Scrooge, »nein. Ich möchte
nur eben jetzt ein paar Worte mit meinem Kommis sprechen. Das ist alles.«
Sein früheres Selbst löschte gerade die Lampen aus,
als er diesen Wunsch aussprach, und Scrooge und der Geist standen wieder
im Freien.
»Meine Zeit geht zu Ende«, sagte der Geist. »Schnell!«
Dieses letzte Wort war nicht zu Scrooge oder zu jemand, den
er sehen konnte, gesprochen, aber es wirkte sofort. Denn wieder sah Scrooge
sich selbst. Er war jetzt älter geworden -. ein Mann in der Blüte
seiner Jahre. Sein Gesicht hatte noch nicht die schroffen, rauhen Züge
seiner späteren Jahre, aber schon begann es Anzeichen der Sorge und
des Geizes anzunehmen. In seinem Auge brannte ein ruheloses, habsüchtiges
Feuer, das Zeugnis gab von der Leidenschaft, die dort Wurzeln geschlagen
hatte, und zeigte, wohin der Schatten des wachsenden Baumes fallen würde.
Er war nicht allein, sondern saß neben einem schönen
jungen Mädchen in Trauerkleidern. In ihren Augen standen Tränen,
die in dem Licht glänzten, das von dem Geist vergangener Weihnachten
ausströmte.
»Es ist ohne Bedeutung«, sagte sie sanft, »und
für Sie von gar keiner. Ein anderes Götzenbild hat mich verdrängt;
und wenn es Sie in späterer Zeit trösten und aufrecht erhalten
kann, wie ich es versucht hätte, so habe ich keine Ursache zu klagen.«
»Welches Götzenbild hätte Sie verdrängt?«
erwiderte er.
»Ein goldenes.«
»Dies ist die Gerechtigkeit der Welt!« sagte er.
»Gegen nichts ist sie so hart als gegen die Armut; und nichts tadelt
sie unnachsichtiger als das Streben nach Reichtum.«
»Sie fürchten das Urteil der Welt zu sehr«,
antwortete sie sanft. »Alle Ihre andern Hoffnungen sind in der einen
aufgegangen, vor diesem engherzigen Vorwurf gesichert zu sein. Ich habe
Ihre edleren Bestrebungen eine nach der andern verschwinden sehen, bis
Sie ganz die eine Leidenschaft, die Gier nach Gold, erfüllte. Ist
es nicht so?«
»Und wenn es so wäre?« antwortete er. »Wenn
ich soviel klüger geworden wäre, was dann? Gegen Sie bin ich
nie anders geworden.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Bin ich anders?«
»Unser Bund ist alt. Er wurde geschlossen, als wir beide
arm und zufrieden waren, unser Los durch ausdauernden Fleiß verbessern
zu können. Sie haben sich aber verändert! Damals, als er geschlossen
wurde, waren Sie ein anderer Mensch.«
»Ich war ein Knabe«, sagte er ungeduldig.
»Ihr eigenes Gefühl sagt Ihnen, daß Sie nicht
so waren, wie Sie jetzt sind«, antwortete sie. »Ich bin noch
dieselbe. Das, was uns Glück versprach, als wir noch ein Herz und
eine Seele waren, muß uns Unglück bringen, da wir im Geiste
nicht mehr eins sind. Wie oft ich und wie bitter dies gefühlt habe,
will ich nicht sagen; es ist genug, daß ich es gefühlt habe
und daß ich Ihnen Ihr Wort zurückgeben kann.«
»Habe ich dies jemals verlangt?«
»In Worten? Nein. Niemals.«
»Wie dann?«
»Durch ein verändertes Wesen, durch einen andern
Sinn, durch andere Bestrebungen im Leben und durch andere Hoffnungen -
in allem, was meiner Liebe in Ihren Augen Wert gab. Wenn alles Frühere
nicht zwischen uns geschehen wäre«, sagte das Mädchen,
ihn mit sanftem, aber festem Blicke ansehend, »würden Sie mich
jetzt aufsuchen und um mich werben? Gewiß nicht!«
Er schien die Wahrheit ihrer Worte wider seinen Willen zuzugeben.
Aber er tat seinen Gefühlen Gewalt an und sagte: »Sie glauben
nicht?«
»Gern glaubte ich es, wenn ich könnte«, sagte
sie, »Gott weiß es. Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt
habe, weiß ich, wie unwiderstehlich sie sein muß. Aber soll
ich glauben, daß Sie ein armes Mädchen wählen würden,
wenn Sie heute oder morgen oder gestern frei wären, Sie, der selbst
in den vertrautesten Stunden alles nach dem Gewinn mißt? Oder soll
ich mir verhehlen, daß Sie gewiß einst sich getäuscht
und bittere Reue fühlen würden, weil Sie für einen Augenblick
Ihrem einzigen leitenden Grundsatz untreu werden? Nein, und deswegen gebe
ich Ihnen Ihr Wort zurück: willig und um der Liebe dessentwillen der
Sie einst waren.«
Er wollte sprechen, aber mit abgewendetem Gesicht fuhr sie fort:
»Vielleicht - der Gedanke an die Vergangenheit läßt
es mich fast hoffen - wird es Sie schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit,
und Sie werden dann die Erinnerung daran fallenlassen, wie die Gedanken
an einen nichtigen Traum, aus dem zu erwachen ein Glück für Sie
war. Möge Sie alles Glück auf dem gewählten Lebensweg begleiten!«
Sie schieden.
»Geist«, sagte Scrooge, »zeig mir nichts mehr,
führ mich nach Hause. Warum erfreust du dich daran, mich zu quälen?«
»Noch einen Schatten«, rief der Geist aus.
»Nein«, rief Scrooge. »Nein. Ich mag nichts
mehr sehen. Zeig mir nichts mehr.«
Aber der erbarmungslose Geist hielt ihn mit beiden Händen
fest und zwang ihn, zu betrachten, was als nächstes geschah.
Sie befanden sich an einem andern Ort, in einem Zimmer, nicht
sehr groß oder schön, aber voller Behaglichkeit. Neben dem Kamin
saß ein schönes junges Mädchen, das der, die Scrooge soeben
gesehen hatte, so ähnlich war, daß er glaubte, es sei dieselbe,
bis er diese, jetzt eine stattliche Matrone, der Tochter gegenüber
sitzen sah. In dem Zimmer war ein wahrer Aufruhr, denn es befanden sich
mehr Kinder darin, als Scrooge in seiner Aufregung zählen konnte;
und hier betrugen sich nicht vierzig Kinder wie eins, sondern jedes Kind
wie vierzig. Die Folge davon war ein Lärm sondergleichen; aber niemand
schien sich darüber aufzuregen. im Gegenteil, Mutter und Tochter lachten
herzlich und freuten sich darüber, und die letztere, die sich bald
in die Spiele mischte, wurde von den kleinen Schelmen gar grausam mitgenommen.
Was hätte ich darum gegeben, eines dieser Kinder zu sein, obgleich
ich nie so ungezogen gewesen wäre! Nein, nein! Für alle Schätze
der Welt hätte ich nicht diese Locken zerdrückt und zerwühlt;
und diesen lieben, kleinen Schuh hätte ich nicht entwendet, selbst
um mein Leben zu retten. Im Scherz ihre Taille zu messen, wie die dreiste
junge Brut tat, hätte ich nicht gewagt aus Furcht, mein Arm würde
zur Strafe krumm und nie wieder gerade wachsen. Und doch, wie gern, ich
gestehe es, hätte ich ihre Lippen berührt; wie gern sie ausgefragt,
damit sie sich geöffnet hätten; wie gern hätte ich die Wimpern
dieser niedergeschlagenen Augen betrachtet, ohne ein Erröten hervorzurufen;
wie gern dieses wogende Haar gelöst, von dem eine einzige Locke ein
unschätzbares Andenken gewesen wäre: kurz, wie gern hätte
ich das kleinste Vorrecht eines dieser Kinder gehabt, mit der Bedingung,
Manns genug zu bleiben, um seinen Wert zu fühlen.
Aber jetzt wurde ein Klopfen an der Tür laut, was einen
so allgemeinen Ansturm hervorrief, daß sie mit lachendem Gesicht
und zerknülltem Kleid in der Mitte eines lärmenden Haufens nach
der Tür gedrängt wurde, dem Vater entgegen, der nach Hause kam
in Begleitung eines mit Weihnachtsgeschenken beladenen Mannes. Aber nun
das Geschrei und das Gedränge und der Sturm auf den verteidigungslosen
Träger! Wie sie an ihm auf Stühlen hinaufstiegen, in seine Taschen
guckten, die Papierpäckchen raubten, an seiner Halsbinde zupften,
an seinem Halse hingen, ihm auf den Rücken trommelten oder an die
Beine stießen - alles in unwiderstehlicher Freude! Dann die Ausrufe
der Verwunderung und des Frohlockens, mit denen der Inhalt jedes Päckchens
begrüßt wurde! Die schreckliche Kunde, daß das Kleinste
ertappt worden sei, wie es die Puppenbratpfanne in den Mund gesteckt und
wohl gar das hölzerne Huhn samt der Schüssel hinuntergeschluckt
habe! Die große Beruhigung, als man entdeckte, daß es falscher
Alarm gewesen war! Die Freude und die Dankbarkeit und das Entzücken!
Dies alles übertrifft alle Beschreibung. Es muß genügen,
zu wissen, daß die Kinder und ihre Freunde endlich aus dem Zimmer
kamen und über eine Treppe in den obersten Stock hinaufgingen, wo
sie zu Bett gebracht wurden und blieben.
Und als Scrooge jetzt sah, wie sich der Herr des Hauses, die
Tochter zärtlich an seine Seite geschmiegt, mit ihr und ihrer Mutter
an seinem eigenen Herd niedersetzte; und wie er dachte, daß ihn ein
solches Wesen ebenso lieblich und hoffnungsfroh hätte Vater nennen
und wie der Frühling im öden Winter seines Lebens hätte
sein können, da wurden seine Augen wirklich trübe.
»Belle«, sagte der Mann, sich lächelnd zu seiner
Gattin wendend, »ich sah heut nachmittag einen alten Freund von dir.«
»Wer war es?«
»Rate mal.«
»Wie kann ich das? Ach, jetzt weiß ich schon«,
fügte sie sogleich hinzu, lachend, und auch er lachte. »Mr.
Scrooge.«
»Ja, Mr. Scrooge. Ich ging an seinem Kontorfenster vorüber;
und da kein Laden davor war und Licht brannte, mußte ich ihn sehen.
Sein Kompagnon liegt im Sterben, hörte ich, und er war allein. Ganz
allein in der weiten Welt, glaube ich.«
»Geist«, rief Scrooge mit bebender Stimme, »führe
mich weg von diesem Ort.«
»Ich sagte dir, daß dies Schatten gewesener Dinge
sind«, sagte der Geist. »Gib nicht mir die Schuld, daß
sie sind, wie sie sind.«
»Führe mich weg«, rief Scrooge aus. »Ich
kann es nicht ertragen.«
Er wandte sich dem Geist zu, und wie er sah, daß er ihn
mit einem Gesicht anblickte, in dem sich auf eine seltsame Weise all die
Gesichter zeigten, die er bisher gesehen hatte, rang er mit ihm.
»Verlaß mich, führ mich weg. Verfolge mich
nicht länger.«
In dem Kampf, wenn es ein Kampf genannt werden kann, wie der
Geist, ohne sichtbaren Widerstand seinerseits, von den Angriffen seines
Gegners unberührt blieb, bemerkte Scrooge, daß das Licht auf
seinem Haupt hoch und hell brannte, und in einem dunklen instinktiven Gefühl
jenes Licht sei mit des Geistes Einfluß auf ihn verbunden, ergriff
er den Löschhut und stülpte ihn auf des Geistes Haupt.
Der Geist sank zusammen, so daß der Löschhut seine
ganze Gestalt bedeckte; aber obgleich Scrooge ihn mit seiner ganzen Kraft
niederdrückte, konnte er das Licht nicht ganz verbergen, das darunter
hervor- und mit hellem Schimmer über den Boden floß.
Er fühlte sich erschöpft und von einer unüberwindlichen
Schläfrigkeit befallen und wußte, daß er in seinem eigenen
Schlafzimmer war. Er gab dem Löschhut einen letzten Druck und fand
kaum Zeit, in das Bett zu wanken, bevor er in tiefen Schlaf sank.
http://gutenberg.aol.de/dickens/weihlied/weihl003.htm
Dritte Strophe
Der zweite Geist
Scrooge erwachte mitten in einem tüchtigen Geschnarche und
setzte sich im Bett auf; um seine Gedanken zu sammeln. Diesmal hatte niemand
nötig, ihm zu sagen, daß es gerade eins sei. Er fühlte,
daß er just zu der rechten Zeit und zu dem ausdrücklichen Zweck
erwacht sei, um eine Zusammenkunft mit dem zweiten an ihn durch Jacob Marleys
Vermittlung abgesandten Boten zu haben. Aber bei dem Gedanken, welche seiner
Bettgardinen das neue Gespenst wohl zurückschlüge, wurde es ihm
ganz unheimlich kalt, und so schlug er sie mit seinen eigenen Händen
zurück. Dann legte er sich wieder zurück und beschloß,
genau aufzupassen, denn er wollte den Geist in dem Augenblick seiner Erscheinung
anrufen und wünschte nicht überrascht und erschreckt zu werden.
Leute von keckem Mut, die sich schmeicheln, es schon mit etwas
aufnehmen zu können und immer an ihrem Platz zu sein, drücken
den weiten Bereich ihrer Fähigkeiten mit den Worten aus: Sie wären
gut für alles, vom Brotessen bis zum Menschenverschlingen, da zwischen
beiden Extremen ohne Zweifel ziemlich viel Gelegenheit zur Betätigung
ihrer Kräfte liegt. Ohne gerade zu behaupten, daß es Scrooge
so weit gebracht hätte, muß ich doch von dem Leser den Glauben
fordern, daß er auf eine recht schöne Auswahl von Erscheinungen
gefaßt war und daß ihn nichts zwischen einem Wickelkind und
einem Rhinozeros allzusehr in Verwunderung gesetzt hätte.
Eben weil er beinahe auf alles gefaßt war, war er nicht
vorbereitet, nichts zu sehen; und daher überfiel ihn ein heftiges
Zittern, als die Glocke eins schlug und keine Gestalt erschien. Fünf
Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde vergingen, aber es kam nichts.
Die ganze Zeit über lag er auf seinem Bett, dem Kern und Mittelpunkt
eines rötlichen Lichtes, das sich darüber ergoß, als die
Glocke die Stunde verkündete, und das, weil es nur Licht war, viel
beunruhigender als ein Dutzend Geister war, da es ihn unmöglich erraten
ließ, was es bedeute oder was es wolle. Ja, er fürchtete zuweilen,
er könnte in diesem Augenblick ein merkwürdiger Fall von Selbstentzündung
sein, ohne den Trost zu haben, es zu wissen. Endlich jedoch fing er an
zu begreifen, daß die Quelle dieses geisterhaften Lichtes wohl in
dem anliegenden Zimmer sei, aus dem es bei näherer Betrachtung zu
strömen schien. Wie dieser Gedanke die Herrschaft über seine
Seele bekommen hatte, stand er leise auf und schlich in den Pantoffeln
nach der Tür.
In demselben Augenblick, wo sich Scrooges Hand auf die Klinke
legte, rief ihn eine fremde Stimme bei Namen und hieß ihn eintreten.
Er gehorchte.
Es war sein eigenes Zimmer. Daran ließ sich nicht zweifeln.
Aber eine wunderbare Umwandlung war mit ihm vorgegangen. Wände und
Decke waren ganz mit grünen Zweigen bedeckt, daß es aussah wie
eine Laube, in der überall glänzende Beeren schimmerten. Die
glänzenden, starren Blätter der Stechpalme, der Mistel und des
Efeus warfen das Licht zurück und erschienen wie ebenso viele kleine
Spiegel. Eine so gewaltige Flamme loderte die Esse hinauf, wie sie dieses
Spottbild eines Kamines zu Scrooges oder Marleys Zeit seit vielen, vielen
Wintern nicht gekannt hatte. Auf dem Fußboden waren zu einer Art
von Thron Truthähne, Gänse, Wildbret, große Braten, Spanferkel,
lange Reihen von Würsten, Pasteten, Plumpuddings, Austerfäßchen,
glühende Kastanien, rotbäckige Äpfel, saftige Orangen, appetitliche
Birnen, ungeheure Stollen und siedende Punschbowlen aufgehäuft, die
das Zimmer mit köstlichem Geruch erfüllten. Auf diesem Thron
saß behaglich und mit fröhlichem Angesicht ein Riese, gar herrlich
anzuschauen. In der Hand trug er eine brennende Fackel, fast wie ein Füllhorn
gestaltet, und hielt sie steil in die Höhe, um Scrooge damit zu beleuchten,
wie er in das Zimmer guckte.
»Nur herein«, rief der Geist. »Nur herein,
und lerne mich besser kennen.«
Scrooge trat schüchtern ein und senkte das Haupt vor dem
Geiste. - Er war nicht mehr der hartfühlende, nichtsscheuende Scrooge
von früher, und obgleich des Geistes Augen hell und mild glänzten,
wünschte er ihnen doch nicht zu begegnen.
»Ich bin der Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht«,
sagte die Gestalt. »Sieh mich an.«
Scrooge tat es mit ehrfurchtsvollem Blick. Der Geist war gekleidet
in ein einfaches, dunkelgrünes Gewand, mit weißem Pelz verbrämt.
Die breite Brust war entblößt, als verschmähe sie, sich
zu verstecken. Auch die Füße waren bloß und schauten unter
den weiten Falten des Gewandes hervor; und das Haupt hatte keine andere
Bedeckung, als einen Stechpalmenkranz, in dem hie und da Eiszapfen glänzten.
Seine dunkelbraunen Locken wallten fessellos auf die Schultern. Sein munteres
Gesicht, sein glänzendes Auge, seine fröhliche Stimme, sein ungezwungenes
Benehmen, alles sprach von Offenheit und heiterem Sinn. Um den Leib trug
er eine alte Degenscheide gegürtet; aber sie war von Rost zerfressen
und kein Schwert steckte darin.
»Du hast meinesgleichen nie vorher gesehen«, rief
der Geist.
»Niemals«, entgegnete Scrooge.
»Hast dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie
abgegeben; ich meine (denn ich bin sehr jung) meine älteren Brüder,
die in den vergangenen Jahren geboren worden sind?« fuhr das Phantom
fort.
»Ich glaube nicht«, sagte Scrooge. »Doch es
tut mir leid, es nicht getan zu haben. Hast du viele Brüder gehabt,
Geist?«
»Mehr als achtzehnhundert«, sagte dieser.
»Eine schrecklich große Familie, wenn man für
sie zu sorgen hat«, murmelte Scrooge.
Der Geist der diesjährigen Weihnacht erhob sich.
»Geist«, sagte Scrooge demütig, »führe
mich, wohin du willst. Gestern Nacht wurde ich durch Zwang hinausgeführt
und mir wurde eine Lehre gegeben, die jetzt Wirkung zeigt. Heute bin ich
bereit zu folgen, und wenn du mich etwas zu lehren hast, will ich gern
hören.«
»Berühre denn mein Gewand.«
Scrooge tat wie ihm geheißen und hielt es fest.
Stechpalmen, Misteln, rote Beeren, Efeu, Truthähne, Gänse,
Spanferkel, Braten, Würste, Austern, Pasteten, Puddings, Früchte
und Punsch, alles verschwand blitzschnell. Auch das Zimmer verschwand,
das Feuer, der rötliche Schimmer, die nächtliche Stunde, und
sie standen in den Straßen der Stadt, am Morgen des Weihnachtstages,
wo die Leute - denn es war sehr kalt - eine rauhe, aber fröhliche
und nicht unangenehme Musik machten, indem sie den Schnee von dem Straßenpflaster
und den Dächern der Häuser zusammenfegten. Und daneben standen
die Kinder und freuten sich und kreischten, wenn die Schneelawinen von
den Dächern herunterstürzten und in künstliche Schneestürme
zerstoben.
Die Häuser erschienen schwarz und die Fenster noch schwärzer,
verglichen mit der faltenlosen, weißen Schneedecke auf den Dächern
und dem schmutzigeren Schnee auf den Straßen. Dort war er von den
schweren Rädern der Wagen und Karren in tiefe Furchen gepflügt;
Furchen, die sich hundert- und aberhundertmal kreuzten, wo eine Straße
abging, und die in dem dicken, gelben Schmutz und halberstarrten Wasser
labyrinthische Gerinnsel bildeten. Der Himmel war trübe, und selbst
die kürzesten Straßen schienen sich in einem dicken Nebel zu
verlieren, dessen schwerere Teile in einem rußigen Regen niederfielen,
als hätten alle Essen von England sich auf einmal entzündet und
qualmten jetzt nach Herzenslust. Es war in der ganzen Umgebung nichts Heiteres,
und doch lag etwas in der Luft, was die klarste Sommerluft und die hellste
Sommersonne nicht hätten verbreiten können.
Denn die Leute, die den Schnee von den Dächern schaufelten,
waren lustig und mutwilliger Laune. Sie riefen von den Dächern einander
zu und wechselten dann und wann einen Schneeball - ein Pfeil, der harmloser
war als manches Wort - und lachten herzlich, wenn er traf, und nicht minder
herzlich, wenn er fehlging. Die Läden der Geflügelhändler
waren noch halb offen und die der Fruchthändler strahlten in heller
Freude. Da sah man - als wären es Westen lustiger alter Herren - große
runde, dickbäuchige Körbe mit Kastanien an den Türen lehnen
oder in ihrem apoplektischen Überfluß auf die Straße rollen.
Da sah man braune, umfangreiche, spanische Zwiebeln, in ihrer Fettigkeit
spanischen Mönchen gleichend und mutwillig den Mädchen winkend,
die vorübergingen und verschämt nach dein Mistelzweig schielten.
Da sah man Birnen und Äpfel zu Pyramiden aufeinandergepackt: Trauben,
die der Kaufmann in seiner Gutmütigkeit recht augenfällig im
Gewölbe hängen ließ, daß den Vorübergehenden
der Mund gratis wässerte, Haufen von Haselnüssen, bemoost und
braun, mit ihrem frischen Duft an vergangene Streifzüge im Wald durch
das raschelnde, fußhohe, welke Laub erinnernd, Norfolk-Biffins, fett
und kraus, mit ihrer Bräune von den gelben Orangen abstechend und
gar dringlich bittend, daß man sie nach Hause trage und nach Tische
esse. Ja, selbst die Gold- und Silberfische, die in einem Glase mitten
unter den erlesenen Früchten standen, schienen zu wissen, daß
etwas Besonderes los sei, obgleich sie von einem dick- und kaltblütigen
Geschlecht waren, und schwammen um ihre kleine Welt in langsamer und leidenschaftsloser
Bewegung.
Ach die Kolonialwarenläden! Fast geschlossen waren sie,
vielleicht ein oder zwei Laden vorgesetzt: aber welche Herrlichkeiten sah
man durch diese Öffnungen! Nicht allein, daß die Waagschalen
mit fröhlichem Klingklang auf dem Ladentisch rumorten, oder daß
der Bindfaden so munter von seiner Rolle schnurrte, oder daß die
Büchsen blitzschnell hin und her fuhren wie durch Zauberei, oder daß
der Mischgeruch von Kaffee und Tee der Nase so wohl tat, nicht daß
die Rosinen so wunderschön, die Mandeln so außerordentlich weiß,
die Zimtstengel so lang und gerade, die andern Gewürze so köstlich,
die eingemachten Früchte so dick mit geschmolzenem Zucker belegt waren,
daß der kälteste Zuschauer entzückt wurde; nicht allein,
daß die Feigen so saftig und fleischig waren, oder daß die
Brignolen in bescheidener Koketterie in ihren verzierten Büchsen erröteten,
oder daß alles so gut zu essen oder so schön in seinem Weihnachtskleid
war: das war es nicht allein. Die Kaufenden waren auch alle so eifrig und
eilig in der Vorfreude auf das Fest, daß sie in der Türe gegeneinanderrannten,
wie von Sinnen mit ihren Körben zusammenstießen und ihre Einkäufe
vergaßen und wieder zurückliefen, um sie zu holen, und tausend
ähnliche Irrtümer in der bestmöglichen Laune begingen, während
der Kaufmann und seine Leute so frisch und froh waren, daß die blanken
Herzen, die ihre Schürzen hinten zusammenhielten, ihre eigenen hätten
sein können.
Aber bald riefen die Glocken nach den Kirchen und den Kapellen,
und die Leute gingen in ihren besten Kleidern und ihren feiertäglichsten
Gesichtern durch die Straßen. Und zu derselben Zeit strömten
aus den Nebenstraßen und Gäßchen und namenlosen Winkeln
zahllose Leute, die ihr Mittagessen in die Backstuben trugen. Der Anblick
dieser Armen und doch so Glücklichen schien des Geistes Teilnahme
am meisten zu erregen, denn er blieb mit Scrooge neben eines Bäckers
Tür stehen, und während er die Deckel von den Schüsseln
nahm, als die Träger vorübergingen, bestreute er ihr Mahl mit
Weihrauch seiner Fackel. Und es war eine gar wunderbare Fackel, denn ein
paarmal, als einige von den Leuten zusammengerannt waren und darüber
heftige Worte fielen, besprengte er sie mit etlichen Tropfen Tau daraus,
und ihre gute Laune war augenblicklich wiederhergestellt. Denn sie sagten,
es sei eine Schande, sich am Weihnachtstag zu zanken.
Jetzt schwiegen die Glocken, und die Läden der Bäcker
wurden geschlossen: und doch schwebte noch ein Schatten von allen diesen
Mittagessen und dem Fortgang ihrer Zubereitung in dem getauten, nassen
Fleck über jedem Ofen; und vor ihnen rauchte das Pflaster, als kochten
selbst die Steine.
»Ist eine besondere Kraft in dem, was deine Fackel ausstreut?«
fragte Scrooge.
»Ja. Meine eigene.«
»Und wirkt sie auf jedes Mittagsmahl an diesem Tag?«
fragte Scrooge.
»Auf jedes, sofern es gern gegeben wird. Auf ein ärmliches
am meisten.«
»Warum auf ein ärmliches am meisten?«
»Weil das meiner Kraft am meisten bedarf«
»Geist«, sagte Scrooge nach kurzem Nachdenken, »mich
wundert's, daß du von allen Wesen auf den vielen Welten um uns herum
wünschen solltest, diesen Leuten die Gelegenheit eines unschuldigen
Genusses zu rauben.«
»Ich?« rief der Geist.
»Du willst ihnen die Mittel nehmen, jeden siebten Tag
zu Mittag zu essen, und doch ist das der einzige Tag, wo sie überhaupt
zu Mittag essen können«, sagte Scrooge.
»Ich?« rief der Geist.
»Du willst doch Backstuben und ähnliche Plätze
am siebten Tag geschlossen halten - das kommt doch auf dasselbe heraus.«
»Ich?« rief der Geist.
»Verzeih mir, wenn ich unrecht habe. Es ist in deinem
Namen geschehen oder wenigstens in dem deiner Familie«, sprach Scrooge.
»Es gibt Menschen auf Eurer Erde«, entgegnete der
Geist, die uns kennen wollen und die ihre Taten des Stolzes, der Mißgunst,
des Hasses, des Neides, des Fanatismus und der Selbstsucht in unserm Namen
tun; die uns in allem, was zu uns gehört, so fremd sind, als hätten
sie nie gelebt. Bedenke dies und schreibe ihre Taten ihnen selbst zu und
nicht uns.«
Scrooge versprach es, und sie gingen weiter in die Vorstadt,
unsichtbar wie bisher. Es war eine wunderbare Eigenschaft des Geistes (Scrooge
hatte sie bei dem Bäcker bemerkt), daß er, bei seiner riesenhaften
Gestalt, doch überall leicht Platz fand, und daß er unter einem
niedrigen Dach ebenso schön und gleich einem übernatürlichen
Wesen dastand, wie in einem geräumigen, hohen Saal.
Vielleicht war es die Freude, die der gute Geist darin fühlte,
diese Macht zu zeigen, vielleicht auch seine warmherzige, freundliche Natur
und seine Teilnahme mit allen Armen, was ihn gerade zu Scrooges Kommis
führte: denn er ging wirklich hin und nahm Scrooge mit, der sich an
seinem Gewand festhielt. Auf der Schwelle stand der Geist lächelnd
still und segnete Bob Cratchits Wohnung mit dem Tau seiner Fackel. Denkt
doch! Bob hatte nur fünfzehn ›Bobs‹ die Woche; er steckte sonnabends
nur fünfzehn seiner Namensvettern in die Tasche, und doch segnete
der Geist der diesjährigen Weihnacht sein Haus.
Im Zimmer stand Mr. Cratchits Frau in einem ärmlichen,
zweimal gewendeten Kleid, schön aufgeputzt mit Bändern, die billig
sind, aber für sechs Pence hübsch genug aussehen. Sie deckte
den Tisch, und Belinda, ihre zweite Tochter, half ihr dabei, während
Master Peter mit der Gabel in eine Schüssel voll Kartoffeln stach
und die Spitzen seines ungeheuren Hemdkragens (Bobs Privateigentum, seinem
Sohn und Erben zu Ehren des Festes geliehen) in den Mund nahm, voller Stolz,
so schön angezogen zu sein, und voll Sehnsucht, sein weißes
Hemd in den fashionablen Parks zur Schau zu tragen. jetzt kamen die zwei
kleinen Cratchits, ein Mädchen und ein Knabe, hereingesprungen und
schrien, daß sie an des Bäckers Tür die gebratene Gans
gerochen und gewußt hätten, es sei ihre eigene, und in freudigen
Träumen von Salbei und Zwiebeln tanzten sie um den Tisch und erhoben
Master Peter Cratchit bis in den Himmel, während er (aber gar nicht
stolz, obgleich ihn der Hemdkragen fast erstickte) in das Feuer blies,
bis die Kartoffeln hochquollen und an den Topfdeckel klopften, daß
man sie herauslassen und schälen möge.
»Wo nur der Vater bleibt?« fragte Mrs. Cratchit.
Und dein Bruder Tiny Tim; und Martha kam vorige Weihnachten
eine halbe Stunde früher.«
»Hier ist Martha, Mutter«, sagte ein Mädchen,
zur Tür hereintretend.
»Hier ist Martha, Mutter«, riefen die beiden kleinen
Cratchits. »Hurra, so eine Gans, Martha!«
»Gott grüß dich, liebes Kind! Wie spät
du kommst!« sagte Mrs. Cratchit, sie mehrmals küssend und ihr
mit zutulichem Eifer Schal und Hut abnehmend.
»Wir hatten gestern abend viel zurecht zu machen«,
antwortete das Mädchen, »und mußten heute mit allem fertig
werden, Mutter.«
»Nun, es schadet nichts, da du doch da bist«, sagte
Mrs. Cratchit. »Setz dich ans Feuer, liebes Kind, und wärme
dich.«
»Nein, nein, der Vater kommt«, riefen die beiden
kleinen Cratchits, die überall zu gleicher Zeit waren. »Versteck
dich, Martha, versteck dich!«
Martha versteckte sich, und jetzt trat Bob herein, der Vater.
Wenigstens drei Fuß, ungerechnet der Fransen, hing der Schal auf
seine Brust herab, und die abgetragenen Kleider waren geflickt und gebürstet,
um ihnen ein Ansehen zu geben. Tiny Tim saß auf seiner Schulter.
Der arme Tiny Tim! Er trug eine kleine Krücke, und seine Glieder wurden
von eisernen Schienen gestützt.
»Nun, wo ist unsere Martha?« rief Bob Cratchit und
schaute im Zimmer herum.
»Sie kommt nicht«, sagte Mrs. Cratchit.
»Sie kommt nicht?« sagte Bob mit einem plötzlichen
Absinken seiner fröhlichen Laune; denn er war den ganzen Weg von der
Kirche Tims Pferd gewesen und in vollem Laufe nach Hause gerannt. »Sie
kommt nicht zum Weihnachtsabend?«
Martha wollte ihm keinen Schmerz verursachen, selbst nicht aus
Scherz, und so trat sie hinter der Tür hervor und schlang die Arme
um seinen Hals, während die beiden kleinen Cratchits sich Tiny Tims
bemächtigten und ihn nach dem Waschhaus trugen, damit er den Pudding
im Kessel singen höre.
»Und wie hat sich der kleine Tim aufgeführt?«
fragte Mrs. Cratchit, als sie Bob wegen seiner Leichtgläubigkeit geneckt
und Bob seine Tochter nach Herzenslust geküßt hatte.
»Wie ein Goldkind«, sagte Bob, »und noch besser.
Ich weiß nicht, wie es kommt, aber er wird jetzt so träumerisch
vom Alleinsitzen und sinnt sich die seltsamsten Dinge zurecht. Heute, als
wir nach Hause gingen, sagte er, er hoffe, die Leute sähen ihn in
der Kirche, denn er sei ein Krüppel, und es wäre vielleicht gut
für sie, sich am Christtag an den zu erinnern, der einst Lahme gehen
und Blinde sehen machte.«
Bobs Stimme zitterte, als er dies sagte, und zitterte noch mehr,
als er hinzufügte, daß Tiny Tim stärker und gesünder
werden würde.
Man hörte jetzt seine kleine Krücke auf dem Fußboden,
und ehe noch mehr gesprochen ward, war Tim wieder da und wurde von seinem
Bruder und seiner Schwester nach seinem Stuhl neben dem Feuer geführt.
Während jetzt Bob, seine Rockaufschläge zur Schonung in die Höhe
krempelnd - als ob es möglich gewesen wäre, sie noch mehr abzutragen
-, in einer Bowle aus Gin und Zitronen eine heiße Mischung zubereitete
und sie umrührte und wieder an das Feuer setzte, damit sie sich warm
halte, gingen Master Peter und die zwei allgegenwärtigen kleinen Cratchits
die Gans holen, mit der sie bald in feierlichem Zug zurückkehrten.
Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine
Gans der seltenste aller Vögel, ein gefiedertes Wunder, gegen das
ein schwarzer Schwan etwas ganz Gewöhnliches ist - und wirklich war
sie es auch in diesem Hause. Mrs. Cratchit ließ die Bratenbrühe
aufwallen, Master Peter schmorte die Kartoffeln mit unglaublichem Eifer,
Miß Belinda machte die Apfelsauce süß, Martha wischte
die gewärmten Teller ab, Bob nahm Tiny Tim neben sich in eine behagliche
Ecke am Tisch, die beiden kleinen Cratchits stellten die Stühle zurecht,
wobei sie sich nicht vergaßen, und nahmen ihren Posten ein, den Löffel
in den Mund steckend, um nicht nach Gans zu schreien, ehe die Reihe an
sie kam. Endlich wurde das Gericht aufgetragen und das Tischgebet gesprochen.
Darauf folgte eine atemlose Pause, als Mrs. Cratchit das Vorschneidemesser
langsam von der Spitze bis zum Heft betrachtete und sich anschickte, es
der Gans in die Brust zu stoßen. Aber, als sie es tat und sich der
langerwartete Strom der Füllung ergoß, ertönte um den ganzen
Tisch ein freudiges Gemurmel, und selbst Tiny Tim, durch die beiden kleinen
Cratchits in Feuer gebracht, schlug mit dem Heft seines Messers auf den
Tisch und rief ein schwaches Hurra.
Nie hatte es so eine Gans gegeben. Bob sagte, er glaube nicht,
daß jemals eine solche Gans gebraten worden sei. Ihre Zartheit und
ihr Fett, ihre Größe und ihre Billigkeit waren der Gegenstand
allgemeiner Bewunderung. Mit Hilfe der Apfelsauce und der geschmorten Kartoffeln
gab sie ein hinreichendes Mahl für die ganze Familie. Und als Mrs.
Cratchit einen einzigen kleinen Knochen noch auf der Schüssel liegen
sah, sagte sie mit großer Freude, sie hätten doch nicht alles
aufgegessen! Aber jeder von ihnen hatte genug, und die kleinen Cratchits
waren bis an die Augenbrauen mit Salbei und Zwiebeln eingesalbt. jetzt
wurden die Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ
das Zimmer allein, denn sie war zu unruhig, Zeugen dulden zu können,
wenn sie den Pudding herausnahm und hereinbrachte.
Wenn er nicht ausgebacken wäre! Wenn er beim Herausnehmen
in Stücke zerfiele! Wenn jemand über die Mauer des Hinterhauses
geklettert wäre und ihn gestohlen hätte, während sie sich
an der Gans erquickten - ein Gedanke, bei dem die beiden kleinen Cratchits
vor Schrecken bleich wurden.
Hallo, eine Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel genommen.
Ein Geruch, wie an einem Waschtag! Das war die Serviette. Ein Geruch wie
in einem Speisehaus, mit einem Pastetenbäcker auf der einen und einer
Wäscherin auf der andern Seite! Das war der Pudding. Nach einer halben
Minute trat Mrs. Cratchit herein, aufgeregt, aber stolz lächelnd und
vor sich den Pudding haltend, hart und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel,
in einem Viertelquart Rum flammend und in der Mitte mit der festlichen
Stechpalme geschmückt.
Oh, welch wunderbarer Pudding! Bob Cratchit erklärte mit
ruhiger und sicherer Stimme, er halte das für das größte
Kochkunststück, das Mrs. Cratchit seit ihrer Heirat geliefert habe.
Mrs. Cratchit meinte, da die Last von ihrem Herzen sei, wolle sie nur gestehen,
daß sie wegen der Menge des Mehls gar sehr in Angst gewesen sei.
jeder hatte darüber etwas zu sagen, aber keiner sagte oder dachte,
es sei doch ein zu kleiner Pudding für eine so große Familie.
Das wäre offenbare Ketzerei gewesen. jeder Cratchit würde sich
geschämt haben, an so etwas nur zu denken.
Endlich waren sie mit dem Essen fertig, der Tisch war abgedeckt,
der Herd gesäubert und das Feuer geschürt. Das Gemisch im Krug
wurde gekostet und für fertig erklärt, Äpfel und Apfelsinen
auf den Tisch gesetzt und ein paar Hände voll Kastanien auf das Feuer
geschüttet. Dann setzte sich die ganze Familie Cratchit um den Kamin
in einem Kreis, wie es Bob Cratchit nannte, obgleich es eigentlich nur
ein Halbkreis war, Bob in die Mitte und neben ihm der Gläservorrat
der Familie: zwei Paßgläser und ein Milchkännchen ohne
Henkel.
Diese Gefäße aber hielten das heiße Gemisch
aus dem Krug so gut, als wären es goldene Pokale gewesen, und Bob
schenkte mit strahlenden Blicken ein, während die Kastanien auf dem
Feuer spuckten und platzten. Dann schlug Bob den Toast vor.
»Uns allen eine fröhliche Weihnacht, meine Lieben!
Gott segne uns!«
Die ganze Familie wiederholte den Toast.
»Gott segne jeden von uns!« sagte Tiny Tim, der
letzte von allen.
Er saß dicht neben dem Vater auf seinem Stühlchen,
Bob hielt seine kleine welke Hand in der seinigen, als ob er das Kind liebte
und wünschte, es bei sich zu behalten, aber fürchte, es könnte
ihm bald genommen werden.
»Geist«, sprach Scrooge mit einer Teilnahme, wie
er sie noch nie empfunden hatte, »sag mir, wird Tiny Tim am Leben
bleiben?«
»Ich sehe einen leeren Stuhl in der Kaminecke«,
antwortete der Geist, »und eine Krücke ohne Besitzer, sorgfältig
aufbewahrt. Wenn die Zukunft diese Schatten nicht ändert, wird das
Kind sterben.«
»Nein, nein«, drängte Scrooge. »Ach nein,
guter Geist, sag, daß es am Leben bleiben wird.«
»Wenn die Zukunft diese Schatten nicht verändert«,
antwortete der Geist abermals, »wird kein anderer meines Geschlechtes
das Kind noch hier finden. Was tut es auch? Wenn es sterben muß,
ist es besser, es tue es gleich und vermindere die überflüssige
Bevölkerung.«
Scrooge senkte das Haupt, da er seine eigenen Worte von dem
Geist hörte, und fühlte sich überwältigt von Reue und
Schmerz.
»Mensch«, sprach der Geist, »wenn du ein menschliches
Herz hast und kein steinernes, so hüte dich, so heuchlerisch zu reden,
bis du weißt, was und wo dieser Überfluß ist. Willst du
entscheiden, welche Menschen leben, welche Menschen sterben sollen? Vielleicht
bist du in den Augen des Himmels unwürdiger und unfähiger zu
leben als Millionen gleich dieses armen Mannes Kind. O Gott! Solch Gewürm
auf einem Blättlein reden zu hören über zuviel Leben unter
seinen hungrigen Brüdern im Staub!«
Scrooge nahm des Geistes Vorwurf demütig hin und schlug
die Augen nieder, aber er blickte schnell wieder in die Höhe, als
er seinen Namen nennen hörte.
»Es lebe Mr. Scrooge!« sagte Bob, »Mr. Scrooge,
der Schöpfer dieses Festes!«
»Der Schöpfer dieses Festes, wahrhaftig!« rief
Mrs. Cratchit mit glühendem Gesicht. »Ich wollte, ich hätte
ihn hier. Ich wollte ihm ein Stück von meiner Meinung zu kosten geben,
und ich hoffe, sie würde ihm schmecken.«
»Liebe Frau«, sagte Bob beschwichtigend, »die
Kinder! - Es ist Weihnachten.«
»Freilich muß es Weihnachten sein«, sagte
sie, »wenn man auf die Gesundheit eines so niederträchtigen,
geizigen, fühllosen Menschen, wie Scrooge ist, trinken kann. Und du
weißt es, Robert, daß er so ist, niemand weiß es besser
als du!«
»Liebe Frau«, antwortete Bob mild, »es ist
Weihnachten.«
»Ich will auf seine Gesundheit trinken, dir und dem Feste
zu Gefallen,« sagte Mrs. Cratchit, »nicht seinetwegen. Möge
er lange leben! Ein fröhliches Weihnachten und ein glückliches
neues Jahr! - Er wird sehr fröhlich und sehr glücklich sein,
das glaub ich.«
Die Kinder tranken nach ihr. Es war das erste, was sie an diesem
Abend ohne Herzlichkeit und Wärme taten. Tiny Tim trank zuletzt, aber
er gab keinen Pfifferling darum. Scrooge war das Schreckbild der Familie.
Die Erwähnung seines Namens warf über alle einen düsteren
Schatten, der volle fünf Minuten zum Verschwinden brauchte.
Als er weg war, waren sie zehnmal lustiger als vorher, schon
weil sie Scrooge los waren, den Schrecklichen. Bob Cratchit erzählte,
daß er eine Stelle für Peter in Aussicht habe, die diesem ganze
fünf und einen halben Shilling wöchentlich eintragen werde. Die
beiden kleinen Cratchits lachten fürchterlich bei dem Gedanken, Peter
als Geschäftsmann zu sehen; und Peter selbst blickte gedankenvoll
zwischen seinen Kragenenden hervor in das Feuer, als überlege er,
in welchen Aktien wohl am besten seine Ersparnisse anzulegen seien, wenn
er in Besitz dieser unglaublichen Summe käme. Martha, die bei einer
Putzmacherin Gehilfin war, erzählte ihnen, was für Arbeit sie
jetzt mache und wieviel Stunden sie in der guten Zeit arbeiten müsse
und wie sie morgen früh auszuschlafen gedenke; denn morgen war für
sie ein Feiertag. Auch erzählte sie, wie sie vor einigen Tagen eine
Gräfin und einen Lord gesehen, und daß der Lord fast so groß
wie Peter gewesen sei; bei diesen Worten zupfte Peter seinen Hemdkragen
so in die Höhe, daß sein Kopf darin verschwand. Während
dieser ganzen Zeit gingen Punsch und reife Kastanien um, und dazwischen
sang Tiny Tim mit seiner klagenden Stimme ein Lied von einem Kind, das
sich im Schnee verlaufen: und sang es recht hübsch.
In alledem war nichts Besonderes. Es waren keine hübschen
Gesichter in der Familie; sie waren nicht schön angezogen, ihre Schuhe
waren nichts weniger als wasserdicht, ihre Kleider waren ärmlich,
und Peter mochte wohl das Innere eines Pfandleiherladens kennen. Aber sie
waren glücklich, voller Dank für ihre bescheidenen Freuden, einig
untereinander und zufrieden: und als ihre Gestalten verblichen und in dem
scheidenden Lichte der Fackel des Geistes noch glücklicher aussahen,
verweilte Scrooges Auge immer noch auf ihnen und hing vor allem an Tiny
Tim.
Es war jetzt ganz dunkel geworden, und es fiel ein starker Schnee;
und als Scrooge und der Geist durch die Straßen gingen, leuchtete
der Glanz der lodernden Feuer in Küchen, Putzstuben und Gemächern
aller Art über alle Maßen wundervoll. Hier zeigte die flackernde
Flamme die Vorbereitungen zu einem traulichen Mahl, die heißen Teller,
wie sie sich vor dem Feuer durch und durch wärmten, und die dunkelroten
Gardinen, bereit, Kälte und Nacht auszuschließen. Dort liefen
alle Kinder des Hauses auf die verschneite Straße hinaus, ihren verheirateten
Schwestern, Brüdern, Vettern, Basen, Onkeln und Tanten entgegen, um
sie zuerst zu begrüßen. Hier zeigten sich an den Fenstern Schatten
versammelter Gäste; dort eine Gruppe hübscher Mädchen in
Pelzkragen und Pelzstiefeln, alle zugleich redend und mit leichten Schritten
in eines Nachbars Haus eilend. Wehe dem Junggesellen, der sie dort strahlend
eintreten sah - und sie wußten es, die durchtriebenen kleinen Hexen!
Wenn man nach der Zahl der Leute hätte urteilen wollen,
die zu freundschaftlichen Besuchen eilten, hätte man glauben mögen,
es sei niemand da, sie zu bewillkommnen. Aber statt dessen erwartete jedes
Haus Gäste und in jedem Kamin loderte die Flamme. Wie sich der Geist
freute! Wie er seine breite Brust entblößte und seine volle
Hand auftat und dahinschwebte, freigebig seine heitere und harmlose Fröhlichkeit
über alles in seinem Bereich ausschüttend!
Selbst der Laternenanzünder, der durch die dunklen Straßen
rannte, um ihre trüben Nebel mit Licht zu erhellen, und der bereits
herausgeputzt war, um den Abend irgendwo zuzubringen, lachte laut auf,
als er den Geist vorüberschweben fühlte.
Und jetzt, ohne daß vorher der Geist etwas gesagt hätte,
standen sie auf einer kahlen, öden Heide, wo ungeheure Felsblöcke
verstreut lagen, als wäre hier eine Begräbnisstätte von
Riesen. Und Wasser breitete sich aus, wo es nur Lust hatte - oder es hätte
sich ausgebreitet, wenn es der Frost nicht gefangengehalten hätte;
und nichts wuchs dort als Moos und Gestrüpp und hartes, spitzes Gras.
Tief im Westen hatte die untergehende Sonne einen Streifen glühenden
Rots gelassen, der einen Augenblick auf die öde Steppe niedertauchte,
wie ein zürnendes Auge, und immer tiefer und tiefer sank, bis er sich
im Dunkel der tiefsten Nacht verlor.
»Was ist das für ein Ort?« fragte Scrooge.
»Ein Ort, wo Bergleute in den Tiefen der Erde arbeiten«,
antwortete der Geist. »Aber sie kennen mich. Sieh!«
Ein Licht strahlte aus dem Fenster einer Hütte, und sie
schwebten schnell darauf zu. Hier fanden sie eine fröhliche Gesellschaft
um ein wärmendes Feuer sitzen: ein alter, alter Mann und eine greise
Frau mit ihren Kindern und Enkeln und Urenkeln, alle in festlichen Kleidern.
Der Alte sang ein Weihnachtslied mit einer Stimme, die nur selten das Heulen
des Windes auf der Einöde übertönte; es war schon ein sehr
altes Lied gewesen, als er noch ein Knabe war; und von Zeit zu Zeit fielen
sie alle im Chor ein. Und stets, wenn ihre Stimmen ertönten, wurde
der Alte lebendig und laut; und immer, wenn sie aufhörten, sank seine
Kraft wieder. Der Geist verweilte hier nicht, sondern befahl Scrooge, sich
an seinem Gewand zu halten. Sie schwebten über die Öde, aber
wohin? Doch nicht aufs Meer? Aufs Meer! Zu seinem Schrecken sah Scrooge
eine Reihe grausig steiler Klippen und hinter sich das Land verschwinden,
und sein Ohr wurde betäubt von dem Donner der Wogen, wie sie unten
in den grausenden Höhlen, die sie genagt hatten, heulten und brüllten
und wüteten und mit wildem Grimm die Erde zu unterwühlen trachteten.
Auf einer öden, halb im Wasser versunkenen Klippe, gewiß
eine Meile vom Land entfernt stand ein einsamer Leuchtturm. Das ganze trostlose
Jahr hindurch umschäumten und umtollten ihn die Wogen. Große
Haufen von Seekraut umgaben seinen Fuß, und Sturmvögel - man
konnte glauben, daß sie vom Winde geboren waren wie das Seekraut
von den Wellen - Sturmvögel hoben und senkten sich um seine Spitze,
wie die wogenden Wellen unten.
Aber selbst hier hatten die zwei Turmwächter ein Feuer
angezündet, das durch das Guckloch in der dicken, steinernen Mauer
einen hellglänzenden Streifen auf die nächtliche See warf. Die
harten Hände sich über den Tisch hinreichend, an dem sie saßen,
wünschten sie einander fröhliche Weihnachten und stießen
mit den Grogbechern darauf an. Und einer der beiden, der Ältere noch
dazu, mit einem Gesicht von Sturm und Wetter gebräunt und gefurcht,
wie die Galionsfigur eines alten Schiffes, stimmte ein mächtiges Lied
an, das wie ein Sturmwind erdröhnte.
Immer noch schwebte der Geist über die dunkelwogende See
dahin, immer weiter und weiter, bis sie, wie der Geist zu Scrooge sagte,
fern jeder Küste, sich auf einem Schiff niederließen. Sie standen
neben dem Steuermann an dem Rad, dem Ausguck vorn, neben den Offizieren,
die gerade Wache hatten. Wie dunkle, gespenstige Gestalten standen diese
auf ihrem Posten, aber jeder von ihnen summte ein Weihnachtslied, oder
hatte einen Weihnachtsgedanken, oder sprach leise zu seinem Kameraden von
einem früheren Weihnachtsabend und heimatlichen Hoffnungen, die sich
daran knüpften. Und jeder einzelne an Bord, wachend oder schlafend,
gut oder schlecht, hatte an diesem Tag ein herzlicheres Wort für seine
Kameraden gehabt als an jedem andern Tag des Jahres und ihn wenigstens
einigermaßen gefeiert; und hatte an die gedacht, die sich jetzt in
der Ferne seiner erinnerten, und hatte gewußt, daß sie jetzt
seiner freundlich gedächten.
Eine große Überraschung war es für Scrooge -während
er dem Stöhnen des Windes lauschte und darüber nachdachte, wie
es doch schauerlich sei, durch die öde Nacht über einen unbekannten
Abgrund dahinzugleiten, der Geheimnisse barg, so tief wie der Tod - eine
große Überraschung war es für Scrooge sage ich, plötzlich
ein herzliches Lachen zu vernehmen. Noch größer war Scrooges
Überraschung, als er darin das Lachen seines eigenen Neffen erkannte
und sich in einem hellen, behaglich warmen Zimmer wiederfand, während
der Geist an seiner Seite stand und mit beifälligem, mildem Lächeln
auf diesen Neffen herabblickte.
»Haha!« lachte Scrooges Neffe. »Hahaha!«
Wenn jemand durch einen sehr unwahrscheinlichen Zufall einen
Menschen weiß, der glücklicher lachen kann als Scrooges Neffe,
so kann ich nur sagen, ich möchte ihn auch kennenlernen. Stellt mich
ihm vor, und ich werde mit ihm Freundschaft pflegen.
Es ist doch eine gerechte und schöne Anordnung, daß,
wie Krankheit und Kummer, auch in der ganzen weiten Welt nichts so unwiderstehlich
ansteckend ist wie Lachen und Fröhlichkeit.
Als Scrooges Neffe lachte und sich den Bauch hielt und mit dem
Kopf wackelte und die allermerkwürdigsten Gesichter schnitt, lachte
Scrooges Nichte so herzlich wie er. Und die versammelten Freunde, nicht
faul, fielen in den Lachchor ein.
»Haha! Haha! Haha!«
»Er sagte, Weihnachten sei dummes Zeug, so wahr ich lebe«,
rief Scrooges Neffe. »Und er glaubt es auch.«
»Die Schande ist um so größer für ihn,
Fred«, sagte Scrooges Nichte entrüstet. Gott segne die Frauen!
Sie tun nie etwas halb. Sie sind immer in vollem Ernst.
Sie war hübsch, sehr hübsch. Sie hatte ein liebliches,
schelmisches Gesicht, einen frischen vollen Mund, der zum Küssen gemacht
schien - wie er es ohne Zweifel auch war; alle Arten lieber kleiner Grübchen
um das Kinn, die ineinanderflossen, wenn sie lachte, und das sonnenhellste
Paar Augen, das je erblickt werden konnte. Ja, sie war reizend, liebenswürdig,
bezaubernd.
»Er ist ein komischer alter Herr«, sagte Scrooges
Neffe, »das ist wahr, und nicht so angenehm, wie er sein könnte.
Doch seine Fehler bestrafen nur ihn selbst, und ich habe keinen Grund,
etwas gegen ihn zu sagen.«
»Er muß doch sehr reich sein, Fred«, meinte
Scrooges Nichte. »Wenigstens sagst du es immer.«
»Und wenn schon, Liebste!« sprach Scrooges Neffe.
»Sein Reichtum nützt ihm nichts. Er tut nichts Gutes
damit. Er macht sich selbst nicht einmal das Leben damit angenehm. Er hat
nicht einmal das Vergnügen zu denken - hahaha -, daß er uns
am Ende damit eine Freude machen wird.«
»Ich habe keine Geduld mit ihm«, bemerkte Scrooges
Nichte. Die Schwester von Scrooges Nichte und alle die andern Damen waren
derselben Meinung.
»Oh, ich habe Geduld«, sagte Scrooges Neffe. »Mir
tut er leid; ich könnte nicht böse auf ihn werden, selbst wenn
ich's versuchte. Wer leidet unter seiner bösen Laune? Er selber allein,
sonst niemand. jetzt hat er sich's in den Kopf gesetzt, uns nicht leiden
zu können, und will unsere Einladung zum Mittagessen nicht annehmen.
Was ist die Folge davon? Er verliert nicht viel an unserm Essen.«
»Nun, ich meine, er verliert ein sehr gutes Essen«,
unterbrach ihn Scrooges Nichte. Die andern sagten dasselbe, und man konnte
ihr Urteil darüber nicht bestreiten, weil sie eben zu essen aufgehört
hatten und jetzt mit dem Dessert bei Lampenlicht um den Kamin saßen.
»Nun, es freut mich, das zu hören«, sagte Scrooges
Neffe, »weil ich kein großes Vertrauen in diese jungen Hausfrauen
setze. Was sagen Sie dazu, Topper?«
Ganz klar war's, Topper hatte ein Auge auf eine der Schwestern
von Scrooges Nichte geworfen, denn er antwortete, ein Junggeselle sei ein
unglücklicher, heimatloser Mensch, der kein Recht habe, eine Meinung
darüber auszusprechen: Worte, bei denen die Schwester von Scrooges
Nichte - die Runde mit dem Spitzkragen, nicht die mit der Rose im Haar
- rot wurde.
»Weiter, weiter, Fred!« sagte Scrooges Nichte, in
die Hände klatschend. »Er bringt nie zu Ende, was er angefangen
hat! Er ist ein so närrisches Kerlchen.«
Scrooges Neffe schwelgte in einem andern Gelächter, und
es war unmöglich, sich von der Ansteckung fern zu halten, obgleich
es die runde Schwester sogar mit Riechsalz versuchte; sein Beispiel wurde
einstimmig nachgeahmt.
»Ich wollte nur sagen«, meinte Scrooges Neffe, »daß
die Folge seines Mißfallens an uns und seiner Weigerung, mit uns
fröhlich zu sein, die ist, daß er einige angenehme Augenblicke
verliert, die ihm nichts schaden würden. Gewiß verliert er angenehmere
Unterhaltung, als ihm seine eigenen Gedanken in seinem dumpfigen alten
Kontor oder in seiner Wohnung bereiten. Ich versuche ihm jedes Jahr Gelegenheit
dazu zu geben, mag es ihm nun gefallen oder nicht, denn er dauert mich.
Er mag auf Weihnachten schimpfen, bis er stirbt, aber er muß doch
endlich besser davon denken, wenn er mich jedes Jahr in guter Laune zu
ihm kommen sieht, mit den Worten: ›Onkel Scrooge, wie geht es Ihnen?‹ -
Wenn es ihm nur den Gedanken einflößt, seinem armen Kommis fünfzig
Pfund zu hinterlassen, so ist das doch wenigstens etwas: und ich glaube,
ich packte ihn gestern.«
Jetzt war an ihnen die Reihe zu lachen bei dem Gedanken, daß
er Scrooge gepackt hätte. Aber da er durch und durch gutmütig
war und sich nicht viel darum kümmerte, worüber sie lachten,
wenn sie überhaupt lachten, so stimmte er in ihre Fröhlichkeit
mit ein und ließ die Flasche wacker herumgehen.
Nach dem Tee kam Musik an die Reihe. Denn es war eine musikalische
Familie, und sie wußten, was sie taten, wenn sie einen Glee oder
Catch sangen, darauf könnt ihr euch verlassen, namentlich Topper,
der den Baß nach Noten brummen konnte, ohne daß die großen
Adern auf der Stirn anschwollen oder sich sein Gesicht rötete. Scrooges
Nichte spielte die Harfe recht gut, und spielte unter anderen Stücken
auch ein kleines Liedchen (ein bloßes Nichts, ihr hättet es
in zwei Minuten pfeifen gelernt), das jenes Kind oft gesungen hatte, von
dem Scrooge aus der Schule geholt worden war, wie ihm der Geist der vergangenen
Weihnachten gezeigt hatte. Als Scrooge dies Liedchen hörte, trat alles,
was ihm der Geist gezeigt hatte, abermals vor seine Seele: er wurde weicher
und weicher und dachte, wenn er es vor Jahren hätte oft hören
können, so hätte er die freundlichen Seiten des Lebens genießen
können, ohne erst zu Marleys Geist seine Zuflucht um Belehrung nehmen
zu müssen.
Aber sie widmeten nicht den ganzen Abend der Musik. Nach einer
Welle fingen sie Pfänderspiele an, denn es ist gut, zuweilen Kind
zu sein, und vorzüglich zu Weihnachten, da der Urheber dieses Festes
selbst noch ein Kind war. Doch halt, erst spielten sie Blindekuh. Und ich
glaube ebensowenig, daß Topper wirklich blind war, wie ich glaube,
er habe Augen in seinen Stiefeln. Ich vermute, die Sache war zwischen ihm
und Scrooges Neffen abgekartet, und der Geist der diesjährigen Weihnachten
wußte es wohl! Die Art, wie er die runde Schwester in dem Spitzenkragen
verfolgte, war eine Beleidigung aller menschlichen Leichtgläubigkeit.
Wo sie ging, ging auch er, die Feuereisen umstoßend, über Stühle
stolpernd, an das Piano anrennend, sich in den Gardinen verwickelnd. Immer
wußte er, wo die runde Schwester war. Wenn jemand gegen ihn gefallen
wäre, wie es einige machten, oder sich vor ihn hingestellt hätte,
würde er getan haben, als bemühe er sich, ihn zu ergreifen, wäre
aber augenblicklich umgekehrt, der runden Schwester nach. Sie rief oft,
das sei nicht ehrlich, und das war es auch in der Tat nicht. Aber endlich
hatte er sie gefunden und ungeachtet ihres Sträubens zwängte
er sie in eine Ecke, aus der keine Flucht möglich war; und da wurde
seine Aufführung ganz abscheulich. Denn sein Vorgeben, er kenne sie
nicht, er müsse erst ihren Kopfputz anfassen und, um sie zu erkennen,
einen gewissen Ring auf ihrem Finger und eine gewisse Kette um ihren Hals
befühlen, war ganz, ganz abscheulich! Und gewiß sagte sie ihm
auch tüchtig ihre Meinung darüber, denn als ein anderer Blinder
an der Reihe war, tuschelten sie hinter den Gardinen sehr vertraut miteinander.
Scrooges Nichte nahm nicht teil an dem Blindekuhspiel, sondern
saß gemütlich in einer traulichen Ecke in einem Lehnstuhl mit
einem Fußbänkchen davor, und der Geist und Scrooge standen dicht
hinter ihr. Aber bei den Pfänderspielen tat sie mit und liebte ihre
Liebe mit allen Buchstaben des Alphabets zur allgemeinen Bewunderung. Auch
in dem Spiel ›Wie, Wann und Wo‹ war sie sehr tüchtig und stellte zur
geheimen Freude von Scrooges Neffen ihre Schwestern gar sehr in den Schatten,
obgleich sie auch ganz gescheite Mädchen waren, wie es uns Topper
hätte versichern können. Es mochten ungefähr zwanzig Personen
da sein, junge und alte, aber sie spielten alle, und auch Scrooge spielte
mit; denn in seiner Teilnahme an den Vorgängen ganz vergessend, daß
ihnen seine Stimme nicht hörbar war, gab er oft seine Antwort auf
die Fragen ganz laut und riet auch oft ganz richtig.
Dem Geist gefiel es sehr gut, ihn in dieser Laune zu sehen,
und er blickte ihn so freundlich an, daß ihn Scrooge wie ein Knabe
bat, noch warten zu dürfen, bis die Gäste fortgingen. Aber der
Geist sagte, dies könne nicht geschehen.
»Es fängt ein neues Spiel an«, sagte Scrooge.
»Nur eine einzige halbe Stunde, Geist.«
Es war ein Spiel, das man ›Ja und Nein‹ nennt, wo Scrooges Neffe
sich etwas zu denken hatte und die anderen erraten mußten, was; auf
ihre Fragen brauchte er dann nur mit Ja oder Nein zu antworten. Die schnell
aufeinanderfolgenden Fragen, die ihm vorgelegt wurden, ergaben denn endlich,
daß er sich ein Geschöpf dachte -. ein lebendiges Wesen, ein
häßliches, wildes Geschöpf, das zuweilen brumme und zuweilen
spreche und sich in London aufhalte und in den Straßen herumlaufe
und nicht für Geld gezeigt und nicht herumgeführt werde und nicht
in einer Menagerie sei und nicht geschlachtet werde, und weder ein Pferd,
noch ein Esel, noch eine Kuh, noch ein Ochs, noch ein Tiger, noch ein Hund,
noch ein Schwein, noch eine Katze, noch ein Bär sei. Bei jeder neuen
Frage, die ihm gestellt wurde, brach Scrooges Neffe aufs neue in ein Gelächter
aus und konnte gar nicht wieder herauskommen, so daß er vom Sofa
aufstehen und mit den Füßen stampfen mußte. Endlich rief
die runde Schwester mit einem ebenso unauslöschlichen Gelächter:
»Ich habe es, Fred, ich weiß es, ich weiß
es.«
»Was ist es?« rief Fred.
»Es ist Onkel Scrooge.«
Und der war es auch. Verwunderung war das allgemeine Gefühl,
obgleich einige meinten, die Frage: »Ist es ein Bär?«
hätte mit Ja beantwortet werden müssen, denn eine verneinende
Antwort sei schon hinreichend gewesen, ihre Gedanken von Scrooge abzubringen,
selbst wenn sie auf dem Wege zu ihm gewesen wären.
»Nun, er hat uns Freude genug gemacht«, sagte Fred,
»und so wäre es undankbar, nicht auf seine Gesundheit zu trinken.
Hier ist ein Glas Glühwein dazu bereit. Es lebe Onkel Scrooge!«
»Es lebe Onkel Scrooge!« stimmten alle ein.
»Fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neujahr
dem Alten, sei er, wie er wolle!« sagte Scrooges Neffe. »Er
wollte meinen Wunsch nicht annehmen, aber er soll ihn dennoch haben.«
Dem Onkel Scrooge war es unmerklich so fröhlich und leicht
zu Sinne geworden, daß er der von seiner Gegenwart nichts ahnenden
Gesellschaft ihren Toast erwidert und mit einer unhörbaren Rede gedankt
haben würde, hätte ihm der Geist Zeit dazu gelassen. Aber alles
verschwand im Hauch vom letzten Wort des Neffen, und Scrooge und der Geist
waren schon wieder unterwegs. Sie gingen weit und sahen viel und besuchten
manchen Herd, aber immer spendeten sie Glück. Der Geist stand neben
Kranken, und sie wurden heiter und hoffend; neben Wanderern in fernen Ländern,
und sie träumten von der Heimat; neben solchen, die mit dem Leben
rangen, und sie harrten geduldig aus; neben Armen, und sie wurden reich.
Im Armenhaus und im Lazarett, im Kerker und in jedem Zufluchtsort des Elends,
wo der Mensch in seiner kurzen ärmlichen Herrschaft dem Geiste die
Tür verschlossen hatte, spendete er seinen Segen und lehrte Scrooge
seine Weise.
Es war eine lange Nacht, wenn es nur eine Nacht war; aber Scrooge
zweifelte daran, denn die Weihnachtsfeiertage schienen in die Zeit, in
der sie miteinander verrannen, zusammengedrängt zu sein. Es war auch
sonderbar, daß der Geist offenbar älter wurde, während
Scrooge äußerlich ganz unverändert blieb. Scrooge hatte
diese Veränderung zwar bemerkt, sprach aber nie davon, bis sie von
einer Kinderweihnachtsgesellschaft weggingen, wo er bemerkte, daß
des Geistes Haar schnell grau geworden war.
»Ist das Leben der Geister so kurz?« fragte Scrooge.
»Mein Leben ist sehr kurz auf dieser Erde«, sagte
der Geist, »es endet noch in dieser Nacht.«
»In dieser Nacht noch!« rief Scrooge.
»Heute um Mitternacht. Horch, die Zeit nahet schon.«
Die Glocke schlug drei Viertel auf zwölf
»Vergib mir, wenn ich nicht recht tue, zu fragen«,
sagte jetzt Scrooge, scharf auf des Geistes Gewand blickend, »aber
ich sehe etwas Seltsames unter deinem Mantel hervorblicken, was nicht zu
dir zu gehören scheint. Ist es ein Fuß oder eine Klaue?«
»Nach dem wenigen Fleisch, was darauf sitzt, könnte
es schon eine Klaue sein«, gab der Geist traurig zur Antwort, und
fuhr fort: »Sieh hier!«
Aus den weiten Falten seines Gewandes hervor erschienen jetzt
zwei Kinder, elend, abgemagert, häßlich und mitleiderregend.
Sie knieten vor dem Geiste nieder und hielten sich festgeklammert an dem
Saum seines Gewandes.
»O Mensch, sieh hier«, rief der Geist. »Sieh
hier, sieh hier!«
Es war ein Knabe und ein Mädchen. Fahlen Gesichtes, elend,
zerlumpt und mit wildem, tückischem Blicke; aber doch auch ängstlich
und gedrückt in ihrer Demut. Wo die Schönheit der Jugend ihre
Züge hätte durchleuchten und mit ihren frischesten Farben kleiden
sollen, hatte sie eine runzlige, abgelebte Hand, gleich der des Alters,
berührt und versehrt. Wo Engel hätten thronen können, lauerten
Teufel mit grimmigem, drohendem Blick. Keine Veränderung, keine Entwürdigung
der Menschheit in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche
und grauenerregende Ungeheuer aufzuweisen.
Entsetzt fuhr Scrooge zurück. Da sie ihm der Geist auf
solche Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne
Kinder, aber die Worte erstickten ihm von selber, um nicht teilzuhaben
an einer so ungeheuren Lüge.
»Geist, sind das deine Kinder?« Weiter konnte Scrooge
nichts sagen.
»Es sind des Menschen Kinder«, erwiderte der Geist,
auf sie herabschauend. »Und sie hängen sich an mich, vor mir
ihre Väter anklagend. Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser
Knabe ist der Mangel. Schau sie beide wohl an, und vor allem diesen Knaben;
denn auf seiner Stirn seh' ich geschrieben, was Verhängnis ist, wenn
die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es«, rief der Geist,
seine Hand nach der Stadt ausstreckend.
»Verleumdet alle, die es Euch sagen! Gebt es zu um Eurer
Parteizwecke willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet das Ende!«
»Haben sie keine Stütze, keinen Zufluchtsort?«
rief Scrooge.
»Gibt es keine Gefängnisse?« sagte der Geist,
das letztemal die eigenen Worte von Scrooge gegen ihn gebrauchend. »Gibt
es keine Armenhäuser?«
Die Glocke schlug zwölf.
Scrooge sah sich um nach dem Geiste, aber er war verschwunden.
Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er sich an die Vorhersagung
des alten Jacob Marley und sah, die Augen erhebend, ein grauenerregendes,
tief verhülltes Gespenst auf sich zukommen, wie ein Nebel auf dem
Boden dahinzurollen pflegt.
http://gutenberg.aol.de/dickens/weihlied/weihl004.htm
Vierte Strophe
Der letzte Geist
Die Erscheinung kam langsam, feierlich, schweigend auf ihn zu.
Als sie herangekommen war, fiel Scrooge auf die Knie nieder, denn selbst
die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien geheimnisvolles Grauen
um sich zu verbreiten.
Die Erscheinung war verhüllt in einem schwarzen, weiten
Mantel, der nichts von ihr sehen ließ, als eine ausgestreckte Hand.
Wäre diese nicht gewesen, es wäre einem schwer angekommen, die
Gestalt von der Nacht zu trennen, die sie umgab!
Als sie neben ihm stand, fühlte er, daß sie groß
und stattlich war und daß ihn ihre geheimnisvolle Gegenwart mit einem
feierlichen Grauen erfüllte. Er wußte weiter nichts, denn der
Geist sprach und bewegte sich nicht.
»Ich stehe vor dem Geist der zukünftigen Weihnacht?«
fragte Scrooge.
Der Geist antwortete nicht, sondern wies mit der Hand zur Erde
hinab.
»Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, die noch
nicht geschehen sind, aber noch geschehen werden?« fuhr Scrooge fort.
»Willst du das, Geist?«
Der obere Teil der Verhüllung bauschte sich auf einen Augenblick
in Falten, als ob der Geist sein Haupt neige; dies war die einzige Antwort,
die Scrooge erhielt.
Obgleich schon so ziemlich an gespenstische Gesellschaft gewöhnt,
bangte Scrooge vor der stummen Erscheinung doch so sehr, daß seine
Knie wankten und er kaum noch stehen konnte, als er sich ihr zu folgen
bereit machte. Der Geist stand für einen Augenblick still, als bemerke
er die Furcht seines Begleiters und als wolle er ihm Zeit lassen, sich
zu erholen.
Aber Scrooge befand sich dadurch noch schlechter. Ein fremdes,
unbestimmtes Grausen durchbebte ihn bei dem Gedanken, daß sich hinter
diesem schwarzen Schleier gespenstische Augen fest auf ihn heften könnten,
während er, obgleich er seine Augen aufs äußerste anstrengte,
doch nichts sehen konnte als die gespenstische Hand und eine große,
schwarze Faltenmasse.
»Geist der Zukunft«, rief er, »ich fürchte
dich mehr als die Geister, die ich schon gesehen habe. Aber da ich weiß,
daß es dein Zweck ist, mir Gutes zu tun, und da ich noch zu leben
hoffe, um ein anderer Mensch zu werden, als ich bisher war, bin ich willens,
dich zu begleiten und tue es mit einem dankerfüllten Herzen. -Willst
du nicht zu mir sprechen?«
Die Gestalt gab ihm keine Antwort. Die Hand wies gerade vor
ihm hin in die Ferne.
»Führe mich«, bat Scrooge. »Führe
mich, die Nacht schwindet schnell, und die Zeit ist für mich kostbar.
Führe mich, Geist.«
Die Erscheinung bewegte sich ebenso von ihm weg, wie sie auf
ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres Gewandes, der ihn
aufhob und von dannen trug.
Es war kaum, als ob sie in die City träten; eher schien
die City rings um sie her in die Höhe zu wachsen und sie zu umdrängen.
Aber sie waren doch mitten in ihrem Herzen, auf der Börse unter den
Kaufleuten, die geschäftig hin und her eilten, mit dem Geld in ihren
Taschen klimperten, in Gruppen miteinander sprachen, nach der Uhr sahen
und gedankenvoll mit den großen, goldenen Petschaften an den Uhrketten
spielten, wie Scrooge es schon so oft gesehen hatte.
Der Geist blieb bei einer Gruppe von Kaufleuten stehen, und
Scrooge sah, daß die Hand der Erscheinung darauf hinwies; daher näherte
er sich ihnen, um ihr Gespräch zu belauschen.
»Nein, ich weiß nicht viel davon zu sagen«,
sagte ein großer fetter Mann mit einem ungeheuren Doppelkinn. »Ich
weiß nur, daß er tot ist.«
»Wann starb er denn?« fragte ein anderer.
»Vorige Nacht, glaub' ich.«
»Mein Gott, was hat ihm denn gefehlt?« mischte sich
ein Dritter ein, der dabei eine große Prise aus einer sehr großen
Dose nahm. »Ich dachte, der würde nie sterben.«
»Weiß Gott«, sagte der erste und gähnte.
»Was hat er mit seinem Geld angefangen?« fragte
ein Herr mit einem roten Gesicht und einem Auswuchs an der Nasenspitze,
der wie der Lappen eines Truthahns wackelte.
»Ich habe nichts davon gehört«, sagte der Mann
mit dem fetten Doppelkinn, und gähnte abermals. »Hat es wahrscheinlich
seiner Firma hinterlassen. Mir hat er's nicht vermacht. Das weiß
ich.«
Dieser reizende Scherz wurde mit einem allgemeinen Gelächter
begrüßt.
»Es wird wohl ein sehr billiges Begräbnis werden«,
fuhr der Dicke mit dem Doppelkinn fort; »denn so wahr ich lebe, ich
kenne niemanden, der mitgehen sollte. Wenn wir nun zusammenträten
und freiwillig mitgingen?«
»Ich tue mit, wenn für einen Lunch gesorgt wird«,
bemerkte der Herr mit dem Truthahnlappen an der Nasenspitze. »Aber
ich muß zu essen haben, wenn ich dabei sein soll.«
Ein neues Gelächter.
»Nun, da bin ich doch wohl der Uneigennützigste von
euch«, meinte der erste Sprecher, »denn ich trage nie schwarze
Handschuhe und esse nie Lunch. Aber ich gehe mit, wenn sich noch andere
finden. Wenn ich mir's recht überlege, war ich am Ende sein vertrautester
Freund; denn wir blieben stehen und sagten einander, wenn wir uns auf der
Straße trafen: ›Guten Morgen, guten Morgen!‹«
Sprecher und Zuhörer gingen fort und mischten sich unter
andere Gruppen. Scrooge kannte die Leute und sah den Geist mit einem fragenden
Blick an.
Die Erscheinung schwebte weiter und hinaus auf die Straße.
Ihre Hand wies auf zwei sich begegnende Personen. Und wieder
hörte Scrooge zu, in der Hoffnung, jetzt die Erklärung zu finden.
Denn er kannte auch diese Leute recht gut. Es waren Kaufleute,
sehr reich und von großem Ansehen. Er hatte sich immer bestrebt,
in ihrer Achtung zu bleiben, das heißt in Geschäftssachen, rein
in Geschäftssachen.
»Wie geht's?« sagte der eine.
»Wie geht's Ihnen?« der andere.
»Gut«, erwiderte der erste. »Der alte Knauser
ist endlich tot, wissen Sie es schon?«
»Ich hörte es«, antwortete der zweite. »Es
ist kalt heute, nicht wahr?«
»Wie sich's zu Weihnachten schickt. Sie sind wohl kein
Schlittschuhläufer?«
»Nein, nein. Habe an andere Sachen zu denken. Guten Morgen!«
Kein Wort weiter. So trafen sie sich, so trennten sie sich.
Scrooge war erst zu staunen geneigt, daß der Geist auf
anscheinend so unbedeutende Gespräche ein Gewicht zu legen schien;
aber sein Gefühl sagte ihm, daß sie eine verborgene Bedeutung
haben müßten, und er zerbrach sich den Kopf, welcher Art diese
sein könnte.
Die Gespräche konnten sich nicht auf den Tod Jacobs, seines
alten Kompagnons, beziehen, denn der gehörte der Vergangenheit an,
und sein Führer war doch der Geist der Zukunft. Auch konnte er sich
niemanden von den ihn näher Angehenden vorstellen, auf den er sie
hätte beziehen können. Aber in der Gewißheit, daß
für ihn doch eine wichtige Lehre darin liege, auf wen sie sich auch
beziehen möchten, beschloß er, jedes Wort, das er hörte,
und jede Szene, die er sah, treu in seinem Herzen aufzubewahren, und vorzüglich
seinen Schatten zu beobachten, wenn er erschien. Denn er erwartete von
dem Benehmen seines zukünftigen Selbst die noch fehlende Aufklärung
und die Lösung der Rätsel, die ihm jetzt so schwierig vorkam.
Schon auf der Börse sah er sich nach seinem Selbst um;
aber ein anderer stand in seiner gewohnten Ecke, und obgleich die Uhr die
Stunde zeigte, wo er gewöhnlich dort war, bemerkte er sich doch auch
nicht unter den Scharen, die sich durch den Eingang hereindrängten.
Das überraschte ihn indessen um so weniger, als er schon lange daran
gedacht hatte, sein Geschäft aufzugeben; und nun glaubte und hoffte
er, in diesen Erscheinungen schon die einstige Verwirklichung seines Planes
zu erblicken.
Regungslos und schwarz stand neben ihm das Gespenst mit seiner
starr ausgestreckten Hand. Als er wieder von seiner nachdenklichen Stellung
aufblickte, glaubte er (nach der Richtung der Hand zu urteilen), daß
sich die unsichtbaren Augen fest auf ihn hefteten. Bei diesem Gedanken
überlief ihn ein kalter Schauer.
Sie verließen darauf die geschäftige Umgebung und
gingen in einen abgelegenen Teil der Stadt, wo Scrooge nie vorher gewesen
war, dessen Lage und schlechten Ruf er aber kannte. Die Straßen waren
schmutzig und eng, die Läden und Häuser ärmlich, die Menschen
halbnackt, betrunken, barfuß, häßlich. Gäßchen
und Torwege strömten, wie ebenso viele Kloaken, abscheuerregende Gerüche
und Schmutz und Menschen in die Straßen, und das ganze Viertel schien
erfüllt von Verbrechen, Unrat und Elend.
In einem der tiefsten Winkel dieses Zufluchtsorts der Sünde
und des Verbrechens befand sich ein niedriger, dunkler Laden unter einem
Wetterdach, in dem Eisen, Lumpen, Flaschen, Knochen und Fleischabfälle
verkauft wurden. Auf dem Fußboden lag ein Haufen verrosteter Schlüssel,
Nägel, Ketten, Türangeln, Feilen, Wagen, Gewichte und altes Eisen
aller Art. Geheimnisse, die zu enträtseln wenige verlangen würden,
entstanden und verbargen sich in Bergen widerlicher Lumpen, Massen verdorbenen
Fettes und ganzen Beinhäusern von Knochen. Mitten unter seinen Waren
saß neben einem aus alten Kacheln zusammengesetzten Ofen ein grauhaariger,
fast siebzigjähriger Schelm, der sich vor der Kälte draußen
durch einen bauschigen Vorhang von allerlei, auf eine Leine gehängten
Lumpen geschützt hatte und seine Pfeife voll Behagen rauchte.
Scrooge und die Erscheinung traten neben diesen Mann, als eine
Frau mit einem schweren Bündel in den Laden schlich. Kaum war sie
eingetreten, als ihr eine zweite Frau, auch mit einem Bündel, folgte,
und dieser dicht auf den Fersen ein Mann in einem alten, schwarzen, abgetragenen
Anzug, der nicht weniger vor dem Anblick der beiden erschrak, als diese
voreinander erschrocken waren. Nach einigen Augenblicken wortlosen Staunens,
an dem sich der Alte mit der Pfeife beteiligt hatte, brachen sie alle drei
in ein lautes Gelächter aus.
»Schau an, die Putzfrau ist die erste«, rief die
zuerst eingetreten war. »Schau an, die Waschfrau ist die zweite,
und der Sargträger ist der dritte. He, Joe, das ist ein Glücksfall!
Wir treffen uns hier alle drei, ohne daß wir uns verabredet haben.«
»Ihr hättet euch an keinem bessern Ort treffen können«,
sagte der alte Joe, die Pfeife aus dem Mund nehmend. »Kommt in den
Salon. Ihr habt schon lange freien Zutritt dort, das wißt Ihr ja,
und die anderen zwei sind auch keine Fremden. Wartet, bis ich die Ladentür
zugemacht habe. Oh, wie sie knarrt! Ich glaube, es gibt kein so rostiges
Stück Eisen in dem ganzen Laden, als die Türangeln; und ich weiß,
es gibt keine so alten Knochen hier, wie meine. Haha, wir passen zu unserm
Geschäft. Kommt in den Salon!«
Der Salon war der Raum hinter dem Lumpenvorhang. Der Alte kratzte
das Feuer mit einem alten Rouleaustab zusammen, schob den Docht seiner
qualmigen Lampe, denn es war Abend, mit dem Pfeifenstiel in die Höhe
und steckte diese dann wieder in den Mund.
Während er damit beschäftigt war, warf die zuerst
eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit kokettierender
Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Knie und
sah die beiden andern herausfordernd an.
»Nun, was ist dabei, was ist schon dabei, Mrs. Dilber
?jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Und er tat es immer.«
»Das ist wahr«, sagte die Waschfrau. »Keiner
tat es eifriger.«
»Na, warum gafft Ihr da einander an, als hättet Ihr
Bange, wer der Schlauere sei? Wir wollen doch nicht einander die Augen
aushacken, denk' ich.«
»Nein, gewiß nicht«, sagten Mrs. Dilber und
der Mann wie aus einem Munde. »Wir wollen es nicht hoffen.«
»Na, gut denn«, rief die Frau, »das ist genug!
Wem schadet's, wenn wir so ein paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer
Leiche gewiß nicht.«
»Nein, gewiß nicht«, lachte Mrs. Dilber.
»Wenn er sie noch nach dem Tode behalten wollte, wie ein
alter Geizhals«, fuhr die Frau fort, »warum war er nicht besser
zu seinen Lebzeiten? Wäre er's gewesen, dann hätte er auch jemanden
um sich gehabt, als er starb, statt daß er mutterseelenallein seinen
letzten Atem fahren lassen mußte.«
»Es ist das wahrste Wort, das je gesprochen wurde«,
bestätigte Mrs. Dilber.
»Es ist ein Gottesgericht.«
»Ich wünschte, es wäre ein bißchen schwerer
ausgefallen«, meinte die Frau, »und es wär's auch, verlaßt
euch drauf, wenn ich hätte mehr bekommen können. Mach das Bündel
auf, Joe, und sag mir, was es wert ist. Sprich dreist heraus. Ich fürchte
mich nicht, die erste zu sein, noch es die hier sehen zu lassen. Wir wußten
ganz gut, daß wir für uns sorgten, ehe wir uns hier trafen.
Das ist keine Sünde. Mach das Bündel auf, Joe.«
Aber die Galanterie ihrer Freunde wollte das nicht erlauben;
und der Mann in dem abgetragenen schwarzen Rock brachte seine Beute zuerst.
Es war nicht viel los damit: ein oder zwei Petschafte, ein silberner Bleistift,
ein Paar Hemdknöpfe und eine Brosche von geringem Wert: das war alles.
Die Gegenstände wurden von dem alten Joe untersucht und geschätzt,
worauf er die Summe, die er für das einzelne bezahlen wollte, an die
Wand schrieb und zusammenrechnete, als er fand, daß nichts mehr nachkam.
»Das ist Eure Rechnung«, sagte Joe, »und ich
gebe keinen Sixpence mehr und sollte ich in Stücke gehauen werden.
Wer kommt jetzt?«
Mrs. Dilber war die nächste. Sie hatte Bett- und Handtücher,
einige Kleidungsstücke, zwei altmodische silberne Teelöffel,
eine Zuckerzange und einige Paar Stiefel. Ihre Rechnung wurde von Joe auf
dieselbe Weise an die Wand geschrieben.
»Damen gebe ich immer zuviel. Es ist meine Schwäche,
und ich richte mich damit zugrunde », sagte der alte Joe. »Hier
ist Eure Rechnung. Wolltet Ihr einen Pfennig mehr dafür haben und
es darauf ankommen lassen, so täte es mir leid, so nobel gewesen zu
sein, und ich zöge Euch eine halbe Krone ab.«
»Und nun mach mein Bündel auf, Joe«, drängte
die erste.
Joe kniete nieder, um bequemer das Bündel öffnen zu
können, und nachdem er viele viele Knoten aufgemacht hatte, zog er
eine große schwere Rolle von einem dunklen Stoff heraus.
»Was ist das?« staunte Joe. »Bettgardinen!«
»Ja«, rief das Weib lachend und sich vorbeugend.
»Bettgardinen!«
»Ihr wollt doch nicht sagen, Ihr hättet sie heruntergenommen,
wie er dort lag?« sagte Joe.
»Ih, freilich«, sagte das Weib. »Warum auch
nicht?«
»Ihr seid geboren, Euer Glück zu machen, und Ihr
werdet's auch.«
»Ich werde doch wahrhaftig meine Hand nicht leer einstecken,
wenn ich sie nur auszustrecken brauche, um was zu kriegen, um so eines
Mannes willen, wie der war. Wahrhaftig nicht, Joe«, antwortete das
Weib ruhig. »Laß kein Öl auf die Bettdecken tropfen.«
»Seine Bettdecke?« fragte Joe.
»Von wem soll sie denn sonst sein?« entgegnete das
Weib. »Er wird auch ohne die nicht frieren, das behaupte ich.«
»Er starb doch nicht etwa an etwas Ansteckendem?«
fragte der alte Joe bedenklich, seine Beschäftigung unterbrechend
und sie anblickend.
»Das braucht Ihr nicht zu befürchten«, antwortete
die Frau. »Ich hatte ihn nicht so lieb, daß ich dann bei ihm
geblieben wäre um solcher Lumpen willen. Ha, Ihr könnt durch
das Hemd gucken, bis Euch Eure Augen weh tun: Ihr findet kein Loch darin
und keine dünne Stelle. Es ist das beste, was er hatte, und sein ist's
auch. Sie hätten's verdorben, wenn ich nicht gewesen wäre.«
»Was meint Ihr mit Verderben?« fragte der alte Joe.
»Nun, ihm das Hemd in das Grab mitgeben, was sonst?«
erwiderte die Frau lachend. »Es war da einer dumm genug, es ihm anzuziehen,
aber ich zog's ihm wieder aus. Wenn Kattun zu so etwas nicht gut genug
ist, weiß ich nicht, zu was er sonst gut wäre. Er steht einer
Leiche ebensogut. Er kann nicht häßlicher aussehen, als er darin
aussah.«
Scrooge hörte das Gespräch mit Grausen an. Wie sie
da um ihren Raub herum in dem kärglichen Lampenlicht des Alten saßen,
betrachtete er sie mit einem Ekel und einem Abscheu, der nicht größer
hätte sein können, wenn es scheußliche Dämonen gewesen
wären, die um die Leiche selbst feilschten.
»Ha, ha!« lachte dieselbe Frau, als der alte Joe,
einen alten flanellnen Geldbeutel herauslangte und jedem den Preis des
Raubes auf den Fußboden hinzählte. »Das ist das Ende von
der Geschichte, seht Ihr! Er scheuchte jeden von sich, solange er lebte,
um uns zu nützen, da er tot ist! Hahaha!«
»Geist«, sagte Scrooge, vom Fuß bis zum Scheitel
zitternd. »Ich verstehe dich. Das Los dieses Unglücklichen könnte
das meinige sein. Mein Leben geht jetzt auf dieses Ziel zu. Gnädiger
Himmel, was ist das?«
Er fuhr entsetzt zurück, denn die Szene hatte sich verändert,
und er stand dicht vor einem Bett, einem einsamen, unverhängten Bett,
in dem unter einer groben Decke etwas Verhülltes lag, das, obgleich
stumm, in einer grauenerregenden Sprache verkündete, was es war.
Das Zimmer war sehr dunkel, zu dunkel, um etwas sicher erkennen
zu können, obgleich sich Scrooge, einem geheimen Gefühl folgend,
voll Begier umsah, um zu wissen, was für ein Zimmer es sei. Ein bleiches
Licht, das von draußen hereinströmte, fiel gerade aufs Bett;
und auf diesem, geplündert und beraubt, unbewacht und unbeweint, lag
die Leiche dieses Mannes.
Scrooge blickte die Erscheinung an. Ihre regungslose Hand wies
auf das Haupt des Leichnams. Die Decke war so sorglos zurechtgelegt, daß
das geringste Verschieben, die leiseste Berührung von Scrooges Fingern
das Antlitz enthüllt hätte. Er dachte daran, empfand, wie leicht
es geschehen könnte, und sehnte sich, es zu tun; aber er hatte ebensowenig
die Kraft, die Hülle wegzuziehen, wie den Geist von seiner Seite zu
entlassen.
Oh, kalter, starrer, schrecklicher Tod, hier richte deinen Altar
auf und umgib ihn mit den Schrecken, über die du verfügst, denn
dies ist dein Reich! Aber dem geliebten und verehrten Haupt kannst du kein
Haar krümmen, von ihm kannst du keinen Zug widerlich machen. Auch
wenn die Hand schwer ist und herabsinkt, wenn man sie fallen läßt,
auch wenn das Herz und der Puls schweigen; die Hand war offen und barmherzig,
das Herz war offen und warm und gut und der Puls ein menschlicher. Töte,
Schatten, töte! Und sieh, wie seine guten Taten aus der Todeswunde
hervorströmen, um in der Welt ein unsterbliches Leben auszusäen!
Es war nicht etwa eine Stimme, die diese Worte in Scrooges Ohren
flüsterte, aber doch hörte er sie, während er auf das Bett
starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder erweckt werden könnte,
was würde wohl sein erster Gedanke sein? Nur Geiz, Hartherzigkeit,
habgierige Sorge. - Ein schönes Ende haben sie ihm bereitet!
Er lag in dem düstern leeren Haus, und kein Mann, kein
Weib, kein Kind war da, um zu sagen: »Er war gütig gegen mich
in dem und in jenem, und dieses einen gütigen Wortes gedenkend will
ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten
nagten und raschelten unter dem Kamin. Was sie in dem Gemach des Todes
wollten und warum sie so unruhig waren, wagte Scrooge nicht auszudenken.
»Geist«, sagte er, »dies ist ein schrecklicher
Ort. Wenn ich ihn verlasse, werde ich nicht seine Lehre vergessen, glaube
mir. Laß uns gehen.«
Immer noch wies der Geist mit regungslosem Finger auf das Haupt
der Leiche.
»Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und
ich täte es, wenn ich könnte. Aber ich habe die Kraft nicht dazu,
Geist. Ich habe die Kraft nicht dazu.«
Wieder schien ihn der Geist anzublicken.
»Wenn irgend jemand in der Stadt ist, der bei dieses Mannes
Tod etwas fühlt«, bat Scrooge ganz erschüttert, »so
zeige mir ihn, Geist, ich flehe dich an.«
Die Erscheinung breitete ihren dunklen Mantel einen Augenblick
vor ihm aus wie einen Fittich; und wie sie ihn wieder wegzog, sah er ein
taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren Kindern befand.
Sie wartete auf jemandes Kommen in ängstlicher Hoffnung,
denn sie ging im Zimmer auf und ab, erschrak bei jedem Geräusch, sah
zum Fenster hinaus, blickte nach der Uhr, versuchte umsonst, sich zu beschäftigen
und konnte kaum die Stimmen der spielenden Kinder ertragen.
Endlich vernahm sie das langersehnte Klopfen an der Haustür,
und als sie hinausgehen wollte, kam ihr der Gatte entgegen. Sein Gesicht
war abgehärmt und bekümmert, obgleich er noch jung war! Es zeigte
sich jetzt ein merkwürdiger Ausdruck darin: eine Art ernster Freude,
deren er sich schämte und die er zu verbergen bestrebt war.
Er setzte sich zum Essen nieder, das man ihm am Feuer aufgehoben
hatte; und als die Gattin ihn erst nach langem Schweigen fragte, was er
für Nachrichten bringe, schien er um Antwort verlegen zu sein.
»Sind es gute«, fragte sie, »oder schlechte?«
»Schlechte«, gab er zur Antwort.
»Sind wir ganz zugrunde gerichtet?«
»Nein, noch ist Hoffnung vorhanden, Caroline.«
»Wenn er sich erweichen läßt«, rief sie
erstaunt, »dann ist noch Hoffnung da! Nichts ist hoffnungslos, wenn
ein solches Wunder geschehen ist.«
»Für ihn ist es zu spät, Erbarmen zu zeigen«,
sagte der Gatte. »Er ist tot.«
Wenn ihr Gesicht Wahrheit sprach, so war sie ein mildes und
geduldiges Wesen; aber sie war doch dankbar dafür in ihrem Herzen
und sprach es mit gefalteten Händen aus. Doch schon im nächsten
Augenblick bat sie Gott, daß er ihr verzeihen möge, und bereute
es; aber das erste Gefühl war die Stimme ihres Herzens gewesen.
»Was mir die halbbetrunkene Frau gestern abend meldete,
als ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wollte, und was
ich nur für einen bloßen Vorwand hielt, um mich abzuweisen,
erweist sich jetzt als die reine Wahrheit. Er war nicht nur sehr krank,
er lag schon im Sterben.«
»Auf wen wird unsere Schuld übergehen?«
»Ich weiß es nicht. Aber noch vor dieser Zeit werden
wir das Geld haben; und selbst, wenn dies nicht einträfe, wär'
es fast unwahrscheinlich großes Pech, in seinem Erben einen ebenso
unbarmherzigen Gläubiger zu finden. Wir können heut' nacht leichteren
Herzens schlafen, Caroline.«
Ja, sie mochten es verhehlen, wie sie wollten: ihre Herzen waren
leichter. Die Gesichter der Kinder, die sich still um die Eltern drängten,
um zu hören, was sie so wenig verstanden, erhellten sich, und alle
wurden glücklicher durch dieses Mannes Tod. Das einzige von diesem
Ereignis hervorgerufene Gefühl, das ihm der Geist zeigen konnte, war
also eins der Freude.
»Laß mich ein zärtliches, bei einem Todesfall
empfundenes Gefühl sehen«, bat Scrooge, »oder mir wird
dies dunkle Zimmer, das wir soeben verlassen haben, immer vor Augen bleiben.«
Nun führte ihn der Geist durch mehrere Straßen, die
er oft gegangen war; und indem sie vorüberschwebten, hoffte Scrooge
sich hier und da zu erblicken, aber nirgends war er zu sehen. Sie traten
in Bob Cratchits Haus, dessen Wohnung sie schon früher besucht hatten,
und fanden dort die Mutter mit den Kindern um das Feuer sitzen.
Alles war ruhig, alles war still, sehr still. Die lärmenden
kleinen Cratchits saßen stumm, wie steinerne Bilder, in einer Ecke
und sahen auf Peter, der ein Buch vor sich hatte. Mutter und Töchter
nähten. Aber auch sie waren still, sehr still.
»Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«
Wo hatte Scrooge diese Worte gehört? Der Knabe mußte
sie gelesen haben, als er und der Geist über die Schwelle traten.
Warum fuhr der Leser nicht fort?
Die Mutter legte ihre Arbeit auf den Tisch und führte die
Hand gegen die Augen.
»Die Farbe tut mir weh«, sagte sie.
Die Farbe? Ach, der arme Tiny Tim!
»Es geht jetzt wieder besser«, sagte Cratchits Frau.
»Die Farbe tut mir weh bei Licht, und ich möchte
nicht, daß Vater, wenn er heimkommt, meine roten Augen sieht. Es
muß bald Zeit sein.«
»Fast schon vorüber«, erwiderte Peter, das
Buch schließend. »Aber ich glaube, Mutter, er geht jetzt etwas
langsamer als früher.«
Sie waren wieder sehr still. Endlich sagte sie mit einer ruhigen,
heiteren Stimme, die nur ein einziges Mal zitterte:
»Ich weiß, daß er mit - ich weiß, daß
er mit Tiny Tim auf der Schulter sehr schnell ging.«
»Ich auch«, rief Peter. »Oft.«
»Ich auch«, stimmten die andern ein.
»Aber er war sehr leicht zu tragen«, fing sie wieder
an, den Blick fest auf ihre Arbeit gerichtet, »und der Vater liebte
ihn so, daß es keine Last für ihn war -keine Last. Doch horch:
da kommt der Vater.«
Sie eilten ihm entgegen und Bob mit dem Schal - der arme Kerl
hatte ihn nötig - trat herein. Sein Tee stand bereit, und sie drängten
sich alle herbei, und jeder wollte ihn am meisten bedienen. Dann kletterten
die beiden kleinen Cratchits auf seine Knie, und jedes Kind legte eine
kleine Wange an die seine, als wollten sie sagen: »Gräm dich
nicht, lieber Vater, sei nicht traurig.«
Bob war sehr heiter und sprach sehr munter mit der ganzen Familie.
Er besah die Arbeit auf dem Tisch und lobte den Fleiß und den Eifer
seiner Frau und Töchter. Sie würden lange vor Sonntag fertig
sein, meinte er.
»Sonntag!« wiederholte die Frau. »Du warst
also heute dort, Robert?«
»Ja, meine Liebe«, antwortete Bob. »Ich wollte,
du hättest auch hingehen können. Es würde dein Herz erfreut
haben, zu sehen, wie grün es dort ist. Aber du wirst es oft sehen.
Ich versprach ihm, sonntags hinzugehen. Mein liebes, liebes Kind!«meinte
Bob. »Mein liebes Kind!«
Er brach auf einmal zusammen. Er konnte nicht anders. Hätte
er anders gekonnt, so wären er und sein Kind einander wohl weniger
nahe gewesen.
Er verließ die Stube und ging die Treppe hinauf in ein
Zimmer, das hell erleuchtet und weihnachtsmäßig aufgeputzt war.
Ein Stuhl stand dicht neben dem Kind und man sah, daß vor kurzem
jemand dagewesen war. Der arme Bob setzte sich nieder, und als er ein wenig
nachgedacht und sich gefaßt hatte, küßte er das kleine
kalte Gesicht. Er war versöhnt mit dem Geschehenen und ging wieder
hinunter ganz heiter.
Sie setzten sich um das Feuer und unterhielten sich; die Mädchen
und Mutter arbeiteten fort. Bob erzählte ihnen von Scrooges Neffen
und seiner außerordentlichen Freundlichkeit, obwohl er ihn kaum ein
einziges Mal gesehen habe. Er habe ihn heute auf der Straße getroffen,
und als er bemerkt, daß er ein wenig niedergeschlagen aussähe,
habe er ihn gefragt, was ihn bekümmere. »Hierauf«, sagte
Bob, »erzählte ich es ihm, denn er ist der freundlichste junge
Herr, den ich kenne. ›Ich bedaure Sie herzlich, Mr. Cratchit,‹ sagte er,
›und auch Ihre gute Frau.‹ - Übrigens, wie er das wissen kann, möchte
ich wissen.«
»Was soll er wissen, mein Lieber.«
»Nun, daß du eine gute Frau bist«, antwortete
Bob.
»Jedermann weiß das«, meinte Peter.
»Sehr gut bemerkt, mein Junge«, rief Bob. »Ich
hoffe, es ist so. ›Herzlich bedaure ich Ihre gute Frau‹, sagte er. ›Wenn
ich Ihnen auf irgendeine Weise behilflich sein kann‹, setzte er hinzu,
indem er mir seine Karte gab, ›hier ist meine Adresse. Kommen Sie nur zu
mir.‹ Nun ist es nicht gerade darum«, sprach Bob, »weil er
etwas für uns tun könnte, sondern mehr wegen seiner herzlichen
Weise, daß ich mich darüber so freute. Es schien wirklich, als
habe er unsern Tiny Tim gekannt und fühle mit uns.«
»Er ist gewiß eine gute Seele«, sagte Mrs.
Cratchit.
»Du würdest das noch eher erkennen, meine Liebe«,
antwortete Bob, »wenn du ihn sähest und mit ihm sprächest.
Es sollte mich nicht wundern, wenn er Peter eine bessere Stelle verschaffte.
Denkt an meine Worte.«
»Nun höre nur, Peter«, sagte Mrs. Cratchit.
»Und dann«, rief eines der Mädchen, »wird
sich Peter nach einer Frau umsehen.«
»Ach, sei still«, antwortete Peter lachend.
»Nun, das kann schon kommen«, sagte Bob, »doch
bis dahin hat er noch eine Menge Zeit. Aber wie und wann wir uns auch voneinander
trennen sollten, so bin ich doch überzeugt, daß keiner von uns
den armen Tiny Tim vergessen wird oder diese erste Trennung, die wir erfuhren.«
»Niemals, Vater«, riefen alle.
»Und ich weiß«, sagte Bob, »ich weiß,
meine Lieben, wenn wir daran denken, wie geduldig und wie sanft er war,
obgleich er nur ein kleines Kind war, werden wir uns nicht so leicht zanken
und den guten Tiny Tim vergessen, indem wir's tun.«
»Nein, niemals, Vater«, riefen wieder alle.
»Ich bin sehr glücklich«, sagte Bob, »sehr
glücklich.«
Mrs. Cratchit küßte ihn, seine Töchter küßten
ihn, die beiden kleinen Cratchits küßten ihn, und Peter und
er drückten sich die Hand. Seele Tiny Tims, du warst ein Hauch von
Gott.
»Geist«, sprach Scrooge, »etwas sagt mir,
daß wir uns bald trennen werden. Ich weiß es, aber ich weiß
nicht wie. Sag mir, wer war es, den wir auf dem Totenbett sahen?«
Der Geist der zukünftigen Weihnacht führte ihn wie
zuvor - doch zu verschiedener Zeit, wie es ihm vorkam, und überhaupt
schien in den letzten abwechselnden Gesichtern keine Zeitfolge stattzufinden
- an die Zusammenkunftsorte der Geschäftsleute, aber er sah sich selber
nicht. Der Geist hielt sich nirgends auf, sondern schwebte immer weiter,
wie nach dem Ort zu, wo Scrooge die gewünschte Lösung des Rätsels
finden würde, bis ihn dieser bat, einen Augenblick zu verweilen.
»Ja, dieser Hof, durch den wir jetzt eilen«, sagte
Scrooge, »war einst mein Geschäft und war es lange Jahre hindurch.
Ich erkenne das Haus. Laß mich sehen, was ich in den kommenden Tagen
sein werde.«
Der Geist stand still; die Hand zeigte anderswohin.
»Das Haus ist dort«, rief Scrooge. »Warum
zeigst du anderswohin?«
Der unerbittliche Finger nahm keine andere Richtung an.
Scrooge eilte nach dem Fenster seines Kontors und schaute hinein.
Es war noch ein Kontor, aber nicht das seinige. Die Möbel waren nicht
dieselben, und die Gestalt in dem Stuhl war nicht die seine. Die Erscheinung
zeigte nach derselben Richtung wie vorher.
Er trat wieder zu ihr hin und nachsinnend, warum und wohin sie
gingen, begleitete er sie, bis sie eine eiserne Pforte erreichten. Er stand
still, um sich vor dem Eintreten umzusehen.
Es war ein Kirchhof. Hier also lag der Unglückliche unter
der Erde, dessen Namen er noch erfahren sollte. Der Ort war seiner würdig.
Rings von hohen Häusern umgeben, überwuchert von Unkraut, entsprossen
dem Tod, nicht dem Leben der Vegetation, vollgepfropft von zu vielen Leichen,
genährt von übersättigtem Genuß.
Der Geist stand inmitten der Gräber still und deutete auf
eins hinab. Scrooge näherte sich ihm bebend. Die Erscheinung war noch
ganz so wie früher, aber ihm war es immer, als sähe er eine neue
Bedeutung in der düsteren Gestalt.
»Ehe ich mich dem Stein nähere, den du mir zeigst«,
sagte Scrooge, »beantworte mir eine Frage. Sind dies die Schatten
der Dinge, die sein werden, oder nur deren, die sein können ?«
Immer noch wies der Geist auf das Grab hin, vor dem sie standen.
»Die Wege des Menschen tragen ihr Ziel in sich«,
murmelte Scrooge. »Aber schlägt er einen andern Weg ein, so
ändert sich das Ziel. Sag, ist es so mit dem, was du mir zeigen wirst?«
Der Geist blieb so unbeweglich wie immer.
Scrooge näherte sich schlotternd dem Grabe, und wie er
der Richtung des Fingers folgte, las er auf dem Stein seinen eigenen Namen.
EBENEZER SCROOGE
»Bin ich es, der auf jenem Bett lag?« rief er, in
die Knie sinkend.
Der Finger zeigte von dem Grabe fort auf ihn und wieder zurück.
»Nein, Geist, o nein!«
Der Finger wies unveränderlich dorthin.
»Geist«, rief Scrooge, sich fest an sein Gewand
klammernd, »ich bin nicht mehr der Mensch, der ich ehedem war. Ich
will ein anderer Mensch werden, als ich vor diesen Tagen gewesen bin. Warum
zeigst du mir dies, wenn alle Hoffnung geschwunden ist?«
Zum ersten Male schien des Geistes Hand zu zittern.
»Guter Geist«, fuhr er fort, »dein eigenes
Herz legt bittend für mich ein Wort ein und bedauert mich. Sag mir,
daß ich durch ein verändertes Leben die Schattenbilder, die
du mir gezeigt hast, ändern kann!«
Die gütige Hand zitterte.
»Ich will Weihnachten in meinem Herzen ehren, ich will
versuchen, es zu feiern. Ich will in der Vergangenheit, in der Gegenwart
und in der Zukunft leben. Die Geister von allen dreien sollen in mir lebendig
sein. Ich will ihren Lehren mein Herz nicht verschließen. O sage
mir, daß ich die Schrift auf diesem Stein tilgen kann!«
In seiner Angst ergriff Scrooge die gespenstige Hand. Sie versuchte,
sich von ihm loszumachen, aber er war stark in seinem Flehen und hielt
sie fest. Der Geist, noch stärker, stieß ihn zurück.
Wie Scrooge die bebenden Hände zu einem letzten Flehen
um Änderung seines Schicksals in die Höhe hielt, sah er die Erscheinung
sich verändern. Sie wurde kleiner und kleiner und schwand zu einem
Bettpfosten zusammen.
http://gutenberg.aol.de/dickens/weihlied/weihl005.htm
Fünfte Strophe
Das Ende
Ja, und es war sein eigener Bettpfosten. Es war sein Bett und
sein Zimmer. Und was das Glücklichste und Beste war: die Zukunft gehörte
ihm, um sich zu bessern.
»Ich will in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in
der Zukunft leben«, wiederholte Scrooge, als er aus dem Bett kletterte.
»Die Geister von allen dreien sollen in mir lebendig sein. Oh, Jacob
Marley! Der Himmel sei dafür gepriesen und die Weihnachtszeit! Ich
sage es auf meinen Knien, alter Jacob, auf meinen Knien.«
Er war von seinen guten Vorsätzen so durchflammt und außer
sich, daß seine bebende Stimme auf seinen Ruf kaum antworten wollte.
Während seines Ringens mit dem Geist hatte er bitterlich geweint,
und sein Gesicht war noch naß von den Tränen.
»Sie sind nicht herabgerissen«, rief Scrooge, eine
der Bettgardinen an die Brust drückend, »sie sind nicht herabgerissen.
Sie sind da, ich bin da, die Schatten der Dinge, die da kommen, können
vertrieben werden. Ja, ich weiß es, ich weiß es gewiß.«
Während dieser ganzen Zeit beschäftigten sich seine
Hände mit den Kleidungsstücken: er zog sie verkehrt an, zerriß
sie, verlegte sie und machte damit allerhand tolle Sprünge.
»Ich weiß nicht, was ich tue«, rief Scrooge
in einem Atem weinend und lachend und mit seinen Strümpfen einen wahren
Laokoon aus sich machend. - »Ich bin leicht wie eine Feder, selig
wie ein Engel, vergnügt wie ein Schulknabe, schwindlig wie ein Trunkener.
Fröhliche Weihnachten allen Menschen! Ein glückliches Neujahr
der ganzen Welt! Hallo! Hussa! Hurra!«
Er war in das Wohnzimmer gesprungen und blieb jetzt drin ganz
außer Atem stehen.
»Da ist die Schüssel, in der der Haferschleim war!«
rief Scrooge, indem er um den Kamin herumhüpfte. »Da ist die
Tür, durch die Jacob Marleys Geist hereinkam, da ist die Ecke, wo
der Geist der diesjährigen Weihnacht saß, da ist das Fenster,
wo ich die ruhelosen Geister sah! Es ist alles richtig, es ist alles wahr,
es ist alles geschehen. Hahahaha!«
Für einen Mann, der so lange Jahre aus der Gewohnheit war,
mußte man es wirklich ein vortreffliches Lachen nennen, ein herrliches
Lachen. Es war der Vater einer langen, langen Reihe herrlicher Lachsalven!
»Ich weiß nicht, den Wievielten wir heute haben«,
rief Scrooge. »Ich weiß nicht, wie lange ich unter den Geistern
gewesen bin. Ich weiß gar nichts. Ich bin wie ein neugeborenes Kind.
Es schadet nichts. Ist mir einerlei. Ich will lieber ein Kind sein. Hallo!
Hussa! Hurra!«
Er wurde in seinen Freudenausbrüchen von dem Geläut
der Kirchenglocken unterbrochen, die ihm so fröhlich zu klingen schienen,
wie nie vorher. Bimbam, kling-klang, bim-bam. Nein, es war zu herrlich,
zu herrlich!
Er lief zum Fenster, öffnete es und steckte den Kopf hinaus.
Kein Nebel: ein klarer, lustig-heller, frischfroher Morgen, eine Kälte,
die dem Blut einen Tanz vorpfiff, goldenes Sonnenlicht, ein himmlischer
Himmel, lieblich-erquickende Luft, fröhliche Glocken. O wie herrlich,
wie herrlich!
»Was ist denn heute für ein Tag?« rief Scrooge
einem Knaben in Sonntagskleidern zu, der unterm Fenster stand.
»Wie?« fragte der Knabe mit der allergrößten
Verwunderung.
»Was ist heut' für ein Tag, mein Junge?« fragte
Scrooge.
»Heute?« antwortete der Knabe. »Nun, Christtag.«
»Es ist Christtag«, sagte Scrooge zu sich selber.
»Ich habe ihn also nicht versäumt. Die Geister haben alles in
einer Nacht erledigt. Sie können alles, was sie wollen. Natürlich,
natürlich. - Heda, mein Junge!«
»Was denn!« antwortete der Knabe.
»Kennst du des Geflügelhändlers Laden in der
zweitnächsten Straße an der Ecke?« fragte Scrooge.
»I, warum denn nicht?« antwortete der Junge.
»Ein gescheiter Junge«, nickte Scrooge. »Ein
merkwürdiger Junge! Weißt du nicht, ob der Preistruthahn, der
dort hing, verkauft ist? Nicht der kleine Preistruthahn, sondern der große.«
»Was, der so groß ist wie ich?« entgegnete
der Junge.
»Was für ein lieber Junge!« lächelte Scrooge.
»Es ist eine Freude, mit ihm zu sprechen. Freilich wohl, mein Prachtjunge.«
»Der hängt noch dort«, antwortete der Junge.
»Ist's wahr?« sagte Scrooge. »Na, dann lauf
und kaufe ihn.«
»Hat sich was«, spottete der Junge.
»Nein, nein«, sagte Scrooge, »es ist mein
Ernst. Geh hin und kaufe ihn und sag, sie sollen ihn hierher bringen, daß
ich ihnen die Adresse geben kann, wohin sie ihn tragen sollen. Komm mit
dem Träger wieder her, und ich gebe dir einen Shilling. Kommst du
rascher als in fünf Minuten zurück, bekommst du eine halbe Krone.«
Der Bengel verschwand wie ein Blitz.
»Ich will ihn Bob Cratchit schicken«, flüsterte
Scrooge, sich die Hände reibend und fast vor Lachen platzend. »Er
soll nicht wissen, wer ihn schickt. Er ist zweimal so groß wie Tiny
Tim. Einen Witz wie den hat's noch nie gegeben.«
Als er die Adresse schrieb, zitterte seine Hand, aber er schrieb
so gut es ging und stieg die Treppe hinab, um die Haustür zu öffnen
und den Truthahn zu erwarten. Wie er dastand, fiel sein Auge auf den Türklopfer.
»Ich werde ihn lieb haben, solange ich lebe«, rief
Scrooge, ihn streichelnd. »Früher habe ich ihn kaum angesehen.
Was er für ein ehrliches Gesicht hat! Es ist ein wunderbarer Türklopfer!
- Da ist der Truthahn. Hallo! Hussa! Wie geht's? Fröhliche Weihnachten!«
Das war ein Truthahn! Er hätte nicht mehr lang lebendig
auf seinen Füßen stehen können. Sie wären - knix -
zerbrochen wie eine Stange Siegellack.
»Was, das ist ja fast unmöglich, den nach Camden
Town zu tragen!« sagte Scrooge. »Ihr müßt einen
Wagen nehmen.«
Das Lachen, mit dem er dies sagte, und das Lachen, mit dem er
den Truthahn bezahlte, und das Lachen, mit dem er den Wagen bezahlte, und
das Lachen, mit dem er dem Jungen ein Trinkgeld gab, wurde nur von dem
Lachen übertroffen, mit dem er sich atemlos in seinen Stuhl niedersetzte
und lachte, bis ihm die Tränen die Backen herunterliefen.
Das Rasieren war keine Kleinigkeit, denn seine Hand zitterte
immer noch sehr, und Rasieren verlangt große Aufmerksamkeit, auch
wenn man nicht gerade währenddessen tanzt. Aber selbst wenn er sich
die Nasenspitze weggeschnitten hätte, würde er ein Stückchen
Pflaster darauf geklebt und sich damit zufrieden gegeben haben.
Er zog seine besten Kleider an und trat endlich auf die Straße.
Die Leute strömten gerade aus ihren Häusern, wie er es gesehen
hatte, als er den Geist der diesjährigen Weihnacht begleitete; und
mit auf dem Rücken zusammengeschlagenen Händen durch die Straßen
gehend, blickte Scrooge jeden mit einem freundlichen Lächeln an. Er
sah so unwiderstehlich freundlich aus, daß drei oder vier lustige
Leute zu ihm sagten: »Guten Morgen, Sir, fröhliche Weihnachten!«,
und Scrooge sagte oft nachher, daß von allen lieblichen Klängen,
die er je gehört, dieser seinem Ohr am lieblichsten geklungen hätte.
Er war nicht weit gegangen, als er denselben stattlichen Herrn
auf sich zukommen sah, der am Tage vorher in sein Kontor getreten war,
mit den Worten: »Scrooge und Marley, glaube ich.« Es gab ihm
förmlich einen Stich ins Herz, als er dachte, wie ihn wohl der alte
Herr beim Vorübergehen ansehen würde; aber er wußte, welchen
Weg er zu gehen hatte, und ging ihn.
»Lieber Herr«, rief Scrooge, schneller laufend und
den alten Herrn an beiden Händen ergreifend. »Wie geht es Ihnen?
Ich hoffe, Sie hatten gestern einen guten Tag? Es war sehr freundlich von
Ihnen. Ich wünsche Ihnen fröhliche Weihnachten, Sir.«
»Mr. Scrooge?«
»Ja«, sagte Scrooge. »So ist mein Name und
ich fürchte, er klingt Ihnen nicht sehr angenehm. Erlauben Sie, daß
ich Sie um Verzeihung bitte! Und wollen Sie die Güte haben«
hier flüsterte ihm Scrooge etwas ins Ohr.
»Himmel!« rief der Herr, als ob ihm der Atem ausgeblieben
wäre. »Mein lieber Mr. Scrooge, ist das Ihr Ernst?«
»Wenn es Ihnen beliebt«, sagte Scrooge. »Keinen
Penny weniger. Es sind viele Rückstände dabei, ich versichere
es Ihnen. Wollen Sie die Güte haben?«
»Bester Herr«, sagte der andere, ihm die Hand schüttelnd.
»Ich weiß nicht, was ich zu einer solchen Freigebigkeit sagen
soll.«
»Ich bitte, sagen Sie gar nichts dazu«, antwortete
Scrooge. »Besuchen Sie mich. - Wollen Sie mich besuchen?«
»Herzlich gern«, rief der alte Herr. Und man sah,
es war ihm Ernst mit dieser Versicherung.
»Ich danke Ihnen sehr«, sagte Scrooge. »Ich
bin Ihnen sehr verbunden. Ich danke Ihnen tausendmal. Leben Sie recht wohl!«
Er ging in die Kirche, ging durch die Straßen, sah die
Leute hin und her laufen, klopfte Kindern die Wange, sprach mit Bettlern,
spähte hinab in die Küchen und lugte hinauf zu den Fenstern der
Häuser: und er fand, daß ihm alles das Vergnügen bereiten
könne. Er hätte es sich nie träumen lassen, daß ihn
ein Spaziergang oder sonst etwas so glücklich machen könnte.
Nachmittags lenkte er seine Schritte nach der Wohnung seines Neffen.
Er ging wohl ein dutzendmal an der Tür vorüber, ehe
er den Mut hatte anzuklopfen. Endlich faßte er sich ein Herz und
klopfte.
»Ist dein Herr zu Hause, liebes Kind?« sagte Scrooge
zu dem Mädchen. Ein nettes Mädchen, wahrhaftig!
»Ja, Sir.«
»Wo ist er, liebes Kind?« sagte Scrooge.
»Er ist in dem Speisezimmer, Sir, mit Madame. Ich will
Sie hinaufführen, wenn Sie erlauben.«
»Danke, danke. Er kennt mich«, sagte Scrooge, mit
der Hand schon auf der Türklinke. »Ich will gleich eintreten,
liebes Kind.«
Er machte die Tür leise auf und steckte den Kopf hinein.
Sie betrachteten gerade den Speisetisch (der mit großem Aufwand gedeckt
war); denn junge Hausfrauen sind immer sehr bedacht darauf und sehen gern
alles in hübschester Ordnung.
»Fred«, rief Scrooge.
Heiliger Himmel, wie seine Nichte erschrak! Scrooge hatte in
dem Augenblick vergessen, daß sie mit dem Fußbänkchen
in der Ecke gesessen hatte, sonst hätte er es um keinen Preis getan.
»Potztausend!« rief Fred, »wer kommt da?«
»Ich bin's. Dein Onkel Scrooge. Ich komme zum Essen. Willst
du mich hereinlassen, Fred?«
Ihn hereinlassen! Es war nur gut, daß er ihm nicht den
Arm abriß. Er war in fünf Minuten wie zu Hause. Nichts konnte
herzlicher sein, als die Begrüßung seines Neffen. Und auch seine
Nichte empfing ihn nicht minder herzlich. Auch Topper, als er kam. Auch
die runde Schwester, als sie kam. Und alle, wie sie nach der Reihe kamen.
Wundervolle Gesellschaft, wundervolle Spiele, wundervolle Eintracht, wundervolle
Glückseligkeit!
Aber am andern Morgen war Scrooge früh in seinem Kontor.
Oh, er war gar früh da. Zuerst dort zu sein und Bob Cratchit beim
Zuspätkommen zu erwischen! Das war's, worauf sein Sinn stand. Und
es gelang ihm wahrhaftig! Die Uhr schlug neun. Kein Bob. Ein Viertel nach
neun. Kein Bob. Er kam volle achtzehn und eine halbe Minute zu spät.
Scrooge hatte seine Türe weit offen stehen lassen, damit er ihn in
das Verlies eintreten sähe.
Bobs Hut war vom Kopf, ehe er die Tür öffnete, auch
der Schal von seinem Hals. Im Nu saß er auf seinem Stuhl und jagte
mit der Feder über das Papier, als wollte er versuchen, neun Uhr einzuholen.
»Heda«, rief Scrooge, so gut es ging seine gewohnte
Stimme nachahmend. »Was soll das heißen, daß Sie so spät
kommen?«
»Es tut mir sehr leid, Sir«, sagte Bob. »Ich
habe mich verspätet.«
»So?« sagte Scrooge. »Ja. Das kommt mir auch
so vor. Hier herein, wenn's gefällig ist.«
»Es ist nur einmal im Jahr, Sir«, sagte Bob, aus
dem Verlies hereintretend. »Es soll nicht wieder vorkommen. Ich war
ein bißchen lustig gestern, Sir.«
»Nun, ich will Ihnen etwas sagen, Freundchen«, sagte
Scrooge, »ich kann das nicht länger mit ansehen. Und daher«,
fuhr er fort, von seinem Stuhl springend und Bob einen solchen Stoß
vor die Brust gebend, daß er wieder in das Verlies zurückstolperte,
»und daher will ich Ihr Salär erhöhen!«
Bob zitterte und trat dem Lineal etwas näher. Er hatte
einen kurzen Gedanken, Scrooge damit eins auf den Kopf zu geben, ihn festzuhalten
und die Leute im Hof um Beistand und um eine Zwangsjacke anzurufen.
»Fröhliche Weihnachten, Bob!« sagte Scrooge
mit einem Ernst, der nicht mißverstanden werden konnte, indem er
ihm auf die Achsel klopfte. »Fröhlichere Weihnachten, Bob, als
ich Sie so manches Jahr habe feiern lassen. Ich will Ihr Salär erhöhen
und mich bemühen, Ihrer Familie unter die Arme zu greifen. Wir wollen
heut' nachmittag bei einem dampfenden Weihnachtspunsch über Ihre Angelegenheiten
sprechen, Bob! Schüren Sie das Feuer an und kaufen Sie eine andere
Kohlenschaufel, ehe Sie wieder einen Punkt auf ein i machen, Bob Cratchit!«
Scrooge war besser als sein Wort. Er tat nicht nur alles, was
er versprochen hatte, sondern noch mehr, und für Tiny Tim, der nicht
starb, wurde er ein zweiter Vater. Er wurde ein so guter Freund und ein
so guter Mensch, wie nur die liebe alte City oder jedes andere liebe alte
Städtchen oder Dorf in der lieben alten Welt je einen Freund und Menschen
gesehen hat. Einige Leute lachten, als sie ihn so verändert sahen;
aber er ließ sie lachen und kümmerte sich wenig darum, denn
er war klug genug, zu wissen, daß nichts Gutes in dieser Welt geschehen
kann, worüber nicht von vornherein einige Leute lachen müssen:
und da er wußte, daß solche Leute doch blind bleiben würden,
so dachte er bei sich, es wäre besser, sie legten ihre Gesichter durch
Lachen in Falten, als daß sie es auf weniger anziehende Weise täten.
Sein eigenes Herz lachte, und damit war er vollauf zufrieden.
Er hatte keinen ferneren Verkehr mit Geistern, sondern lebte
von jetzt an nach dem Grundsatz gänzlicher Enthaltsamkeit; und immer
sagte man von ihm, er wisse Weihnachten recht zu feiern, wenn es überhaupt
ein Mensch wisse. Möge dies auch in Wahrheit von uns allen gesagt
werden können. Und so schließen wir mit Tiny Tims Worten: »Gott
segne jeden von uns.«