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Esat’s Heimreise

in das Kosovo

begleitet von Helmut Stapf

vom 28.06. - 04.07.2000

Der Anlass

Esat kenne ich schon seit über zwei Jahren, da ich seine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber im Lechfeld betreue. Das ist ein Containerdorf, gelegen zwischen Tornado-Startbahn und Autobahn im südlichen Augsburger Landkreis, 2,5 km entfernt vom nächsten Dorf. Er war nach Deutschland gekommen, weil er Asyl beantragt hat. Die Serben hatten ihn 1990 aus seiner Arbeit rausgeschmissen, wie auch die meisten Kosovo-Albaner aus staatlichen Betrieben und Einrichtungen. Er hat sich für den militanten Weg der UCK entschieden. Denn der gewaltlose Weg der LDK war nicht in der Weltöffentlichkeit wahrgenommen worden. Die Europäischen Politiker lasen nicht die regelmäßigen Berichte von amnesty international, in denen seit 1989 die Menschenrechtsverletzungen der Serben am Albanischen Volk angeprangert worden waren. Als die UCK zu den Waffen griff, war der Weg für eine friedliche Lösung nicht mehr zu gehen. Der militärische Einsatz der NATO war dann die logische Folge und somit unausweichlich.

Esat hatte Mitte 1996 das Kosovo verlassen, wegen seines politischen Engagements. Doch sein Engagement für die Menschenrechte seines Volkes wurden im Asylverfahren ähnlich wie auf der politischen Ebene ignoriert. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Weil er nicht freiwillig ins Kosovo zurück wollte, wurde er in Abschiebehaft genommen. Diese dauerte 4 Monate. Die Abschiebung wurde vom Landratsamt nach Belgrad organisiert, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Serben solche nur nach Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, zuließen. In Belgrad wurde er verhaftet, gefoltert und nach 4 Tagen wieder zurückgeschoben nach Stuttgart. Dort rief der Bundesgrenzschutzbeamte beim Landratsamt an. Weil man dort seine freiwillige Rückkehr nach Deutschland annahm, wurde er sofort wieder in Abschiebehaft genommen. Nach 7 Monaten gelang es Renate Hummel von amnesty international, ihn aus der Abschiebehaft herauszuholen. Denn der BGS-Beamte bestätigte telefonisch gegenüber einem Mitarbeiter des Diakonischen Werkes, dass Esat durch die Jugoslawischen Behörden unfreiwillig nach Deutschland gebracht worden war. Erst jetzt konnte sich Esat seine Verletzungen am Rücken, die ihm durch die Folter zugefügt worden waren, durch zwei Operationen und etlichen Physiotherapien behandeln lassen.

Esat hat noch immer Schmerzen im Rücken. Und er hat von Freunden ein Auto für die Rückkehr bekommen. Alleine traut er sich die Fahrt nicht zu. Und ein Landsmann, für den schon die Fähre mit gebucht war, ist ohne ein Wort zu sagen, schon ein paar Tage früher ins Kosovo zurückgefahren.

Für mich ist die Anfrage von Esat eine günstige Gelegenheit nach der Verurteilung vom Landgericht Augsburg wegen illegaler Rechtsberatung etwas Abstand zum normalen Asylgeschäft zu gewinnen. Schon lange ist es mein Wunsch, einen Asylbewerber bei seiner Rückreise zu begleiten. Denn ich will einmal wissen, welche Strapazen eine solche Reise für die Betroffenen mit sich bringt. Zum Andern kann ich überprüfen, wie die mir erzählten Geschichten mit der Wirklichkeit übereinstimmen.

Die Fahrt

Um der mittäglichen Hitze in Italien zu entkommen, fahren wir am Mittwoch um 23.00 Uhr los und kommen prompt nach 12 Stunden Fahrt in Bari/Süditalien an. Wir haben keine Italienischen Lire dabei und so zahlen wir für etwas mehr als 50 Liter Benzin zuerst DM 136, dann DM 160. So kostet uns auch der Wechsel von DM 100 knapp DM 10 Tauschgebühr, weil wir etwas zum Essen kaufen wollen. Denn die Zeit bis Einchecken auf der Fähre ab 20.00 Uhr und der geplanten Abfahrt um 23.00 Uhr ist lang. Überall Gebühren: Parkplatz, Hafen und DM 80 für das Visum für 250 km Albanien für westliche Touristen. Wir sind froh, dass wir Kabinen mit einer Dusche gebucht haben.

Das noch auf der Fähre gegessene Croissant wird die einzige Mahlzeit für den ganzen Tag sein. Wegen der verspäteten Abfahrt kommen wir 45 Minuten in Durres an. Wie auf dem Schiff verabredet bildet sich ein Konvoi, denn die Wegelagerer in Albanien sind bekannt. Kaum sind wir aus der Stadt, hält uns ein Polizist an, um uns bis zu seiner Distriktgrenze zu begleiten, damit dann ein anderer Polizist den Schutz mit seiner Kalaschnikow übernimmt. Denn in der Woche zuvor ist ein Fahrer aus Deutschland kommend seines Autos und Geldes beraubt worden. Uns kostet der ganze Schutz DM 60, schwarz versteht sich. Beim Fotografieren habe ich Glück. Dies ist in Albanien grundsätzlich verboten und der Polizist verlangt nicht den Film von mir. Wegen der teilweise wilden Schlangenfahrt vorbei an den Schlaglöchern, dem Stauerlebnis des Stop and Go Albanischer Art brauchen wir für die 250 km mehr als 13 Stunden.

Im Kosovo sind wir froh, ein etwas besseres Geläuf für unsere Reifen zu haben. Doch die Freude ist etwas trügerisch. Immer wieder tun sich plötzlich kleinere oder auch größere Löcher in der Straßendecke auf. In Prizren bin ich erstaunt, wie wenig Zerstörtes für mich im Vorbeifahren zu erkennen ist, viele bunte Lichter leuchten und es herrscht ein reges Treiben auf den Straßen. Weiter geht es nach Prishtina. Kurz vor der Hauptstadt werden wir von UNMIK-Polizisten (United Nations Mission in Kosovo) gestoppt. Sie meinen eine Bombe gefunden zu haben. Der Knall 5 Minuten später bestätigt deren Verdacht. Und wir dürfen weiter fahren.

Schließlich sind wir am Samstag um 1.00 Uhr in Mitrovica. Esat weiß nicht genau, wo sein Neffe mit seiner Familie wohnt. Er fährt in eine Seitenstraße, hält an und klopft an einem Tor. Nach einiger Zeit rührt sich was. Doch seine Verwandten sind nicht bekannt. Zurück auf der Hauptstraße sehen wir kurz darauf auf der beleuchteten Eingangstreppe eines Hauses sitzend einen jungen und alten Mann im Gespräch. Esat hat Glück. Denn der Junge erkennt ihn, da er aus seinem 8 km entfernten Dorf Zhazh stammt. Er führt uns zurück in die schon einmal besuchte Seitenstraße und wir finden dort seine Familie, nicht weit entfernt vom Ort der ersten Anfrage.

Ankunft in Mitrovica

Natürlich ist das Hallo groß bei der Ankunft des Heimkehrers. Schnell kommen alle aus ihren Betten, Hisni, der Neffe mit Frau Elfat und dem 6 Wochen alten Baby Djelza, Hisni’s Mutter Naji und die Geschwister Lummi, Sebahat, Hedajet und Minzim. Sie sind untergekommen nach der Vertreibung aus Zhazh in einer ca. 80 qm großen Wohnung eines in Deutschland lebenden Arbeiters. Er hat sie ihnen kostenlos überlassen, bevor sie leer stehend ausgeraubt und zerstört werden würde.

Nach dem Telefonat mit meiner Familie, dass ich nach 50 Stunden Anreise heil und wohl befindlich angekommen bin, gehe ich nach dem üblichen Tschai bald ins Bett. Esat und seine Familie reden die ganze Nacht über das Geschehene der letzten Jahre. Ich bekomme im Wohnzimmer eine Schaumstoffmatratze auf die ausgeklappte Couch gelegt. Zudecken und Kopfkissen sind da, so dass ich meinen mitgebrachten Schlafsack nicht benötige. Esat legt seine Matratze wegen seiner Rückenbeschwerden auf den Boden. Im Zimmer wird nach Kosovo-Albanischer Art viel geraucht. Doch die Vorhänge sind hinter den Couchen so eingeklemmt, dass an eine Lüftung nicht zu denken ist.

Am nächsten Morgen gehe ich erst einmal ins Bad. Wasser für das Zähneputzen gibt es in der Plastikflasche. Wasser zum Duschen wird in großen Kübeln mit einem Tauchsieder angewärmt. Mein Versuch, das Wasser auf die richtige Temperatur zu testen, breche ich schnell wegen eines Stromschlages ab. Mit einer Blechdose schütte ich das Wasser über mich. Ich bin froh, all diese und andere hygienischen Maßnahmen ohne weitere größere Einschränkung durchführen zu können. Zwar gibt es überall im Haus Wasserhähne und Becken, doch die einzige funktionierende Wasserstelle ist vor der Haustüre. Während ich im Bad bin, ist schon mein Bett weggeräumt.

Als erstes gibt es einen Kaffee, gemacht von dem mitgebrachten Kaffeepulver aus Deutschland. Natürlich wird er gleich mit Zucker und ohne Milch gereicht. Während wir Männer den Kaffee schlürfen, bereiten die Frauen das Frühstück. Es besteht aus Hühnersuppe, Rührei, ausgelassener Wurst, gebratenem Paprika, aufgeschnittenen Tomaten, Tomatensalat, selbst gemachtem Weichkäse und gekauftem Weißbrot. Das Essen ohne Besteck ist mir nicht unbekannt. Doch als Gast bekomme ich wenigstens eine Kuchengabel zur Verfügung gestellt. Zur ersten Runde der Frühstücker treffen sich die Männer, in der zweiten Runde essen die Frauen und Kinder das, was wir Männer übrig gelassen haben.

Da der Kaffe am Morgen bei mir seine Wirkung zeigt, frage ich wegen dem sich ankündigenden Mopraschi (morgendlicher Prachtschiss) nach dem stillen Örtchen. Es befindet sich direkt neben dem Garteneingang, zum Glück weit entfernt vom Haus. Manchmal erreicht der unangenehme Geruch sogar das Haus. Als Gast bekomme ich selbstverständlich Toilettenpapier mit auf den Weg. Sie selbst benutzen, wie es mir von den Asylunterkünften bekannt ist, eine Wasserflasche. Im Betonboden ist ein Loch geschlagen. Daneben sind zwei Ziegelsteine zementiert, als Orientierung zur Wahl des richtigen Standortes, die ich betrete, bevor ich mich in ein ungewohnte Position begebe.

Familienzusammenführung

Da Esat nicht weiß, wie seine Frau Hagjere und seine fünf Kinder Fatime, Kemaj, Mejide, Beza und Eldrit untergebracht sind, wollte er sie nicht zuerst anfahren. Denn auch das Haus seiner Schwiegereltern ist von einer Granate und dem anschließenden Brand zerstört. Er weiß, dass Hagjeres Bruder Hisni schon vor 4 Monaten aus Deutschland, Raum Konstanz-Ravensburg zurückgekehrt ist, um das Haus wieder herzurichten. Als erste konnte seine Schwester mit den Kindern einziehen. Später werden die Eltern mit den Geschwistern aus München zurückkehren. Diese sind von der Bundesregierung im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion aus einem Mazedonischen Flüchtlingslager nach München gebracht worden. Esat macht mich darauf aufmerksam, dass mir seine Schwiegereltern bekannt sind. Denn bei dem Transfer der Familie wurde der 10jährige Sohn Mentor allein im Flüchtlingslager zurück gelassen. Eine US-Amerikanische Reporterin nahm mit mir Kontakt auf, um den Jungen zu seinen Eltern zu bringen. In einer Gemeinschaftsaktion mit vielen Beteiligten ist dann der Junge bald zu seinen Eltern gekommen.

Neben dem Haus ist der funktionierende Brunnen, wenig daneben ein gegrabenes Loch, aus dem man die Kohle für den Ofen im Tagebau herausholen kann.

Voll Spannung verläßt Esat das Auto, um Frau und Kinder endlich wieder in die Arme schließen zu können. Die Begrüßung findet hinter dem Tor statt, Gott sei Dank!. Denn dieser persönliche Augenblick braucht keine Zeugen, erst recht kein Zeugniss als Foto.

Gespannt verfolge ich die Annäherung nach Jahren der Trennung. Zumal Esat Edril zum ersten Mal sieht. Hagjere war mit ihm im 6. Monat schwanger, als er das Land verlassen musste. Esat’s Vatergefühle brechen immer wieder durch, Edril weicht ihm noch aus. Es dauert den ganzen Tag, bis sich die Beiden finden können. Edril fragt am Abend Esat: Papa, wann gehen wir nach Hause? Diese Frage trifft Esat tief. Er ist noch nicht ganz angekommen, weiß noch nicht einmal, wie sein Haus in Zhazh aussieht, wo er und mit seiner Familie in den nächsten Tagen hingehen und bleiben wird oder kann.

Bewegend ist auch seine erste Begegnung mit Kemaj, seinem Erstgeborenen. Er ist im Augenblick der Ankunft des Vaters dabei, die Kuh außerhalb des Dorfes zu hüten. Als er mit der Kuh zurück kommt und er seinen Vater sieht, weint er.

Ein Fotoapparat in einer nicht vertrauten Umgebung ist sehr störend. Da in südlichen Ländern mit dem Fotoapparat gleich ein gestelltes gesellschaftliches Ereignis verbunden wird, muss die Kleidung, die Frisur, das ganze Outfit stimmen. Und dann wird die Szene gestellt, die man fotografiert haben will. So wird die Begrüßung von Vater und Sohn gestört mit dem Bemühen der Mutter, dem noch nicht gekämmten Sohn die fotogerechte Frisur zu verpassen. Auch wenn ich nicht mit meinem Apparat in der Nähe und in Lauerstellung bin.

Spannend wird es für die Kinder, wenn Esat seinen Kofferraum aufmacht und die mitgebrachten Geschenke verteilt. Diese Augenblicke gehören ihm und seinen Kindern allein.

Der Rest des Tages vergeht mit Essen, Schlafen und mit den Kindern die mitgebrachten Tennisschläger ausprobieren.

Immer wieder frage ich mich, wie ich in einer solchen Situation handeln würde. Wenn schon wenig eigenes Geld für Renovierungen zur Verfügung steht, wie würde ich den Garten und das Gemüsebeet herrichten, ein Gehege für die Kuh bauen, um sie nicht ständig aus verschiedenen Regionen des Gartens von den Kindern vertreiben zu lassen, Hätte ich die Mauer repariert, um nicht die Panzer der K-FOR Truppe zweimal am Tage oder öfter vorbeifahren zu sehen? Wie ginge es mir in Esat’s Situation in seiner Verantwortung für seine Familie, nur noch im Besitz von einem Auto, das Geld am Verrinnen? Und der kleine Sohn fragt ihn nach dem neuen/alten Zuhause. Fragen über Fragen und kaum eine Antwort in Sicht.

Zhazh

Zhazh liegt nördlich von Mitrovica in dem von Serben beanspruchten Gebiet. Der UNHCR hatte mir schon in Deutschland betätigt, dass eine zwangsweise Rückführung von Albanern in diese Gebiet nicht vollzogen werden sollte. Esat hat sich trotzdem entschlossen, freiwillig zurückzukehren, da er nach fast 12 Monaten Erfahrung Abschiebehaft Angst vor einem neuen Gefängnisaufenthalt hat. Denn das Abschiebeverhalten des Landratsamtes ist für ihn als Flüchtling und auch für mich als Sozialberater nicht durchschaubar und nachzuvollziehen. Zudem will er sein Auto mitnehmen, was bei einer Abschiebung mit dem Flugzeug nicht geht.

Ein Erreichen über die normale Straße von Mitrivica aus ist nicht möglich, da die Gefahr zu groß ist, von den Serben angehalten und kontrolliert zu werden. Zudem sind Esat’s UCK Aktivitäten sicher nicht vergessen. Aber es gibt einen Fußweg, über den Hisni schon mehrfach in Zhazh zu Besuch war.

Nach gut einer Stunde Fußmarsch begegnen wir einem alten Mann mit einer für die Region typischen weißen Filzmütze. Von ihm erzählt mir Esat, dass ein Sohn von den Serben vor seiner Haustüre erschossen worden war, Einen anderen hatten sie mit Messerschnitten in der Haut zu Tode gefoltert.

Ein wenig später sehe ich ein Zelt, das die Aufschrift des UNHCR trägt. In diesem hat eine Familie den ganzen Winter gewohnt. Es ist undicht und bei Regen wird drinnen alles feucht. Sie ist krank geworden, klagt die Frau, zwei mal ist sie schon an der Niere operiert worden. Zum Glück haben sie jetzt einen kleinen Container aus Pressspanplatten, das von einer weinroten Plastikfolie vor der Witterung von außen geschützt wird. Hier kann man wenigstens aufrecht stehen und es hat Fenster.

Ganz am anderen Ende des total zerstörten Dorfes stehen auch die Häuser von Esat und seinen beiden Brüdern, bzw. was noch davon übrig ist. Von den wunderbar gelegenen Häusern interessiert mich der schöne Ausblick. Doch Esat sieht nur, von welchen Bergen aus die Serben sein Dorf und sein Haus zerstört haben.

Esat hatte 10 Jahre gebraucht, um sein Haus für die Familie aufzubauen, als er es 1995 beziehen konnte. Mitte 1996 musste er fliehen und jetzt steht er vor den Mauern des völlig ausgebrannten Hauses. Das Feuer war so heiß, dass keine Holzreste mehr übrig sind, die Dachziegel alle in Stücke zerbrachen und vom Kühlschrank und der Couch nur noch die Metallteile existieren. Wie durch ein Wunder soll allein der Küchenherd das Inferno überstanden haben.

Zurückgekehrt in das Dorf sind von den ehemaligen 100 Familien, die in 74 Häusern lebten, 4 Familien. Darunter der Dorflehrer. Er unterrichtet die im Dorf lebenden Kinder in einem Zelt. Dies ist auch das Prachtstück, das er den beiden Dänischen K-FOR Soldaten zeigen kann. Diese sind dabei, die Besitzer und das Ausmaß der Zerstörung in Zhazh aufzunehmen.

Informationsbeschaffung

Der Dänische Soldat erzählt mir, dass in der vorigen Woche eine Versammlung mit dem für die Region verantwortlichen obersten Militär und den Serbischen Dorfältesten stattgefunden hat. Und das Ergebnis war schlecht. Denn die Erwartungen an das Militär ist, dass sie die Aufbauarbeit leisten. Sie sehen sich allerdings nur für die Sicherstellung des Friedens verantwortlich. Für den Wiederaufbau sind die NGOs, die Wohlfahrtsverbände zuständig. Dies ist eine Rollenunklarheit mit falschen Erwartungen, die meistens zu erheblichen Unstimmigkeiten führt.

In diesem Gespräch wird mir zum ersten Mal deutlich, was mir später immer wieder begegnet, die Uninformiertheit der Bevölkerung. Sind es hier die völlig falschen Rollenerwartungen? Ist es Unfähigkeit oder schlechte Informationspolitik bei Esat’s Bruder, Unterstützung für den Wiederaufbau seiner Landwirtschaft zu erlangen. Er wollte Saatkartoffeln haben, als Geschenk oder über einen Kleinkredit und er hatte keinen Erfolg. Für DM 70 aus Erspartem kaufte er sich die Kartoffeln, um sich sein Feld in Handarbeit anzulegen. Gerne hätte er mehr gehabt. Denn von 70 kg Saatkartoffeln erwartet er einen Ertrag von 500 kg.

Mir kommt der Raiffeisen-Gedanke. Warum ist es nicht möglich, mit kleinen gewährten Krediten für den Aufbau der Landwirtschaft, die wieder mit Zinsen an einen gemeinsamen Fonds zurückbezahlt werden müssen. Daraus werden dann im nächsten Jahr die nächsten Kredite gewährt, selbst verwaltet, usw.

Auch als ich am nächsten Tag mit Esat in Mitrovica verschieden Hilfsorganisationen aufsuche, um zu Informationen zu kommen, ist das wie ein Spießrutenlauf. Bei der Action of Churches Together (ACT) kommen wir zum Lager. Der Albanische Wächter weiß nur, dass er das Warenlager bewachen muss, aber nicht, zu welcher Kirche seine Organisation gehört. Er vermag uns nur zu sagen, wo das Büro liegt.

Wir gehen weiter zu IOM (Internationale Organisation für Migration) ins frisch bezogenen Büro. Wächter empfangen uns und führen uns ins Büro. Esat will sein Geld, das er für die freiwillige Rückkehr vom Deutschen Staat erhält. Das gibt es nur im IOM Büro in Prishtina. Ich will Informationen über die vor Ort tätigen Hilfsorganisationen. Ich werde weiter verwiesen an den UNHCR (United Nation High Commissoner of Refugees). Da ist um kurz nach 16.00 Uhr nur noch der Wächter da. Am nächsten Vormittag versuche ich anzurufen. Es ist dauernd belegt.

Ich will mit einem Ankommenden den Weg gehen, sich die notwendigen Informationen der Unterstützung zu besorgen. Doch die ersten Versuche waren sehr frustrierend. Wie ist es für einen, der keinen Durchblick hat, was und wer solche Organisationen überhaupt sind?

Aus diesen Erfahrungen gebe ich Esat die Idee mit, sich doch auf die Informationsbeschaffung und Vermittlung zu spezialisieren. Denn in Deutschland haben sich auch schon manche Unternehmer auf diese Dienstleistung spezialisiert.

Gedanken zum Wandel

Nach der Besichtigung der Ruinen, lässt es sich Shehremed nicht nehmen, uns einzuladen, zum Kaffee und Abendessen. Er wohnt in einem Zelt des UNHCR und zwei Räumen eines anderen Hauses im Dorf, die nicht so stark zerstört sind. Er hat neun Kinder im Alter von 21 bis 9 Jahren. Die kleinen gehen in die Dorfschule. Doch für die älteren gibt es nichts zu tun. Beim Abschied bekomme ich Handarbeiten der ältesten Tochter mit.

Auf dem Rückweg geht es mir dauernd durch den Kopf, wie man vor allem den jungen Menschen im Kosovo helfen könnte? Ob man nicht als Au-Pair jungen Männer und Frauen wenigstens für ein Jahr aus der Arbeitslosigkeit heraus nehmen kann?

Kurz vor der Abreise habe ich ein 0Gespräch mit einem Kanadischen Polizisten. Er ist zuständig für Ausbildung von Kosovo-Albanischen Polizisten. Doch das Problem sei, dass er mit Kollegen aus anderen Ländern zusammen arbeiten muss, die noch keine Verhaftung oder das ganze Polizistenleben nur Mechaniker waren. Eine gemeinsame Vorstellung über die Ausbildung ist bei solchen Erfahrungshintergründen der zuständigen Polizeitrainer aus allen Herren Länder schlecht zu organisieren. Diese wird erst erreicht werden, wenn das Mandat der Vereinten Nationen zu Ende sein wird.

Ich erzähle meinem Kanadischen Gesprächspartner, dass ich beobachtet habe, wie von einem UNHCR-Laster Gülle direkt in einen Fluss entsorgt worden ist. Dies sei gegen die ökologischen Vorstellung der UN, antwortet er. Doch dies ist von Albanischen Bediensteten ausgeführt worden. Sie haben noch keine Vorstellungsbilder von Ökologie. In ihrem Überlebenskampf gibt es keinen Raum, sich Gedanken für die Entsorgung zu machen. Für sie stellt sich derzeit nicht die Frage nach einer sauberen Umwelt.

Für die Kosovo-Albaner wird sich wenig ändern. Sie werden versuchen, mit den alten Gewohnheiten, ihren Alltag zu meistern. Zu hoffen bleibt, dass mit den vielen Kontakten der zurückkehrenden Flüchtlinge aus dem Ausland neue Vorstellungsbilder in die Kultur des Kosovo einziehen. Unterstützt werden kann dieser Prozess des Wandels durch die Möglichkeit der jungen Erwachsenen, für 1 - 3 Jahre ins Ausland zu gehen, um mit den Menschen dort zu leben, zu wohnen und zu arbeiten. Au Pair ist eine schon bestehende Möglichkeit. - Und sollten wieder Menschenrechtsverletzungen an diesem kleinen Volk stattfinden, werden sie diesmal durch lebendige Beziehungen zu Menschen in anderen Nationen ganz anders wahrgenommen werden. So kann ich mir einen Weg vorstellen, eine internationale Solidarität zu entwickeln.

Der Wiederaufbau

Da ich schon zwei Mal nach dem Krieg in Bosnien und Herzegowina war, bin ich erfreut, wie wenig im Kosovo zerstört ist. Und dass ein Jahr nach Kriegsende der Wiederaufbau schon mehr als in Bosnien nach drei Jahren in vollem Gange ist. Dies bestätigt auch der Dänische K-FOR Soldat. Er hat auch 6 Monate in Bosnien Dienst getan. Der Bodenkrieg in Bosnien war viel schlimmer, während der Krieg im Kosovo mehr vom Luftkrieg geprägt war. Und doch bleibt der Eindruck des noch total zerstörten Dorfes Zhazh, abseits von den Hauptstraßen, dessen Zukunft politisch ungeklärt ist.

Als Zeichen des ungestümen Wiederaufbaus sind auch die vielen Tankstellen zu werten, die wie Pilze neu aus dem Boden schießen. Es gibt schon viel mehr Autos zu sehen, im Vergleich zu Bosnien. Der Anteil der Deutschen Fabrikate ist sehr hoch. Am Sonntag zähle ich die Autos, die mir entgegenkommen. 9 von 10 sind Deutsche. Am Montag ist der Anteil der ausländischen Fabrikate doppelt so hoch, weil die UN und die Hilfswerke mit ihren Autos unterwegs sind. Die Wagenklasse der Internationalen hebt sich deutlich ab. Sie fahren alle Allrad getriebene Geländewagen wie Nissan Patrol oder der Mercedes G-Klasse.

Die wirtschaftliche Zukunft des Kosovo wird schwierig werden. Denn im Südwesten liegt das total verarmte Albanien, im Norden ist kein Handel mit den Serben möglich und im Südosten will Mazedonien an der internationalen Hilfe kräftig mit verdienen. Das Land selbst hat mit ca. 2 Millionen Einwohnern einen kleinen isolierten Markt.

Wenn ich sehe, wie die K-FOR Soldaten mit ihrem schweren Gerät Kanäle reinigen sehe, denke ich an die Arbeitslosigkeit der Bevölkerung. Wäre es nicht besser, wenn die internationale Gemeinschaft den Wiederaufbau bezahlt, indem sie dem Kosovo Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Eisenbahn, Schulen oder Krankenhäuser schenkt und man mit diesen Arbeitsbeschaffungsprogramm den Menschen ein Einkommen ermöglicht. Der Aufbau der Eisenbahn Anfang des vorigen Jahrhunderts und der Bau der Autobahnen sind Beispiele für die Belebung der Wirtschaft.

Wie ist es möglich, das Verhältnis von Geben und Nehmen als eine Form der Menschenwürde zur Geltung zu verschaffen? Schon in Deutschland nimmt man den Asylbewerbern durch das Arbeitsverbot die Würde und es entwickelt sich eine reine Anspruchshaltung gegenüber den Rechtsansprüchen aus den staatlichen Leistungen. Ähnliches scheint mit der Verteilung der riesigen Hilfsprogramme im Kosovo zu laufen, dass viel Neid und Missgunst in der Bevölkerung bei der Verteilung der Hilfen entsteht. Oder sei es die Erwartung an das Militär, von allein für den Aufbau tätig zu werden.

Hilfen, die das Geben und Nehmen beachten, geraten immer mehr in den Bereich der Illegalität. So kommt eine Mutter von Bosnien nach Deutschland. Da es keine öffentliche Krankenhilfe gibt, muss sie bei Erkrankung der Kinder für alle Kosten selbst aufkommen. An dieses Geld kommt sie nur, wenn sie hier bei uns schwarz arbeiten kann. Ihr geht es erst gut, wenn sie das Fahrgeld, dann die Schulden erarbeitet hat, um dann eigenes Geld zu haben, wenn die Kinder wieder krank werden.

Fazit

Die Reise war kurz und intensiv. Sie hat mir bestätigt, dass die Erzählungen der Asylbewerber mit der Wahrheit der Flüchtlinge übereinstimmt. Sie ist wichtig für mich, die Menschen und ihre Kultur besser kennen zu lernen, mit denen ich den vergangenen Jahren soviel zusammen gearbeitet habe.

Für die Rückkehr der Flüchtlinge wünsche ich, dass man zuerst diejenigen zurückschickt, die mit den im Kosovo verbliebenen Familienangehörigen den Wiederaufbau in die Wege leiten können. Alleinstehende außerhalb jeglicher Familienbande als soziale Versicherungsgemeinschaft sind total überfordert, erst recht alleinerziehende Mütter mit minderjährigen Kindern.

Die Reise hat mir auch bestätigt, dass wir die Menschen nicht auf die Rückkehr in ihre Heimat vorbereitet haben. Im Gegenteil! Sie kommen aus einer total versorgten Situation und der erzwungenen Untätigkeit zurück in einen knallharten Kampf des Überlebens eines vom Krieg zerstörten Landes. Man schickt auch nicht einen Mensch auf die Baustelle, um dort hart körperlich zu arbeiten, wenn ihm am Tag zuvor nach 6 Wochen ein Gips entfernt worden ist.

Einmal mehr macht die Reise mir deutlich, wie wichtig eine internationale Solidarität ist. Einmal zur Verhinderung einer solchen Entwicklung eines Konfliktes und zum anderen zur Hilfe. Internationale Hilfe kann nur entstehen, wenn wir uns gegenseitig besuchen und eine Zeit lang zusammen leben und arbeiten. Au Pair ist ein Weg. Schön wäre ein Training der aufnehmenden Familien für den Friedensdienst. Die neuen Medien wie Fax, Handies und Internet erleichtern, ständig in Kontakt zu bleiben.

Eine direkte, kurzfristige und einmalige Hilfe ist eine Weihnachtsaktion. Auf Weihnachtsbasaren werden die Handarbeiten der Frauen verkauft. Dies gilt auch zur Stärkung der Rolle der Frau.

Shehremed und den vielen in der Landwirtschaft lebenden Menschen wünsche ich die Gelder zur Gründung von Raiffeisenkassen, damit sie z.B Kredite für Saatgut aufnehmen können.

Dem Kosovo wünsche ich ein Europa der Regionen. Eingebunden in eine große Gemeinschaft mit einem großen Markt und gleichzeitig die Entwicklung der eigenen Kosovo-Kultur, ausgesöhnt mit seinen Nachbarn aus der Basis der Vergebung.

Dem Kosovo und seinen Bewohnern wünsche ich vor allem, dass wir ihnen ihre Würde zurück geben. Zum einen, wenn wir ihnen hier in Deutschland die Arbeit vorenthalten und sie somit auf das angewiesen sind, was wir ihnen geben. Statt dessen sollten sie die Möglichkeit haben, das Geld für den Wiederaufbau selbst zu verdienen. Und im Kosovo fängt man auf, ein System der Abhängigkeiten aufzubauen, indem man ständig Hilfsgüter und Lebensmittel verchenkt. Statt dessen gibt man ihnen die Möglichkeit, ihr Geld selbst und in Würde zu verdienen.

Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit schenkt die internationale Gemeinschaft Infrastrukturmaßnahmen, die möglichst vielen Menschen eine Arbeit gibt.

Der Deutsche Außenminister Joschka Fischer betont, dass die europäische Union eine Wertegemeinschaft ist. Und hier wird es Zeit, dass wir anfangen, über die Werte zu sprechen, die für das Zusammenleben in unserer Gemeinschaft von Bedeutung sind. Denn bis die Würde des Menschen im Kosovo zum Tragen kommt, muss von uns, von jedem Einzelnen noch einiges in Bewegung gesetzt werden.

Zusammenarbeit

Wer mit helfen will, junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit im Rahmen eines Au-Pair oder ähnlichen Programms zu uns zu bringen, soll sich mit mir in Verbindung setzen.

Für die Weihnachtsaktion Handarbeiten aus dem Kosovo suche ich auch noch Partner. Gedacht ist, Handarbeiten auf Weihnachtsbasaren zu verkaufen und den Erlös den Frauen an Weihnachten zukommen zu lassen.

Kontaktadresse:

Helmut Stapf
Mühlangerweg 1
D-86830 Schwabmünchen
Tel: 08232 79389
Fax: 08232 79388
email: stapf@schwabmuenchen.de


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Seite erstellt am 26.07.2000