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WDR - Westdeutscher Rundfunk - Sendungen vom 29. Januar 2001


http://www.wdr.de/tv/markt/archiv/01/0129_4.html
Sendung vom 29. Januar 2001

Arnsberg will seine Kosovo-Albaner behalten

Von Valentin Thurn

Alle reden über ein Einwanderungsgesetz. Doch gleichzeitig werden Einwanderer abgeschoben, die schon hier sind, bereits integriert, mit Arbeit und vielfach in ihrer Firma unverzichtbar.

Für seine Firma ist Gani Kriezio ein unverzichtbarer Mann. Er arbeitet als Estrichleger. Eine anstrengende Arbeit, und dazu noch im Schichtdienst: Die Estrichböden müssen rund um die Uhr verlegt werden, ohne größere Pausen, nur so gelingen große Flächen etwa in einem Einkaufszentrum gleichmäßig glatt. Doch der Kosovo-Albaner muss Deutschland verlassen, wie alle anderen Bürgerkriegs-Flüchtlinge, deren Duldung jetzt nach Ende des Krieges ausläuft. Seit über zehn Jahren lebt Gani Kriezio mit seiner Frau und vier Kindern in Arnsberg im Sauerland.

Sein Chef Stefan Hunecke hat noch zwei weitere Kosovo-Albaner angestellt, ebenfalls von der Abschiebung bedroht. Ersatz durch deutsche Arbeiter findet er nicht. Deshalb will er seine Arbeiter verstecken, falls sie von der Polizei abgeholt werden sollten: „Ich kann sie überhaupt nicht missen. Ich habe unserem Bürgermeister gesagt, dass ich ihnen bei mir zu Hause Asyl gewähren werde, oder in der Kirche, einer Abschiebung werde ich mich widersetzen.“ Das Dilemma der Firma schildert Kriezios deutscher Arbeitskollege Manfred Lutze: „Wir kriegen überhaupt keine Deutschen in diesem Beruf. Wir haben Lehrlinge, die halten das drei Monate durch und dann sind die weg, weil dann wollen sie nicht mehr arbeiten, weil sie es in den Knien haben oder in den Armen, die Deutschen wollen einfach nicht mehr so arbeiten.“

Zweites Beispiel aus Arnsberg: Fadil Bitic, ebenfalls Kosovo-Albaner, macht Reflektoren für Straßenlaternen mit einer computergesteuerten Druckmaschine, die er selbst einrichtet, was nur wenige in der Firma können. Sein Chef Klaus Schiebler hält große Stücke auf ihn: „Herr Bitic ist für meine Firma sehr wichtig, weil er zuverlässig und fleißig ist, und weil er unsere teuerste Maschine am besten bedienen kann. Darum kämpfe ich dafür, dass ich Herrn Bitic behalten kann.“ Die Firma findet keinen Ersatz durch deutsche Arbeiter, bestätigt auch der Kollege Andreas Groß: „Wir hatten viele Leute hier vom Arbeitsamt, Langzeitarbeitslose, die hielten es einen halben Tag hier aus und waren dann wieder weg. Weil sie gar nicht arbeiten wollen.“ Der Metallarbeiter versteht nicht, warum der Kosovo-Albaner abgeschoben werden soll: „Fadil ist jetzt so lange schon in Deutschland, hat immer gearbeitet, bezahlt seine Steuern wie jeder andere Mensch auch, warum soll der nicht hier bleiben, er fällt ja keinem zur Last.“

Der Sohn von Fadil Bitic geht in die Röhrschule in Arnsberg-Hüsten. Dort haben Eltern und Klassenlehrer über 100 Unterschriften gesammelt, damit der kleine Fatbardh weiter die 2. Klasse besuchen darf und nicht abgeschoben wird in den Kosovo - in ein Land, das er nie gesehen hat. Seine Lehrerin Birgit May ist deshalb ganz besonders empört: „Man spricht immer von Integration, aber das ist in seinem Falle überhaupt kein Problem, bei einem deutschen Kind würde man auch nie danach fragen. Er ist hier geboren, das Problem wird wahrscheinlich die Integration im Kosovo sein und nicht hier.“

Doch sein Vater bekommt keine Arbeitsgenehmigung. Denn eine „Greencard“ gibt es nur für Computer-Spezialisten und nicht für das Handwerk. Und das, obwohl das Arbeitsamt bestätigt, dass es dem Unternehmer keinen deutschen Facharbeiter vermitteln kann: „In den Metallberufen kommen derzeit nur zwei, drei Bewerber auf eine Stelle,“ weiß Dirk Rellmann vom Arbeitsamt Hochsauerlandkreis, „wenn das Unternehmen dann noch Zusatzwünsche hat, dann kann es schnell vorkommen, dass der Betrieb sagt: Wir finden keinen Bewerber, der unseren Anforderungen entspricht.“ Rellmann vermeidet zwar das Wort „Facharbeitermangel“ wie der Teufel das Weihwasser, weil er nach wie vor einen hohen Berg an Arbeitslosen zu verwalten hat - in Arnsberg liegt die Quote bei rund 8 Prozent. Aber er gibt zu, dass es in vielen Branchen zunehmend weniger Bewerber gibt. Neben der Metallbranche ist dies zum Beispiel das Hotel- und Gaststättengewerbe, aber auch der Garten- und Landschaftsbau oder die Alten- und Krankenpflege. Diese und andere Branchen sind auf ausländische Arbeitskräfte wie die Kosovo-Flüchtlinge angewiesen. Doch die sollen jetzt allesamt abgeschoben werden, beschlossen die deutschen Innenminister. Hans-Josef Vogel, Bürgermeister von Arnsberg, wehrt sich dagegen: „Die Kosovo-Albaner und ihre Familien sind hier voll integriert, und die Betriebe brauchen gegenwärtig Facharbeiter, und insofern setze ich mich dafür ein, dass sie hier bleiben können.“

Der CDU-Bürgermeister redet nicht nur, er handelt. Das Ausländeramt benannte er in „Büro für Zuwanderung“ um - nicht gerade in Übereinstimmung mit seiner Parteilinie. Doch darum hat er sich noch nie geschert. Die „Kinder statt Inder“-Wahlkampagne der nordrhein-westfälischen CDU hält er schlicht für „Schwachsinn“. Unerschrocken setzte sich der Bürgermeister für die Kosovaren ein und kündigte an, dass aus seiner Stadt kein Flüchtling mehr abgeschoben wird. 158 Erwachsene und 114 Kinder, die von der Ausweisung bedroht sind, will er in Arnsberg behalten, darunter auch den Estrichleger Kriezio, den Metallarbeiter Bitic und ihre Familien.

Das ist mutig, denn damit stellte er sich gegen NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD). Der rüffelte ihn dafür im September 2000 mit folgenden Worten: „Er führt Bundesrecht aus, da ist auch ein Bürgermeister an die geltenden Gesetze gebunden, und das gilt auch für Herrn Vogel.“ Behrens drohte ihm deshalb mit einer Dienstanweisung: „Wenn die Kosovaren jetzt nur im Regierungsbezirk Arnsberg bleiben könnten, dann hieße das, Hunderttausende Kosovaren aus anderen Teilen Deutschlands wollen auf einmal nach Arnsberg. Und ich kann nicht glauben, dass Herr Vogel das will.“ Bürgermeister Vogel konterte: „Der Innenminister sagt, wir haben die Abschiebung einmal beschlossen, und das ziehen wir jetzt durch, egal ob sich die Wirklichkeit verändert hat, ob wir heute politisch schlauer sind. Er sagt, liebe Stadt Arnsberg, Ihr müsst im Zweifelsfall abschieben, und er hat seine Aufsichtsbehörde, den Regierungspräsidenten, beauftragt, dies auch zu kontrollieren.“ Dennoch ließ sich Vogel nicht einschüchtern: Vorsichtshalber folgt jetzt seine Ausländerbehörde den formalen Vorgaben des Innenministers, aber Abschiebungen, so ordnete der Bürgermeister an, müssen direkt über seinen Schreibtisch gehen - und bleiben dort einfach liegen. Damit sind wenigstens seine Beamten aus der Schusslinie.

Derweil wird überall sonst im Lande fleißig abgeschoben. Viele der Flüchtlinge lebten seit über zehn Jahren in Deutschland, weil sie bis zum Kosovo-Krieg geduldet wurden. Die meisten Asylanträge wurden bereits abgelehnt, und die noch laufenden Verfahren haben wenig Chance auf Erfolg - schließlich gibt es keine ethnische Verfolgung mehr im Kosovo. Und dass die rückkehrenden Flüchtlinge in ihrer Heimat oft nur Trümmer anstatt ihres Hauses vorfinden, ist kein Abschiebungshindernis. Übergangsweise werden sie in Zeltlagern untergebracht, und viele bekommen eine kleine finanzielle Wiederaufbauhilfe. Dennoch würden die meisten lieber in Deutschland bleiben - schließlich wissen sie, dass der Wiederaufbau noch Jahrzehnte dauern wird. Die Ausländerbehörden üben jedoch deutlichen Druck aus: Wer nicht unterschreibt, dass er „freiwillig“ geht, der wird gewaltsam abgeschoben und hat ein für alle Mal sein Recht auf ein Visum nach Deutschland verwirkt. Das zieht bei den meisten: Die Ausländerbehörde sammelt sie mit dem Bus in ganz Nordrhein-Westfalen ein und bringt sie zum Flughafen Münster-Osnabrück. Bis Weihnachten startete fast täglich eine Charter-Maschine nach Pristina mit 120 Kosovaren, jetzt im Winter sind es allerdings deutlich weniger Flugzeuge, vorübergehend, bis der Schnee wieder weg ist.

Rund 80.000 Flüchtlinge wurden bereits im letzten Jahr abgeschoben, 140.000 sind noch in Deutschland und sollen in diesem Jahr folgen. Wenn es sich die Innenminister nicht doch noch anders überlegen. Fritz Behrens jedenfalls, der die Abschiebungen mit beschlossen hatte, sieht das heute anders und setzt sich neuerdings für ein Bleiberecht ein: „Es war mein Vorschlag, ob man nicht eine Abschlussregelung für die Balkanflüchtlinge machen könnte, die etwa seit sechs Jahren in Deutschland sind, dann wäre das Problem ein für alle Mal gelöst, aber zu einer solchen Regelung haben sich die CDU-geführten Länder nicht bereit finden können.“ Die Kehrtwende geschah, nachdem in Düsseldorf viele mittelständische Betriebe gegen die Abschiebungen protestierten. Allerdings gibt es auch CDU-Länder, die dieselbe Kehrtwende vollzogen haben - zum Beispiel Baden-Württemberg, wo jetzt schon ein Bleiberecht für Kosovaren gilt, die mindestens seit zwei Jahren in einem mittelständischen Betrieb arbeiten. Doch andere Länder, allen voran Bayern, wehren sich noch gegen die Einwanderung durch die Hintertür. Letzte Hoffnung: Im Mai wollen die deutschen Innenminister erneut über die Flüchtlinge beraten.

Doch egal, wie die Innenminister beschließen, der Arnsberger Bürgermeister will auch weiterhin keine Flüchtlinge abschieben. Er hat eine Studie in Auftrag gegeben. Danach ist Arnsberg mehr denn je auf Einwanderung angewiesen: „Arnsberg verliert in den nächsten 15 Jahren rund 5.000 Einwohner, weil - wie überall sonst in Deutschland - zu wenige Kinder geboren werden. Dann müssten wir die städtische Infrastruktur ausdünnen: Wir müssten Kindergärten und Schulen schließen, den Busverkehr in den dünn besiedelten Stadtteilen erheblich einschränken, und vieles würde teurer, zum Beispiel die Abwassergebühren, denn der Unterhalt des Kanalnetzes kostet gleichviel, egal wie viele Menschen es nutzen.“

Arnsberg ist kein Sonderfall - ganz Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten stark schrumpfen. Schon seit 25 Jahren werden zu wenige Kinder geboren. Man kann die Entwicklung der nächsten 100 Jahre ziemlich genau vorausberechnen, weil die Müttergeneration von morgen schon heute geboren ist. Das Ergebnis: Die deutsche Bevölkerung schrumpft dramatisch, von 82 Millionen auf etwa 24 Millionen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts - wenn nicht sehr dramatisch hohe Einwanderungen stattfinden. Selbst eine Einwanderung von 250.000 pro Jahr reicht nicht, dann würde die Bevölkerung immerhin noch auf 50 Millionen sinken.

Deutschland - ein Raum ohne Volk? Oder endlich genug Platz in einem überbesiedelten Land? Die absolute Bevölkerungszahl ist nicht das Problem, wohl aber die Tendenz Wachstum beziehungsweise Schrumpfung. Letzteres hat es in der Geschichte immer nur in harten Krisenzeiten gegeben. Ökonomen sehen darin eine ernste Gefahr für das Wirtschaftswachstum. Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Herwig Birg von der Uni Bielefeld sieht schwarz: „Welche Unternehmer investieren schon in einen schrumpfenden Markt, die suchen sich wachsende Märkte, und die gibt es andernorts, nicht mehr in Deutschland oder Europa.“

Die schlimmste Folge aber ist die Überalterung. Den Renten- und Krankenkassen droht der Kollaps. Prof. Birg: „Während die Zahl der über 60-Jährigen zunimmt, schrumpft die Zahl der 20- bis 60-Jährigen. In 50 Jahren wird es pro Erwerbstätigem zwei bis dreimal so viele Rentner wie heute geben. Wenn sie jetzt pro Kopf doppelt so viel leisten sollen, dann heißt das, sie müssten statt heute 20 Prozent ihres Einkommens das Doppelte an die Rentenversicherung abführen. Über 40 Prozent. Und dann noch Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Es wird einem schwarz vor Augen.“ Birg glaubt nicht, dass die Einwanderer allein Deutschland retten können. Denn sie werden auch alt. Doch sie könnten die Probleme lindern, die Überalterung der Gesellschaft abschwächen. Auf jeden Fall nützen Einwanderer unserem Sozialsystem. Experten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaft (RWI) in Essen errechneten, dass die Ausländer jährlich 30 Milliarden mehr in die Sozialkassen hineinzahlen, als sie an Leistungen wieder herausbekommen.

Die Alten und Schwachen sind heute schon auf die Einwanderer angewiesen: Ohne ausländische Fachkräfte würde die Kranken- und Altenpflege zusammenbrechen. Zum Beispiel das Altersheim Marienhaus in Essen. Dort arbeitet die Altenpflegerin Shemsije Smakic, auch sie soll in den Kosovo abgeschoben werden. Der Geschäftsführer wehrt sich dagegen, unterstützt vom Sprecher des Heimbeirates, Fritz Eimer: „Wenn die Ausländer weg wären, dann würde die Pflege zusammenbrechen. Wir haben sechs Mann im Nachtdienst, davon sind vier Ausländer. Unsere 30 Pflegebedürftigen könnten nicht von den zwei Deutschen versorgt werden, das geht nicht, die müssen ja auch nachts gepflegt werden.“

Dieser Text gibt den Inhalt des markt-Beitrags vom 29. Januar 2001 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.
- Alle Angaben ohne Gewähr -

2001 Westdeutscher Rundfunk
Stand: 31.01.2001 14:44



http://www.wdr.de/tv/markt/archiv/01/0129_3.html
Sendung vom 29. Januar 2001

Reise in den Kosovo

Von Valentin Thurn

Ein Sauerländer Unternehmer will und kann nicht mehr auf ein Einwanderungsgesetz warten. Nachdem der wichtigste Mitarbeiter seiner Firma im Oktober letzten Jahres in den Kosovo abgeschoben wurde, entschloss sich Uwe Rettinghaus-Becker, ihn wieder nach Deutschland zurückzuholen, gegen alle Widerstände.

Sundern bei Arnsberg. Arbeiter der Firma Rettinghaus-Becker verputzen die Außenwand eines Einfamilienhauses. Der Bauherr hatte Probleme, einen Termin zu bekommen, denn die Auftragslage ist so gut, dass die Firma kaum nachkommt. In dem Kleinbetrieb ist jeder Mann wichtig. Zwei der zehn Angestellten sind Kosovo-Albaner. Der Firmeninhaber Uwe Rettinghaus-Becker: „Ohne diese beiden Leute könnte ich eigentlich meinen Laden zumachen, weil ich keine deutschen Arbeiter mehr bekomme. Das will keiner mehr machen. Ich hatte vor kurzem einen Langzeitarbeitslosen vom Arbeitsamt, der ist zwei Tage da gewesen, und dann hat er doch wohl gemeint, die Arbeit ist zu schwer für ihn.“ Ohne die beiden Handwerker ist die Existenz der ganzen Firma gefährdet, zumal einer der beiden, Rasim Mucaj, eine Putzerkolonne von drei Mann leitet.

Im Oktober letzten Jahres wurde Rasim Mucaj in den Kosovo abgeschoben. Eine Katastrophe für die Firma, denn nun hat eine der beiden Putzerkolonnen keinen Vorarbeiter mehr. Resultat: Mehr Reklamationen von den Kunden, mehr Stress für den Chef, der von Baustelle zu Baustelle hetzt. Derweil sitzt Rasim Mucaj untätig in seinem Heimatdorf im Kosovo herum. Dort gibt es keine Arbeit. Gerne würde er wieder in Sundern arbeiten, wenn er nur dürfte. Sein Arbeitskollege Murada Mazreku hingegen ist noch in Sundern, doch auch er ist von der Abschiebung bedroht. Spätestens im Juli diesen Jahres muss er Deutschland verlassen. Die Konsequenz, droht sein Chef: „Ich müsste drei Mann entlassen und viele Aufträge der Konkurrenz überlassen.“

Um dies zu verhindern, versucht Uwe Rettinghaus-Becker bereits seit einem Jahr, eine Arbeitsgenehmigung für die beiden Kosovaren zu bekommen. Eigentlich unmöglich, denn eine „Greencard“ gibt es für Handwerker nicht. Aufgrund der besonders niedrigen Arbeitslosenrate in seiner Heimatgemeinde Sundern von unter 4 Prozent sowie seinen gesundheitlichen Problemen mit der Bandscheibe, die es dem Stuckateurmeister unmöglich machen, selbst auf den Baustellen mitzuarbeiten, kann er nach monatelangem Kampf die Behörden überzeugen. „Es hat fast ein Jahr gedauert, bis alle Unterlagen vollständig waren, dann fehlte hier ein Stempel, dann da ein Stempel“, stöhnt Uwe Rettinghaus-Becker. „Ich brauchte Bescheinigungen von den Ausländerbehörden und Arbeitsämtern, dass mir keine deutschen Arbeiter vermittelt werden können, dann brauchte ich ein Diplom von Rasim, dass aus seinem Heimatdorf kam, dann war der Stempel darauf unleserlich, dann ging das alles wieder zurück, es war nur ein Hin und Her.“

Mitte Januar ist es dann soweit: Der Unternehmer fliegt in den Kosovo. Im Dorf Korischa, im gebirgigen Süden des Kosovo bei Prizren gelegen, bereitet ihm Familie Mucaj einen großen Empfang. Die 35-köpfige Großfamilie besteht aus vier Brüdern samt Ehefrauen, Kindern und der Großmutter. Sie wohnen in einem Gehöft am Rande des Dorfes und hatten Glück im Unglück: Während ein Großteil des Dorfes während des Kriegs in Schutt und Asche gelegt wurde, blieb ihr Haus unversehrt, allerdings wurde das Gehöft von serbischen Truppen geplündert, Vieh und Möbel gestohlen und die Fenster zertrümmert. Unversehrt blieben nur der Traktor und der Anhänger, mit dem die Familie während den schlimmsten Kriegswochen nach Albanien geflohen war.

Uwe Rettinghaus-Becker ist sichtlich gerührt von dem herzlichen Empfang. Doch das war nur der Anfang: Am nächsten Tag wird das Visum ordentlich gefeiert und der Stuckateurmeister aus dem Sauerland wie ein Held geehrt. Zwei Lämmer werden geschlachtet und gebraten. So ein üppiges Festessen kann sich die Familie nicht oft leisten, denn keiner der vier Brüder hat hier im Kosovo einen festen Arbeitsplatz gefunden - im Krieg wurden die meisten Fabriken und landwirtschaftlichen Betriebe zerstört. Rasim Mucaj freut sich auf die Rückkehr nach Sundern: „Ich habe zehn Jahre in Deutschland gearbeitet, mit dem Geld haben wir hier unser Haus gebaut. Aber im Krieg wurde jetzt alles wieder zerstört, wir mussten wieder von Null anfangen. Deshalb möchte ich noch einmal nach Deutschland um zu arbeiten, damit ich meiner Familie helfen kann.“ Das Geld, das er als Vorarbeiter in Sundern verdient, teilt Rasim Mucaj mit seinen Brüdern, so wie das hier allgemein üblich ist. Sein Lohn versorgt also die ganze Großfamilie, 35 Menschen. Der Rückflug nach Köln gerät zur Zitterpartie. Die Grenzbeamten halten sein Visum zunächst einmal für eine Fälschung und wollen Rasim Mucaj nicht nach Deutschland hereinlassen. Der Bundesgrenzschützer bellt: „Ein Visum zur Arbeitsaufnahme als Stuckateur, soso. Sie haben doch hoffentlich das Original der Arbeitsgenehmigung dabei?“ Hat er nicht, aber zum Glück begleitet ihn sein Chef und kann den misstrauischen Beamten schließlich überzeugen, dass die Papiere in Ordnung sind. Uwe Rettinghaus-Becker hat die Schwierigkeiten erwartet: „Deswegen habe ich Rasim ja persönlich abgeholt: Mir war schon klar, dass er alleine nicht so einfach nach Deutschland reinkommt.“

Dieser Text gibt den Inhalt des markt-Beitrags vom 29. Januar 2001 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.
- Alle Angaben ohne Gewähr -

2001 Westdeutscher Rundfunk
Stand: 31.01.2001 14:45



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Seite erstellt am 03.02.2001