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http://www.kosova-info-line.de/kil/kommentare-253.html
Tages-Anzeiger, 06. Januar 2000

"Frieden, wenn Serben sich entschuldigen"

Der albanische Schriftsteller Ismail Kadare bestreitet nicht, dass Albaner in Kosovo Verbrechen begehen. Aber er wehrt sich dagegen, dass diese Taten mit den Untaten der Serben auf eine Stufe gestellt werden.

Mit Ismail Kadare sprach Joelle Kuntz

Sie haben soeben eine Woche in Kosovo verbracht. Welche Eindrücke bringen Sie mit?

Seit zwanzig Jahren war ich nicht mehr nach Kosovo zurückgekehrt. Dies war das erste Mal, dass ich ein von serbischer Verwaltung befreites Kosovo gesehen habe. Ich habe ein Volk angetroffen, das leben will, aber ständig daran gehindert und provoziert wird. Wenn man zulässt, dass die paramilitärischen Serben von Mitrovica mit Rufen durch die Strassen ziehen dürfen wie: "Wir werden wieder kommen und eure Frauen töten und vergewaltigen", wird es keine Versöhnung geben.

Im Moment fehlen die Bedingungen für Frieden. Ein Beispiel: Auf der einen Seite ein zerstörtes albanisches Dorf, wo die Familien in Zelten leben. Es ist kalt, das Leben extrem schwierig. Gegenüber ein serbisches Haus, von der Kfor beschützt und versorgt. Den dort lebenden serbischen Familien fehlt es an nichts. So weit ist nichts dagegen zu sagen. Doch was tun diese serbischen Familien? Sie gehen auf den Balkon und zeigen den Zeltbewohnern die Fruchtsäfte, Orangen und Bananen, welche die Kfor ihnen gegeben hat, so als wollten sie beweisen, dass sie von der internationalen Gemeinschaft bevorzugt werden. Das ist zynisch und bösartig. Die Albaner können das nur als Provokation verstehen! Man reizt die Albaner unablässig. Man will sie in Rachestimmung versetzen. Ich glaube, Milosevic verfügt über ein Szenario, demzufolge die albanische Rache geschürt werden soll. Eine Goldgrube für ihn.

Deswegen warne ich die Kosovo-Albaner davor, in diese Rache-Falle zu tappen. Rache schadet nicht nur ihren Interessen, sondern ist auch moralisch verwerflich. Ich habe dies während meines Aufenthaltes mehrmals gesagt und wurde von allen, die mir zuhörten, verstanden.

In den meisten Ihrer Texte über Kosovo, also seit ungefähr zehn Jahren, findet man diese Vorstellung vom "Bösen", welches sich eines Teils der Welt bemächtigt habe. Was ist dieses "Böse", und woher kommt es?

Wir durchleben beinahe eine moralische Katastrophe. Sie erlaubt es, Opfer und Henker auf die gleiche Stufe zu stellen. Für Kosovo konnte ich dies ununterbrochen feststellen: Man spricht nicht mehr von den toten Albanern, weil es banal geworden ist und auch heute weiterhin Albaner umkommen. Man spricht bloss von der Ermordung von Serben; um sie kümmert sich jetzt die internationale Gemeinschaft in erster Linie. Sie zementieren den Mythos, dass in dieser Region des Balkans kein Friede möglich sei. Ihnen gefällt das Bild von Hyänen, die auf Verbrechen und Blut aus sind.

Damit eine Versöhnung stattfinden kann, müssen all diese Provokationen aufhören, darunter vor allem die Provokation, dass in Serbien 7000 albanische Geiseln festgehalten werden, die beim Rückzug der Belgrader Armee mit Gewalt mitgenommen worden sind. Wenn man schon die Geiselnahmen in Tschetschenien verurteilt, wieso verurteilt man dann diese nicht?

Ich finde es unmoralisch, dass man heute die Albaner derart genau überwacht, aber nichts gegen die Ursachen der Spannungen unternimmt. Die Albaner können keine vollkommenen Menschen, die Engel des barbarischen Balkans sein. Man muss von allen verlangen, dass sie sich bessern.

Wie soll dies geschehen? Man kann immer Appelle lancieren, sich auf die humanen Grundwerte berufen - doch zurzeit scheint dies vergeblich zu sein.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn ich einen Traum habe, dann den, dass es Frieden auf dem Balkan gäbe. Und vor allem, dass Frieden zwischen Serben und Albanern herrsche. Ein Anfang wäre, Druck auf Serbien auszuüben, damit es seine Verbrechen gegen das albanische Volk Kosovos eingesteht. Wäre Serbien dazu bereit, würden sich die Geister besänftigen können. Die Albaner wären beruhigt, und die Serben wären von der Vorstellung entlastet, dass sie das Recht hätten, Albaner zu töten.

Diese Anerkennung der Verbrechen wäre keine bloss moralisierende Geste; sie hätte als unmittelbares und konkretes Resultat, dass sich die Spannungen legten und Horizonte sich öffneten. Das gesamte psychologische Klima des Balkans würde sich ändern. Ich verstehe nicht, wieso man nicht stärker auf diesen Punkt dringt. Das Gegenteil wird gemacht: Man verlangt von den Albanern, dass sie den Serben vergeben! Dies ist grausam und erst noch rassistisch. Wenn die Serben den Mechanismus der Entschuldigung auslösten, würden ihnen die Albaner darin sofort folgen. Aber sie tun es nicht. Selbst die serbische Opposition tut es nicht. In Nis, der von ihr beherrschten Stadt, ist kürzlich die albanische Dichterin Flora Bovina zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil sie die Idee eines "Grossalbaniens" verteidigt habe!

Wie erklären Sie sich das?

Die serbische Opposition ist demselben Mythos eines Grossserbiens verfallen, derselben historischen Mythologie, die sie glauben lässt, das Herz der serbischen Nation liege in Kosovo. Ein Teil der Opposition ist in Wirklichkeit eine Marionette von Milosevic. Nach dem Krieg hat Deutschland die in seinem Namen begangenen Nazi-Verbrechen verurteilt. Dies war Bedingung dafür, dass es in die Politik zurückkehren konnte. Dieser grundsätzliche Test gilt auch für die serbische Opposition: Sie wird wieder autonom, frei und fähig sein, Politik zu betreiben, wenn sie die serbischen Verbrechen in Kosovo zu verurteilen bereit ist.

Niemand fordert das von ihr - im Gegensatz zu Deutschland 1945.

Unserer Welt fehlt es an moralischem Zusammenhalt. Deshalb besteht man nicht stärker auf diesem Punkt. Und deshalb nimmt man im Gegenteil - wie Carla Del Ponte - diese unannehmbare Haltung ein, mit der die Verbrechen der einen mit jenen der anderen gleichgesetzt werden. Wieso will sie um jeden Preis "auch" die Albaner vor den internationalen Gerichtshof ziehen, dem sie vorsteht? Das verstehe ich nicht. Wenn sie die albanischen Kriminellen verhaften will, dann soll sie das tun und sie mustergültig verurteilen, denn sie sind das Unglück meines Landes. Ich wäre der Erste, der sich bei ihr bedankte, denn wenn die Banditen im Allgemeinen mich anwidern, so widern mich die Mafia und die albanischen Banditen doppelt an. Aber diese Gleichsetzung von Albanern und Serben! Entweder informiert sie sich besser über die Kriminellen, die sie verhaften will, oder sie nimmt ihre Worte zurück, denn sie sind sehr schwer wiegend und von Vorurteilen geprägt.

Eine grosse Angst beherrscht die meisten der westlichen Akteure auf dem Balkan: dass sie die Grenzen in Europa neu ziehen werden müssen. Dies würde allen Verpflichtungen seit dem Zweiten Weltkrieg zuwiderlaufen. Und es widerspräche auch der Charta von Helsinki.

Ich gebe zu, dass es schwierig ist, die Grenzen in Europa zu verschieben. Wenn aber die Serben nach Kosovo zurückkommen, wird es noch viel schwieriger. Von zwei Übeln sollte das kleinere gewählt werden, um dann zu versuchen, ein neues Klima zu schaffen.

Man darf nicht vergessen, dass ein Teil der Balkanintrigen aus den europäischen Intrigen hervorgegangen ist. Die Schaffung Jugoslawiens 1918 war eine ziemlich zweifelhafte Angelegenheit. Serbien befand sich auf Seiten der Sieger und hatte Freunde, namentlich Russland. Albanien war dagegen isoliert. Die Serben forderten eine Wiedergutmachung für das Attentat von Sarajevo. Sie erhielten sie in Form von Kosovo. Niemand hatte die Bevölkerung befragt. Für die Zyniker unter den Politikern war sie nicht mehr wert als das Vieh und die Wälder.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg befragte sie niemand, als Kosovo, das die faschistischen italienischen Besetzer Albanien angegliedert hatten, an Jugoslawien zurückgegeben wurde. Und niemand hat später das Massaker bewegt, welches das kommunistisch gewordene Jugoslawien gegen die angeblichen Nationalisten durchführen sollte, die die serbische Herrschaft über Kosovo abgelehnt hatten. 1981, als die Albaner sich erhoben und die Bildung einer Republik innerhalb der jugoslawischen Föderation forderten, wurde dies als Verbrechen betrachtet. Dies ist noch heute das herrschende Verständnis: Die Unabhängigkeit von Kosovo wird als Verbrechen gewertet. Doch kann man Freiheit als "Verbrechen" ansehen?

Die UCK wird von vielen kritisiert; ihr Zugriff auf Kosovo gilt als schädlich. Was halten Sie davon?

Die UCK ist Opfer einer Dämonisierungskampagne mittels serbischer Klischees und Szenarien. Man beschuldigt sie, gleichzeitig kommunistisch, islamistisch und mafios zu sein - und sogar, im Dienste Serbiens zu stehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie als bewaffnete Widerstandsbewegung Fehler gemacht hat. Ich habe ihre Haltung auch schon verurteilt, zum Beispiel in Rambouillet. Ihr damaliger Anführer, der Schriftsteller Adem Demaci, erwies sich als verantwortungsloser Abenteurer. Aber man darf nicht alle gleichsetzen. Ganz allgemein handelt es sich um Leute, die ihr Leben geopfert haben.

Man beschuldigt sie des Terrorismus. Doch wo haben sie Terror gesät? In Europa oder Serbien? Glauben Sie etwa, es gäbe keine drei verzweifelten Albaner, die nicht mit einer Bombe im Sack irgendwo eine Botschaft oder ein Hotel in die Luft sprengen könnten? Aber eben, sie haben es nicht getan. Die Anschuldigungen gegen sie zeugen von grosser Feigheit. Es ist der Hass der Feigen auf die Mutigen. Ich denke da vor allem an die albanischen Pazifisten. Von ihnen ging die Anschuldigung aus, die UCK sei eine Agentin der Serben!

Sie beklagen oft das schlechte Bild, welches man sich in Europa von Albanien macht. Ihre Bücher sind daran allerdings nicht ganz unschuldig. Mir ist darin eine ziemlich erschreckende und unverständliche Welt begegnet.

In meinem Werk finden Sie tatsächlich ein ziemlich düsteres Bild meines Landes. Ich bin angesichts meines Volkes ziemlich verbittert und glorifiziere es nicht. Dennoch glaube ich, dass es, abgesehen von den Slowenen, das emanzipierteste Volk des Balkans ist. Das sieht man nicht, weil es sich im Zentrum eines Wirbelsturms befindet. Aber es ist das einzige Volk ohne chauvinistischen Nationalismus und Aggressivität gegen die anderen Völker der Region. Es ist sehr kritisch sich selbst gegenüber, manchmal zu kritisch, vertritt aber keine Doktrin und erhebt kein Geschrei gegen die anderen. Albanien greift kein anderes Land an. Es hat sich sein eigenes Unglück geschaffen. Mich verbittert seine kleine und kleinliche Classe politique; doch auch sie ist von Chauvinismus frei.

Das albanische Volk besitzt die besten Voraussetzungen, um mit seinen Nachbarn zu verhandeln und zu kooperieren. Man hat vorhergesagt, dass die mazedonischen Albaner wegen Kosovo "die Lunte ans Pulverfass halten" würden. Dies ist nicht eingetreten. Man weiss nicht, was die Albaner in Zukunft tun werden. Aber es geht nicht an, dass man eine Art Doktrin schafft, welche allen Völkern, wenn sie es wünschen, das Zusammenleben erlaubt, die Albaner aber davon ausschliesst. Dies wäre eine weitere Provokation.

Joelle Kuntz ist Redaktorin der Genfer Tageszeitung "Le Temps"; Michael Gnehm hat das Interview aus dem Französischen übersetzt.


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Seite erstellt am 06.01.2000