Im Kosovo stehen die Zeichen wieder auf Gewalt: Eine
"Befreiungsarmee" der
albanischen Bevoelkerungsmehrheit ueberzieht die suedserbische Provinz
mit einer
Anschlagserie, der bislang mehr als 30 Menschen zum Opfer gefallen
sind - zumeist
serbische Funktionaere oder Polizisten, aber auch der Kollobaration
verdaechtige Albaner.
Die serbische Staatsmacht schlaegt zurueck. Opfer polizeilicher Pruegeltrupps
sind
demonstrierende Studenten in den Staedten, aber auch einfache Bauern
auf dem Land,
deren Haeuser zum Ziel willkuerlicher Razzien werden. Staatsgewalt
bekommen die
Albaner, die 90 Prozent der zwei Millionen Einwohner im Kosovo ausmachen,
zu spueren,
seit der Belgrader Machthaber Slobodan Milosevic ihrer Provinz 1989/90
die Autonomie
nahm und ihr dafuer den Ausnahmezustand ueberstuelpte. Seitdem ist
vom Kosovo als
dem "Pulverfass auf dem Balkan" die Rede.
Explodiert ist es bislang nicht. Und obwohl sich
die Lage wieder bedrohlich
verschlechtert hat, gelingt es bisweilen sogar einen kleinen Dialogfaden
zu spinnen
zwischen Serben und Albanern. Ein Beispiel dafuer gibt das der Muenchner
Ludwig-
Maximilian-Universitaet angegliederte Centrum fuer angewandte Politikforschung
(CAP),
das im Kosovo-Konflikt auf das bewaehrte Motto "Wandel durch Annaeherung"
setzt. Die
Wissenschaftler brachten Intellektuelle beider Seiten auf einer griechischen
Insel
zusammen, wo sie "Gemeinsame Empfehlungen" an die politischen Fuehrungen
formulierten.
Ein Durchbruch, der den Weg der Verhandlungen eroeffnen
koennte, ist dieses Papier
fuer Martin Brusis, der beim CAP fuer den Kosovo-Dialog zustaendig
ist. Die Intellektuellen
schlagen Verhandlungen auf zwei Gebieten vor: ueber Vertrauensbildung
durch
praktische Verbesserungen und ueber den Status des Kosovo. Zum ersten
zaehlen sie
die Anerkennung des Albanischen als offizielle Sprache, den freien
Zugang der Albaner zu
Schulen und Universitaeten, die Aufhebung des Ausnahmezustandes, eine
beiderseitige
Gewaltverzichtserklaerung und die Entwaffnung der Bevoelkerung. In
der Statusfrage
stehen sich beide Seiten noch unversoehnlich gegenueber.
Die Serben sehen quer durch alle politischen Lager
den Kosovo als unveraeusserlichen
Teil Serbiens und als Wiege ihrer Kultur. Die Albaner wollen sich auch
mit der Rueckgabe
der Autonomierechte nicht mehr begnuegen und fordern ihre staatliche
Selbstaendigkeit.
Es ist ein weiter Weg von den intellektuellen Debatten bis zur Praxis.
Als Fortsetzung des
Dialogs plant das CAP im Februar eine Konferenz, in die auch die politischen
Akteure
eingebunden werden sollen. Bislang allerdings hat sich die Belgrader
Fuehrung jeglicher
Vermittlung verweigert. Der Kosovo-Konflikt wird stereotyp als "innere
Angelegenheit"
deklariert.
Allerdings steigt der internationale Druck, und
die vergangenen Wochen haben gezeigt,
dass die Staatengemeinschaft das Thema nicht mehr von der Tagesordnung
draengen
lassen will. So hatten im November Bundesaussenminister Klaus Kinkel
und sein
franzoesischer Kollege Hubert Vedrine einen Brief an Milosevic geschrieben,
in dem sie
den Praesidenten zu Verhandlungen ueber einen "Sonderstatus" fuer die
Unruheprovinz
aufforderten. Bei der Bosnien-Konferenz im Dezember auf dem Bonner
Petersberg
schliesslich kam es zu einem Eklat, als der Westen plus Russland darauf
bestand, das
Kosovo-Problem im Abschlussdokument zu thematisieren. Die Serben zogen
daraufhin
geschlossen aus dem Tagungssaal aus. Sie nahmen die Erkenntnis mit,
dass die
internationale Gemeinschaft mittlerweile eingesehen hat, in Dayton
einen Fehler gemacht
zu haben. Beim Abschluss des Friedensvertrages fuer Bosnien Ende 1995
war eine
Loesung fuer den Kosovo noch ausgeklammert worden. In der naechsten
Woche will der
US-Sondergesandte fuer das ehemalige Jugoslawien, Robert Gelbard, nach
Belgrad
reisen.
Selbst im Innern wird Kritik am aggressiven Vorgehen
Milosevics im Kosovo laut.
Patriarch Pavle, das greise Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche,
hat nach der
brutalen Niederschlagung der Studentenproteste am 30. Dezember zum
Dialog zwischen
der Fuehrung in Belgrad und Pristina aufgerufen. Zugleich forderte
er die Albaner auf, den
serbischen Staat anzuerkennen und ihn nicht mit der derzeitigen Staatsfuehrung
gleichzusetzen. Verraten von Belgrad fuehlen sich auch viele der 200
000 Serben, die
noch im Kosovo leben. Sie kuendigten mit Unterstuetzung der Kirche
die Bildung einer
"nationalen und demokratischen Bewegung" zur Wahrung ihrer Interessen
an, wobei die
Betonung sicher auf dem Nationalen liegt.
Die dramatisch angespannte Situation im Kosovo koennte
sich rasch weiter
verschaerfen: Am 22. Maerz wollen die Albaner erstmals nach sechs Jahren
wieder
Wahlen in ihrer selbst erklaerten "Republik Kosova" abhalten. Ihr "Praesident"
Ibrahim
Rugova, ein Verfechter des gewaltfreien Widerstandes gegen die als
Besatzung
empfundene serbische Herrschaft, steht arg unter Druck. So koennte
sich bei einer
Abwahl Rugovas neben der im Untergrund agierenden Befreiungsarmee auch
die
politische Vertretung der Kosovo-Albaner radikalisieren. Von verschiedenen
Seiten wird
nun also die Lunte an das "Pulverfass" gelegt. Eine internationale
Vermittlung erscheint
noetiger denn je.