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from German
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Sueddeutsche Zeitung(Munich) 28 December
1998
THE NEXT WAR IN KOSOVO
Commentary by Peter Muench
Der nächste Krieg im Kosovo
VON PETER MÜNCH
Man muß keine Kassandra sein, um für 1999 einen neuen, großen Krieg zwischen Serben und Albanern im Kosovo vorherzusehen. Denn der Krieg bestimmt dort das Sein und das Bewußtsein. Er beherrscht den Alltag und die Gedanken der Albaner. Keine halbherzige Vermittlung von außen, kein Waffenstillstand auf dem Papier konnte daran etwas ändern. 1998 haben sich die Kosovaren aufgelehnt gegen jahrelang erduldete serbische Unterdrückung. Sie haben gekämpft und haben einen hohen Preis dafür bezahlt. Für zwei kurze Monate von Oktober an herrschte relative Ruhe. Doch an Weihnachten wurde wieder geschossen, rollten wieder die Panzer, brannten wieder die Häuser.
Der Frieden hat im Kosovo keine Basis mehr. Der Krieg hat sich festgefressen in den Köpfen. Wer ein Haus bauen wollte, hat die Pläne beiseite gelegt. Aus dem Ausland schicken die Albaner ununterbrochen Geld für den Unabhängigkeitskampf, oder sie melden sich selbst zu den Waffen. So sehr haben die Menschen ihre Existenz mit dem Krieg verwoben, daß er zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Kultur und Folklore geworden ist. Szenenapplaus gab es letzte Woche bei einem Schlagerfestival in Albaniens Hauptstadt Tirana immer dann, wenn auf der Bühne – im Hip-Hop- oder Balladenrhythmus – der heldenhafte, opferreiche Kampf für die nationale Befreiung besungen wurde. In den Auslagen der Juweliere liegen goldene Amulette mit dem Kürzel „UCK“ der Kosovo-Befreiungsarmee. „Wir alle sind UCK“– dieser Satz ist im ablaufenden Jahr zu einem geflügelten Wort geworden.
Dabei ist diese Truppe wahrlich kein Aushängeschild für die Albaner. An Brutalität steht sie den serbischen Armee- oder Polizei-Einheiten kaum nach. Sie mordet aus dem Hinterhalt, sie meuchelt angebliche Kollaborateure. Mit Überfällen und Entführungen verbreitet sie Angst und Schrecken unter den 200 000 Serben, die im Kosovo neben knapp zwei Millionen Albanern leben. Zudem hat die UCK verheerende Fehler gemacht. Als sie im Sommer vom Guerilla-Kampf zur Strategie des Landgewinns überging, lieferte sie den Serben einen Vorwand für ethnische Säuberungen. Rund 300 000 Albaner wurden dabei zu Flüchtlingen. Fast zwei Drittel von ihnen haben sich noch immer nicht in ihre weitgehend zerstörten Dörfer zurückgetraut.
Aber diese UCK ist die einzige Kraft, von der sich die Albaner noch etwas erhoffen. Daß dies so ist, hat sich auch der Westen zuzuschreiben. Denn er hat die Albaner nicht nur enttäuscht, sondern auch getäuscht. Er hat sich als Vermittler angeboten. Doch den Handel hat der Westen einseitig mit Slobodan Milosevic abgeschlossen – mit dem Mann, der in den 90er Jahren den Balkan von Kroatien über Bosnien bis zum Kosovo in Brand geschossen hat. Tagelang hatte der amerikanische Balkan-Gesandte Holbrooke im Oktober mit dem Serbenführer gerungen. Was genau vereinbart wurde, blieb bis heute geheim. An die Öffentlichkeit drang lediglich die Botschaft: Milosevic ist eingeknickt unter der Drohung des NATO-Bombardements; er zieht Teile seiner Truppen aus dem Kosovo zurück. An die Albaner erging die lapidare Aufforderung: Nun einigt Euch mit den Serben über den künftigen Status der Provinz. Doch ohne massive ausländische Beteiligung ist das ungefähr so realistisch, wie die Toten des Krieges wieder zum Leben zu erwecken.
Wenn wir uns selbst nicht helfen, hilft uns keiner – diese Lehre mußten die Albaner aus dem Fiasko der Diplomatie ziehen. Im Westen täuscht man sich allzu gern über diese Realität hinweg, zum Beispiel mit Hilfe jener unbewaffneten OSZE-Beobachtermission im Kosovo, die bis heute nicht auf ihre Sollstärke von 2000 Mann gebracht worden ist. Oder aber man gibt sich Illusionen hin und schmückt Ibrahim Rugova, den „Präsidenten“ der Kosovo-Albaner und Prediger der Gewaltlosigkeit, mit Friedenspreisen. (Allein im Dezember hat er gleich zwei bekommen, darunter den Sacharow-Preis des EU-Parlaments.) Doch in der Heimat zählen solche Auszeichnungen nicht. Rugova hat in dem Maße Einfluß verloren, wie sich die westlichen Solidaritätsadressen als bloße Lippenbekenntnisse erwiesen haben. Vielen gilt er schon als Versager, manchen gar als Verräter an der albanischen Sache. Als handlungsfähig erscheint allein die UCK.
Das ist fatal, denn die Befreiungsarmee kennt nur ein Ziel: die Unabhängigkeit des Kosovo. Und sie kennt nur ein Mittel: den Krieg. Ob sie ihr Ziel angesichts der Überlegenheit der serbischen Streitkräfte jemals erreicht, ist zweifelhaft. Doch gewiß wird sie ihre Mittel einsetzen. Die jüngste Eskalation ist ein typisches Beispiel, sie zeigt das Muster, nach dem dieser Krieg verläuft: Die UCK provoziert, und die Serben schlagen mit aller Macht zurück. Parallel dazu gibt es ein zweites Muster: das der ritualisierten Warnungen und Drohungen. Von Washington bis Bonn, vom NATO-General Clark bis zum Generalsekretär Solana waren nun wieder die gleichen Worte zu hören wie vor zwei Monaten, vor sechs Monaten, vor zehn Monaten.
Der Krieg dreht sich im Kreis im Kosovo. Wenn er nun in eine neue Runde geht, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Der Westen interveniert massiv, um wie in Bosnien – da waren es 60 000 Soldaten – die Kampfparteien auseinander zu halten. Oder er hält sich raus – und riskiert einen Völkermord.
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Sueddeutsche Zeitung(Munich) 28 December 1998THE NEXT WAR IN KOSOVO
Commentary by Peter Muench
One need not be a Cassandra to predict a big, new war between Serbs and Albanians in Kosovo for 1999. For war there determines existence and consciousness. It dominates the Albanians' everyday life and thoughts. No faint-hearted mediation from abroad, no treaty on paper was able to change anything about that. In 1998 the Kosovars rebelled against the Serbian oppression they endured for years. They fought, and they paid a high price for it. For two short months beginning in October, relative calm prevailed. But on Christmas, there was shooting again, tanks rolled again, houses burned again.
In Kosovo, peace no longer has a foundation. War has seized upon people's minds. Whoever intended to build a house has laid the plans aside. Without interruption Albanians in foreign countries are sending money for the war of independence, or are themselves signing up for the army. People have interwoven their existence so closely with the war that it has become a natural component of culture and folklore. Last week, applause interrupted the performance at a music festival in Albania's capital, Tirana, whenever the song on stage -- in hip-hop or ballad rhythm -- was about the heroic struggle for national liberation which cost many lives. In the jewelers' displays there are golden amulets with the abbreviation "UCK," of the Kosovo liberation army. "We are all UCK"-- in the year now ending, this sentence has become a familiar citation.
For all that, these troops are not an advertisement for the Albanians. They are scarcely second in brutality to the Serb army or police units. They murder in ambushes, they assassinate reputed collaborators. Using muggings and abductions, they spread fear and terror among the 200, 000 Serbs who live among the barely 2 million Albanians. Moreover, the UCK has made devastating mistakes. When they switched from a guerrilla war to a strategy of making land gains in the summer, they gave the Serbs a pretext for ethnic cleansing. About 300,000 Albanians thus became refugees. Nearly two thirds of them have still not dared to return to their extensively destroyed villages.
But this UCK is the only force from which the Albanians hope for something. The West can only attribute this to itself. For it has not only disappointed the Albanians, it has also deluded them. It offered itself as a mediator. Yet the West one-sidedly concluded the deal with Slobodan Milosevic, with the man who turned the Balkans from Croatia through Bosnia to Kosovo into a conflagration in the Nineties. For days in October, the American Balkan ambassador, Holbrooke, struggled with the Serb leader. Precisely what was agreed upon remains a secret today. Only this message reached the public: Milosevic gave in under the threat of NATO bombardment; he is pulling units of his forces back from Kosovo. To the Albanians went the succinct demand: now agree with the Serbs on the future status of the province. Yet without massive foreign involvement, that is about as unrealistic as resurrecting the war dead.
If we do not help ourselves, nobody will help us -- the Albanians have to draw this lesson from diplomacy's fiasco. In the West, people are all to happy to remain blind to this reality; for example, with the aid of that unarmed OSCE observer mission in Kosovo, which has not to date been brought up to its authorized strength of 2,000 men. Or one yields to illusions and adorns Ibrahim Rugova, the "President" of the Kosovo Albanians and preacher of non-violence, with peace prizes. (in December alone, he received two of them, one the Sakharov prize of the EU parliament). Yet such distinctions do not count in his homeland. Rugova has lost influence to the extent that western solidarity speeches have proven to be mere lip service. Many people consider him a failure, some even as a traitor to the Albanian cause. The UCK alone seems capable of acting.
That is deadly, for the liberation army knows only one goal: Kosovo's independence. And it knows only one means: war. It is doubtful that it will ever reach its goal in light of the superiority of the Serbian combat forces. Yet it will surely employ its means. The most recent escalation is a typical example; it shows the pattern for this war's conduct: The UCK provokes, and the Serbs strike back with all their power. There is a second pattern parallel to that: that of ritualized warnings and threats. From Washington to Bonn, from NATO General Clark to Secretary General Solana, the same words were heard as were two months ago, six months ago, ten months ago.
The war is going in circles in Kosovo. If it now enters a new round, there are only two possibilities. The West will engage in massive intervention, as in Bosnia -- it had 60,000 soldiers there-- to separate the warring parties. Or it will stay out -- and risk a genocide.