http://www.cvizk.de/berichte/berichtapril2001.doc
Informationsstelle der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina
Monatsbericht April 2001
1 - Aktualisierung: Die Behandlung von geistig behinderten Menschen
2 - Aktualisierung: Die wirtschaftliche Lage
3 - Sonstiges
1 - Die Behandlung von geistig behinderten Menschen
a.) Allgemeine Situation:
Seit dem letzten Bericht über die Situation geistig behinderter
Menschen
im Kosovo hat sich nicht viel verändert. Obwohl mittlerweile sogenannte
Nervenheilzentren in den größe-ren Städten eröffnet
worden sind, nützen
diese so lange nichts, wie es weder genügend Psychiater (immer
noch
kommt ein Psychiater auf 100.000 Menschen) noch klinische Psychologen
oder Psychotherapeuten überhaupt gibt.
Deren Ausbildung dauert nun einmal mindestens 4 Jahre. Zudem handelt
es
sich bei den Psychiatern eher um Neurologen.
Patienten mit psychiatrischen Störungen werden von den Allgemeinärzten
grundsätzlich ins Krankenhaus überwiesen; Allgemeinärzte
behandeln keine
Form von psychischen Krankheiten .
Es gibt vier Neuropsychiater in den Distriktkrankenhäusern in Prizren,
Peja/Pec, Gjako-va/Djakovica und Mitrovica. Der letzere ist für
albanische Patienten unerreichbar, da das Krankenhaus sich im
nördlichen, serbischen Teil der Stadt befindet.
In jedem dieser Krankenhäuser befinden sich ungefähr 30 Betten
für
Neurologie und Psychiatrie zusammen. Alle leiden zudem an Mangel an
Material und (ohnehin nicht aus-gebildetem) Pflegepersonal.
Die Haupt- wenn nicht einzigen Instrumente der Ärzte zur Behandlung
von
psychisch kranken Menschen bestehen in Hospitalisierung und
Medikamenten.
Außer in Mitrovica gibt es keine psychische Betreuung für Serben.
Im Moment bestehen noch keinerlei Strukturen für die Rehabilitierung
von
Langzeitpati-enten. Die Kapazitäten sind aus folgenden Gründen
überbeansprucht:
n Langzeitpatienten belegen die wenigen Betten in den Krankenhäusern.
n Die Zahl der durch Streß verursachten psychischen Störungen
ist
erheblich angestie-gen.
Weitere Probleme sind:
n Es gibt keine Privatstrukturen in der Bevölkerung für psychisch
kranke
Personen. So-ziale Dienste leiden unter Geldmangel und sind völlig
veraltet.
n Es gibt keine Strukturen für chronische Patienten, erkrankte
Rückkehrer haben daher enorme Schwierigkeiten, sollte ihre Familie
mit
ihrer Krankheit nicht umgehen können.
n Es sind nur Basismedikamente für psychische Patienten verfügbar
und
auch deren regelmäßige Lieferung kann nicht garantiert werden.
n Es gibt keinerlei psychologische/psychiatrische Behandlungsstrukturen
für Kinder und Jugendliche.
n Es gibt keine effizienten Lernmöglichkeiten für Lernbehinderte
oder
geistig gestörte Kinder.
b.) Die Nervenheilanstalt in Shtime/Shtimlje
Von weitem betrachtet sieht diese Anstalt eigentlich ganz gut aus.
Mehrere Gebäude wer-den umringt von einem großen, wenn auch
verwilderten
Park. Kommt man ein wenig nä-her, ändert sich dieser erste
positive
Eindruck dramatisch. Die Patienten sitzen völlig apathisch im
Gras oder
betteln - in Lumpen gekleidet mit kahlrasierten Köpfen - an dem
hohen
Zaun nach Zigaretten oder Getränken.
Als die Nervenheilanstalt gegründet wurde, sollten dort eigentlich
nur
leicht geistig behin-derte Kinder behandelt werden. Doch als einzige
Anstalt im Kosovo verkam sie bald zur "menschlichen Müllhalde"
(Zitat
Norwegisches Rotes Kreuz). Bei einer Aufnahmekapazi-tät von 100
Patienten leben dort heute 260 Menschen, im Alter zwischen 8 und 86
Jah-ren, von denen 30% psychiatrische Langzeitpatienten, 40% leicht
psychiatrisch gestörte Menschen und der Rest entweder körperlich
Behinderte oder Sozialfälle sind.
Die UNMIK Abteilung für Gesundheit und Sozialfürsorge unterstützt
zusammen mit Experten von WHO, Norwegischem Roten Kreuz, der OSZE und
anderen NGOs einen Aufnahmestop für die Anstalt in Shtime.
Für die 260 Patienten stehen 15 nicht ausgebildete Pfleger/innen
zur
Verfügung. Alles, was diese für die Patienten tun können,
ist, sie zu
füttern und ihre Wäsche zu waschen. Dafür bekommen die
Pfleger 240 DM im
Monat.
Der einzige Mediziner in Shtime ist ein Allgemeinarzt ohne spezifische
Ausbildung für seine Tätigkeit in der Nervenheilanstalt.
Es gibt immer noch 20 Kinder in der Anstalt, wovon eines dort geboren
wurde. Dieses Kind ist sowohl körperlich als auch geistig gesund
auf die
Welt gekommen, doch seine Mutter ist psychisch krank und bei unserem
Besuch zeigte auch das Kind erste Anzei-chen von psychischer Gestörtheit
.
Einige der Kinder sind einfach dort, weil sie keine Eltern mehr haben.
UNICEF plant jedoch, diese Kinder sobald wie möglich aus der Anstalt
herauszubringen, wozu allerdings ausgebildetes Personal, finanzielle
Mittel zum Aufbau eines 'Kinderhau-ses' und die Aufklärung der
Bevölkerung benötigt werden.
Übrig bleiben sollen im Endeffekt nur die 70 schwer geistig Behinderten,
doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Obwohl es genügend Nahrungsmittel für die Anstalt gibt, ist
deren
Qualität nicht sehr überzeugend. Ich war bei der "Fütterung"
der Kinder
dabei. Da niemand es bisher über-nommen hat, das Eßverhalten
der, zum
größten Teil durchaus dazu fähigen, Patienten zu fördern,
bekommen alle
einen undefinierbaren Brei in völlig verbeulten Blechtellern,
der mit
dem einzigen verfügbaren Besteck - einem Blechlöffel - gegessen
wird.
Jeder be-kommt eine Portion aus einem großen Schöpflöffel
aus einer
riesigen Plastikschüssel. Der Speisesaal besteht aus einem kahlem,
winzigen Raum mit einem langen Tisch und kaputten Stühlen.
Das Budget für 2001 für dieses Institut beträgt 350.000
DM. Davon können
nur 80 Pfen-nig pro Tag pro Patient für Essen verwendet werden.
Auch gibt es laut Herrn Froset, einem psychiatrischen Pfleger,
ausreichend Kleidung. Doch für die 260 Menschen gibt es nur zwei
funktionierende Waschmaschinen. Die ge-waschenen "Kleidungsstücke"
(Lumpen ist wohl das angemessenere Wort) lagen in ei-nem großen
Korb und
wir fragten uns, ob es individuelle Kleidungsstücke waren oder
ob sie
eher zufällig verteilt wurden.
Bei den verfügbaren Medikamenten handelt es sich überwiegend
um
Beruhigungsmittel. Anti-Depressiva z.B. gibt es nicht.
Am Eingang der Anstalt steht ein Schild mit den Namen der ungefähr
10
Organisationen, die das Institut seit dem Krieg unterstützt haben.
Die
Fassaden und Badezimmer sind repariert worden. Auf den Böden wurde
ein
so billiger Linoleum gelegt, daß er schon nach einem Jahr wieder
entfernt werden muß. Auch das Dach und die Fenster und Türen
müßten
erneuert werden, aber die einzige Organisation, die noch dort arbeitet,
ist das Norwegische Rote Kreuz, deren Mittel erschöpft sind und
die nur
noch eine überwachen-de Funktion haben.
In einem der Kinderzimmer - es liegen bis zu 8 Menschen in einem Zimmer
- dessen Tür auf einen Balkon geht, ist eine Spalte zwischen Tür
und
Rahmen von 10 cm. Was das im Winter bedeutet, kann man sich ausmalen
Die Zimmer sind klein, kahl, mit schmalen Feldbetten und uralter,
fleckiger, dünner Bett-wäsche. Es gibt keine Schränke,
keinen
persönlichen Besitz.
12 Patienten teilen sich eine Dusche. Vor den Toiletten sind keine
Türen, es gibt kein Toilettenpapier. In den Badezimmern ist weder
Seife
noch Handtücher.
Herr Froset bestätigt, daß es diese Dinge wohl gibt, aber
daß die
Patienten zu weit ver-nachlässigt sind, um danach zu fragen und
das
Personal kein Interesse, Zeit und Ausbil-dung für die Hygiene
der
Menschen hat. Die Badezimmer sehen rundweg unbenutzt aus.
Herr Froset tut sein Bestes, um Aktivitäten zu fördern. So
gibt es einen
Maler und Musik, aber obwohl es z.B. Spielzeug gibt, ist davon nichts
zu
sehen. Das Personal zeigt keiner-lei Motivation für therapeutische
Aktivitäten.
Die meisten der Patienten drücken sich nur durch undefinierbaren
Laute
aus. Würden sie mehr gefördert, könnte vermutlich wenigstens
die Hälfte
von ihnen normal sprechen.
Ein positiver Punkt muß allerdings vermerkt werden: In Shtime
halten
sich Patienten aller ethnischen Gruppen auf. Das Personal scheint jedoch
alle gleich zu behandeln.
Die mittelalterlichen Zustände in der Nervenheilanstalt von
Shtime/Shtimlje werden sehr viel Zeit, Geld und vor allem Ausbildung
von
Personal benötigen, um sich zu ändern.
Sie zeigen jedenfalls deutlich, daß es menschlich völlig
unzumutbar ist,
heute schon gei-stig behinderte Menschen in die Provinz Kosovo zurück
zu
schicken.
2 - Die wirtschaftliche Situation
Der dominanteste Hinderungsgrund für den Wiederaufbau und
das Entstehen
einer dem einundzwanzigsten Jahrhundert gemäßen marktwirtschaftlichen
Demokratie im Kosovo besteht in der ungeklärten Frage des politischen
Status.
Es ist vorwiegend dieses Problem, daß ausländische Firmen
daran hindert,
im Kosovo zu investieren, wenn es auch bei weitem nicht das einzige
ist.
Eine Grundbedingung für Fremdinvestitionen ist ein hoher Grad
an
Sicherheit. Und nicht nur ein Sicherheitssystem gegen Verbrechen, Gewalt
oder Aufstände, sondern ein funktionierendes Rechtssystem.
Seine landumschlossene Lage, die fehlende Handelsroute nach Albanien
und
sehr be-grenzte natürliche Rohstoffe machen den Kosovo abhängig
vom
Handel mit Serbien, der aus bekannten Gründen bisher vor allem
vorwiegend in der Illegalität stattfindet.
Die Parallelgesellschaft und der Konflikt verwischten langsam die
Konturen zwischen Pa-trioten und Kriminellen, was das Fehlen eines
echten legalen Rahmen nur unterstreicht.
Solange die UNMIK Verwaltung es nicht leichter und profitabler macht,
legale Geschäfte zu machen, besteht die Gefahr, daß diese
kriminellen
Elemente die Wirtschaft des Koso-vo ganz übernehmen.
Es sind aber nicht nur äußere Faktoren, die den wirtschaftlichen
Aufschwung erschwe-ren, sondern auch kultur- und geschichtsbedingte
Gründe:
n Ein aus dem sozialistischen System entstandener Mangel an Motivation,
Verantwor-tungsbereitschaft, Innovationsfreude und - vor allem - das
Fehlen einer wirtschaftlichen und politischen Langzeitvision .
n Der unerschütterliche unzeitgemäße Glaube hauptsächlich
der ruralen
Bevölkerung, daß Großfamilien die Antwort auf die
wirtschaftliche
Situation seien. Dieser Glaube hat natürlich auch politische
Hintergründe. Eine zahlenmäßig große Bevölkerung
wird im-mer noch als
Schlüsselfaktor zu politischem Einfluß und Unabhängigkeit
gesehen. Auf
Dauer jedoch wird dadurch ein enormer Druck auf die Gesellschaft durch
Resourcen-mangel entstehen.
n Ein enormer Mangel an ausgebildeten Kräften, vor allem im
Managementbereich, Buchhaltung, Verwaltung, Personalfragen,
strategischen Planen und Firmendirektion mit eingeschlossen. Selbst
technische Talente haben häufig ein völlig veraltetes Wis-sen.
n Die Ausbildung von Mädchen und Frauen geht meist nicht über
die
Grundschule hin-aus.
Nach Gesprächen mit einigen Wirtschaftsexperten entstand
folgendes Bild
der wirt-schaftlichen Zukunft des Kosovo:
- Der Kosovo wird weiterhin von den Geldern der Diaspora im Westen
abhängig sein. Ausgebildete Arbeitskräfte sind sein einzig
ertragreiches
Exportgut.
- Die Landwirtschaft wird bald in der Lage sein, die
Nahrungsmittelimporte zu reduzieren und damit die Lebenshaltungskosten
verringern, die derzeit auf der Höhe Deutschlands liegen. Voraussetzung
dafür ist ein Schutz des Binnenmarktes vor billigen Importen aus
subventionierten Überschußproduktionen des Westens.
- Es wird eine leichte Industrie entstehen, die auf dem Prinzip von
privatisierten Staatsbe-trieben basiert.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
a.) Landwirtschaft
Die internationale Gemeinschaft hat in den letzten 2 Jahren sehr viel
in
die Landwirtschaft investiert und so sieht die Lage denn auch relativ
gut aus. Laut Paul Weber von der GTZ kommen die ersten Produkte wie
Milchprodukte, Obst, usw. in diesem Jahr erstmals auf den einheimischen
Markt, womit endlich Importe aus Mazedonien und damit Preise redu-ziert
werden könnten.
Allerdings ist der Einfuhrzoll für Produkte aus FYROM immer noch
so
niedrig (1% im Ge-gensatz zu 10% aus anderen Ländern), daß
es sich für
die albanischen Kleinbauern fast nicht lohnt, ihre Waren hier
anzubieten. Auch aus Serbien kommen - illegal -viele billige Waren.
Das Problem des fehlenden Marktschutzes und der damit verbundenen
Überschwem-mung des Landes mit Billigprodukten aus anderen Ländern
behindern die Entwicklung der Landwirtschaft sehr.
Auch für die Landwirtschaft sind die fehlende Bewegungsfreiheit
und die
Infrastrukturpro-bleme sehr kontraproduktiv. Nicht nur kann man mit
den
von UNMIK ausgestellten koso-varischen Kennzeichen nicht nach Mazedonien
fahren, sondern es gibt auch noch keine wirkliche Rahmenplanung für
Bahntransporte oder die Wiederherstellung der Handels-route
Belgrad-Pristina-Skopje.
Traditionsgemäß teilen Albaner ihr Land zwischen den Söhnen
auf. Dadurch
entstanden viele kleine, wirtschaftlich unrentable Landparzellen.
Daneben existieren im Kosovo auch noch heruntergekommene und
brachliegende sozialistische Megabetriebe, für die eben-falls
keine
Zukunft gegeben ist. Die Entwicklung von den kleinflächigen Strukturen
hin zu rentablen Großbetrieben mit an europäischen Standard
angepaßte
Qualität wird wohl noch an die 10 bis 15 Jahre dauern.
Ein weiteres Problem stellen die so nötig gebrauchten Mikrokredite
dar,
deren Rückzah-lung für die meisten Kleinbauern unmöglich
ist.
Auch in der Landwirtschaft macht sich die Lethargie des sozialistischen
Systems be-merkbar. Es besteht kein wirkliches Interesse an
Produktionsverarbeitung, keine Innovati-onsmentalität, kein Marketing
Flair.
Die bestehenden regionalen Landwirtschaftsschulen sind schlecht, eine
technisch-landwirtschaftliche Ausbildung gibt es nicht. Nur an der
Universität in Pristina gibt es ein landwirtschaftliches Studium,
wo die
Lehrmethoden so veraltet wie in allen Studiengängen sind.
Durch die schon öfter beschriebene abschottende Familien- im Gegensatz
zur Kollektiv-gesellschaft sind die kosovarischen Albaner auch nicht
an
weitaus rentableren Kooperati-ven interessiert. Das Mißtrauen
dem
Nachbar gegenüber überwiegt bei weitem rationales Denken.
Auch das System einiger internationaler Organisationen, daß ein
Bauer,
der eine Kuh be-kommen hat, das Kalb seinem Nachbarn oder Bruder geben
muß, funktioniert aufgrund dieses Denkens häufig nicht.
Aus vielen verständlichen Gründen sind die jungen Männer
nicht an
Landwirtschaft inter-essiert. Da die Frauen meist für das Vieh
verantwortlich ist, verkaufen viele Frauen ihre Kühe, weil sie
ohne die
Hilfe der Männer damit nicht zurechtkommen.
Trotzdem dieser Probleme sieht Herr Weber die nahe wirtschaftliche
Zukunft (zumindest, was die Selbstversorgung angeht) des Kosovo eher
in
der Landwirtschaft als in der Indu-strie, die viel zu stark von
Staatsgrenzen und Infrastruktur abhängt.
b.) Das Rechtssystem und der Einfluß der Politik
Ein prinzipielles Verhaltensmuster der Familienstrukturen war die
Umgehung der Behör-den. Diese Haltung hat natürlich negative
Auswirkungen auf das Einziehen von Steuern, das Zahlen von Strom,
Wasser, usw., das legale Management von Firmen und eine effizi-ente
nicht-korrupte öffentliche Verwaltung.
Immer noch fehlen folgende kommerziellen Gesetze, die für die
wirtschaftliche Entwick-lung von entscheidender Wichtigkeit sind :
n Konkursverfahren
n Hypotheken
n Transformation von Staatsbetrieben
n die Registrierung von Besitz- oder anderen Ansprüchen
n Buchhaltung
n Versicherungen
n Banken
n ...
Laut dem Vize-Präsidenten der kosovarischen Handelskammer Mustafe
Ibrahimi sind die bestehenden Gesetze von UNMIK der Wirtschaftsstruktur
des Landes nicht angepaßt. Schon diese Aussage zeigt, daß
nicht nur
praktische Probleme, sondern vor allem die philosophischen
Meinungsverschiedenheiten der Einheimischen versus UNMIK die
Ent-wicklung verzögern.
Dennoch bestätigt auch Herr Ibrahimi, daß sich die Mentalität
seines
Volkes ändern muß. Die Tatsache, daß immer noch viele
Menschen, sogar
Firmenbesitzer, ihr Geld lieber un-ter der Matratze verstecken, als
auf
der Bank zu deponieren, nimmt den mittlerweile drei Banken viel
Spielraum. Durch den fehlenden Rückfluß des Geldes
an die Banken wird
deren Kapitalbildung und damit die Vergabe von Krediten erschwert und
Investitionen ver-hindert.
Die Weltbank und die EU kofinanzieren zwar ein Kreditprogramm, doch
die
Zinshöhe be-trägt 15 bis 18 % und eine maximale Rückzahlperiode
von 3
Jahren.
Die Abwesenheit eines strukturierten Bank- und Kreditsystems mit mehr
Konkurrenz stellt ein ernstes Handicap für die wirtschaftliche
Entwicklung dar.
Zu diesen Faktoren kommt noch erschweren hinzu, daß keine ausreichenden
finanziellen Mittel für das Rechtssystem, die Polizei, die Ausbildung
von Personal im öffentlichen Dienst und das Bildungssystem vorhanden
sind.
Nach dem Krieg übernahmen viele ehemalige UCK-Kämpfer einen
großen Teil
der staatli-chen Unternehmen. Wenn auch nicht alle, so sind doch einige
dieser "Besitzer" an nicht ganz legalen Geschäften beteiligt.
Auch heute noch sind sie häufig durch grenzüberschreitende
Verbindungen
und paralle-len Handelssystemen besser organisiert und plaziert als
legale Unternehmen.
Die Profite dieser Unternehmen gehen in die Hände der "Eigentümer"
und
politische Akti-vitäten, und nicht in die Staatskasse, wie man
bei
staatseigenen Unternehmen erwarten sollte.
c.) Die offizielle Arbeitnehmersituation
Laut dem Statistischen Institut Kosovo (März 2001) werden von den
29,581
registrierten Firmen 130.476 Arbeiter beschäftigt. Dies sind (laut
Kosovo Handelskammer) 8% der aktiven Bevölkerung.
RIINVEST, ein kosovarisches Forschungsinstitut, schrieb im März
2001,
daß zwar 86% der Firmen wieder arbeiten, aber nur zu 30% ihrer
Vorkriegskapazität.
Mangel an Geldern, eine nicht konkurrenzfähige Technologie, Schäden
durch schlechtes Management und durch den Konflikt sowie der nicht
geklärte politische Status des Koso-vo schränken die Expansion
ein.
Bei dem Zentrum für Arbeit (Qendra per Pune) handelt es sich nicht
um
eine Art Arbeits-amt, wie der Name vermuten läßt, sondern
vor allem um
eine Anlaufstelle für Arbeitslose, um Sozialfälle zu ermitteln.
Die
meisten Arbeitslosen melden sich erst gar nicht, sondern versuchen
irgendwie, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Gemeldet haben sich in Pristina um die 50.000, von denen die Hälfte
völlig unqualifiziert ist.
d.) Informelle Wirtschaft
Die Zollbehörde hat bis jetzt das größte Einkommen in
die Staatskasse
gebracht, auch wenn ihre Angestellten ständigen Drohungen und
Gewalt
ausgesetzt sind.
Immerhin werden jetzt ungefähr 70% der Zölle für Treibstoff
eingenommen,
doch verlor der Kosovo bis zur kürzlichen Einrichtung von Zollpunkten
an
der serbischen Grenzlinie bis zu 1,5 Mill. DM pro Woche nur an
Zigaretteneinfuhren.
Das Widerstreben von Händlern, Zölle und Steuern zu bezahlen,
liegt auch
daran, daß sie zusätzlich "Spenden" an die ehemalige UCK
und deren
zivilen Nachfolger, den Kosovo Protection Corps (KPC) und Kriminelle
zahlen müssen. Ein Ignorieren dieser "Bitte" liegt nicht im Interesse
der Händler...Diese Spenden belaufen sich laut informeller Quellen
zwischen 300 und 3000 DM pro Monat pro Unternehmen.
Unbeantwortet bleibt die Frage, was mit diesem Geld geschieht, in die
Staatskasse oder die Infrastruktur fließt es jedenfalls nicht.
Die finanziellen Mittel für den boomenden Wiederaufbau der letzten
eineinhalb Jahre stammten meist aus Geldern der Diaspora. An den vielen
unfertigen Häusern sieht man deutlich, daß diese Quellen
zum größten
Teil am versiegen sind.
Ohne diese informellen Wirtschaftszweige, wie das Verkaufen von
Zigaretten und der Geldtausch (Dollar-DM) auf der Straße zum
Beispiel,
wären viele Familien nicht überle-bensfähig. Viele Rückkehrer
schlagen
sich mit Minibussen durch, die sie in Deutschland gekauft haben und
mit
denen ein effizientes öffentliches Transportnetz aufgebaut worden
ist.
Dies will UNMIK jetzt jedoch drastisch reduzieren.
Irgendwie an Geld zu kommen ist derzeit die wichtigste Antriebsfeder
im
Kosovo. Der unter serbischer Verwaltung parallele und nicht ganz legale
Handel wird im Zeichen der Armut weitergeführt und ausgebaut.
So muß man
heutzutage oft bis zu 1.000 DM an öf-fentliche Angestellte zahlen,
um
einen Paß zu erhalten oder auf die Liste für den Polizei-dienst
zu
kommen.
Wie schon vorher erwähnt, ist es dringend notwendig, Legalität
schmackhafter zu gestal-ten, damit die illegalen Praktiken und clevere
Nachkriegsgewinnler nicht die gesamte Wirtschaft der Zukunft gestalten.
e.) Die Trepca-Minen
Seit jeher ein Mythos in der albanischen Bevölkerung, sind die
Minen in
der Realität ge-nau das Gegenteil. Es gibt weder Gold und Silber
in
größeren Mengen, noch ist ein Großteil dieser Minen
überhaupt rentabel.
Ohne Investition von 200 Mill. US$ können die meisten der Minen
nicht
wieder zum Leben erweckt werden.
Zudem wird nur ein Bruchteil der Vorkriegsarbeiter wieder eingestellt
werden können.
Auch hier verhindern ungeklärte Besitzansprüche, mangelnde
Sicherheit
und die politi-sche Lage Investitionen.
f.) Privatisierung
Dieses Langzeitprogramm der UNMIK soll dem Problem der ungeklärten
Besitzansprü-che entgegenwirken. Demnach sollen kleine und mittlere
Staatsbetriebe in GmbHs ver-wandelt werden. Dabei sollen 70% des Wertes
der Einzelbetriebe an die Angestellten übereignet werden und 30%
im
Besitz des Staates verbleiben. Investoren können Anteile von den
Angestellten erwerben.
Weiterhin können Investoren in bereits bestehende Unternehmen so
viel
investieren, daß sie wieder in Gang kommen und einen Vertrag
auf 10
Jahre für die Erträge bekommen. Diese zeitlich befristete
Art von
Verträgen birgt die Gefahr in sich, daß die Firmen über
10 Jahre hinweg
ausgeblutet werden.
g.) Schlußfolgerung
Auf der positiven Seite ist sicher zu vermerken, daß die Kosovaren
trotz
Sozialismus ein wirtschaftlich sehr aktives Volk sind, das sich eher
am
Westen orientiert als rückwärts schaut.
Trotzdem fehlt Weitblick. Das Forschungsinstitut RIINVEST spricht zwar
von großen Strategien, die aber laut dem Finanzexperten Ron Ashkin
von
USAID ohne Langzeitvision zu nichts führen. Seiner, zugegebenermaßen
sehr negativen, Meinung nach hat der Ko-sovo Aussicht, ein zweiter
Gazastreifen zu werden: Völlig überbevölkert, gewalttätig
und ohne
wirtschaftliche Perspektive.
Um eine rentable Wirtschaft zu erreichen, muß sich die
"Teppichhändlermentalität" (Ashkin) drastisch ändern.
Es gibt Tausende
von Geschäften und privaten Firmen mit 1 bis 2 Angestellte, die
immer
einer Familie angehören. Über 700 Tankstellen verunstalten
dieses
winzige Land . Anstatt in einem Gewinn-Gewinn-System zu kooperieren,
herrscht immer noch ein Ich-gewinne-du-verlierst-Denken.
An-der-Wand-Lauschen und Schmug-geln sind akzeptierte Aktivitäten.
Die "Seifenblasenökonomie", kreiert von Spendern, der internationalen
Präsenz und den Geldern der Diaspora wird bald platzen und einen
halbfertigen Aufbau hinterlassen.
USAID berät einheimische Unternehmer. Die Nahrungsmittel-und
Getränkeindustrie bie-ten gute Investitionssektoren, doch das
Vermarktungssystem funktioniert noch nicht. Auch in der
Produktionsverarbeitung liegt ein großes Potential.
Im Bausektor liegt Ashkin's Meinung nach keine Zukunft. Baufirmen
schießen aus dem Boden, wie kleine Geschäfte, jeder macht
dasselbe ohne
an Morgen zu denken.
Zusätzlich zu den praktischen Problemen ist ein Umdenken hin zu
gegenseitigem Ver-trauen und Zusammenarbeit ein Faktor, der für
den
Aufschwung dieser Gesellschaft un-erläßlich ist.
Auch Ron Ashkin, wie alle anderen, mit denen ich sprach, ist der
Meinung, daß zu schnelle Rückkehr aus dem Westen die ohnehin
kaum
funktionierende Wirtschaft, die vor allem die Gelder der Diaspora über
Wasser hält, zum Einsturz bringen wird.
3 - Sonstiges
a.) Familienzusammenführung
Vor kurzem erreichte uns eine Anfrage, in der es um die
Familienzusammenführung einer kosovarischen Familie in Deutschland
ging.
Nach vielem Telefonieren fanden wir heraus, daß es keine Organisation
im
Kosovo gibt, die sich um solche Fälle kümmert. Kinder, die
ihren Eltern
nach Deutschland folgen wollen, bekommen noch keine UNMIK Pässe!
Die
Registrierung von Kindern ist für den Herbst diesen Jahres vorgesehen.
Sie können je-doch jugoslawische Pässe bei dem Büro
in Pristina
beantragen, das wieder geöffnet hat. Die Frage des Visums muß
mit den
deutschen Behörden geklärt werden.
b.) Dokumente für Albaner mit Wohnsitz im Ausland
Ein in Deutschland lebender Albaner, der dort heiraten möchte und
keinen
Paß besitzt, fragte uns, wie und wo er ihn bekommen könne.
Es stellte
sich heraus, daß kosovarische Albaner, die nicht hier registriert
sind
und nicht vorhaben, den Kosovo zu ihrem ersten Wohnsitz zu machen,
keinen Anspruch auf einen UNMIK-Paß haben.
Anscheinend befindet sich UNMIK dabei, diese Frage zu klären,
doch im
Moment sieht die Situation noch so aus, daß diese Leute sich
nur einen
jugoslawischen Paß besorgen können.
Pristina, den 15.Mai 2001
Christina Kaiser
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