Homepage    |  Inhaltsverzeichnis - Contents

Betreff: [Kosova-Info-Line] Monatsbericht Juli 2001 der Informationsstelle der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina
Datum: Mon, 27 Aug 2001 18:19:07 +0200
Von: Wolfgang Plarre <wplarre@bndlg.de>
An: Kosova-Info-Line-LISTE <liste@kosova-info-line.de>

Quelle: http://www.cvizk.de/berichte/berichtjul2001.pdf
[ Anmerkung: Fußnoten des Originals wurden in den Text eingearbeitet. ]

Informationsstelle der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina

Monatsbericht Juli 2001

1 - Allgemeines
2 - Einzelanfragen
    a) Dokumente
    b) Schwere Krankheitsfälle
    c) Ausländische Ehepartner
3 - Rückführung von Minderheiten
4 - Sozialhilfe
5 - Sonstiges

1 - Allgemeines

Noch immer herrscht ein "Sommerloch" im Kosovo, d.h. daß sehr viele
Internationale im Urlaub sind und es sehr ruhig ist.
Temperaturen um die 37 Grad und eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit,
tägliche Strom- und Wasserausfälle von bis zu 9 Stunden reduzieren
jegliche Energie erheblich. Auch Aggressionen, zumindest ethnisch
motivierte, haben nachgelassen. Doch auch wenn Morde im Moment nicht
häufig berichtet werden, so dauern doch verbale Drohungen - vor allem
mit dem Ziel die Rückkehr von Minderheiten zu verhindern - an.

Die allgemeine Kriminalität allerdings steigt weiterhin an. Es gibt
mehrere Gruppen, die sich auf den Einbruch in kleine Geschäfte und die
Wohnungen, vornehmlich ausländischer Bewohner spezialisiert haben.
Auch politisch motivierte Verbrechen mit Bomben und Granaten, vor allem
gegen Parteimitglieder der beiden größten Parteien, mehren sich

Die sich verschlimmernde Situation im benachbarten Mazedonien hat bisher
keine nennenswerten Auswirkungen auf die Stimmung im Kosovo. Auch die
Flüchtlingsströme haben sich stabilisiert. Es befinden sich derzeit noch
ungefähr 50.000 Flüchtlinge im Kosovo und die Zahlen sind eher
rückläufig. Nach den letzten Ereignissen jedoch könnte sich dies bald
wieder ändern.

2 - Einzelanfragen

Die größte Aufgabe der Infostelle in den letzten beiden Monaten (nachdem
die "Tätigkeit" des im letzten Bericht erwähnten Betrügers
glücklicherweise aufgehört hat) besteht vor allem im Beantworten
unzähliger Einzelanfragen.
An erster Stelle stehen Fragen nach dem Gesundheitswesen und
Medikamenten (das Kongofieber scheint sich laut WHO nicht weiter
auszubreiten) und nach Dokumenten.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen, daß bei
Anfragen nach hier vorhandenen Medikamenten die Inhaltsstoffe angegeben
werden müssen, da Markennamen von Land zu Land unterschiedlich sind.

a) Dokumente

Es gibt sehr viele Albaner/innen, die in Deutschland zum zweiten Mal
heiraten möchten und dazu Dokumente aus dem Kosovo benötigen.
In mehreren Fällen übernahmen wir die Beschaffung dieser Unterlagen,
denn wenn ein im Ausland lebender Kosovare hier keine Verwandten oder
Freunde mehr hat, ist die einzige Möglichkeit, an die Dokumente
heranzukommen, eigentlich ein Anwalt.
Direkter brieflicher Kontakt mit UNMIK ist nicht möglich!

Hier im Einzelnen die Schritte für die Beschaffung folgernder Dokumente:

Wenn ein/e Albaner/in, in Deutschland ansässig, erneut heiraten möchte,
braucht er/ sie folgende Unterlagen aus dem Kosovo:

Ein deutsches Scheidungsurteil muß hier vom Distriktgericht anerkannt
werden.
Dazu werden benötigt:

- Das deutsche Scheidungsurteil in Deutsch und Albanisch
- Eine schriftliche Anfage für die Anerkennung dieses Scheidungsurteils
- Eine Bevollmächtigung für die Person, die diese Unterlagen hier
besorgt
- 80,- DM

Für die Ledigkeitsbescheinigung von UNMIK benötigt man:

- die Ehebescheinigung der ersten in Jugoslawien geschiedenen Ehe beider
Partner von UNMIK
- das Scheidungsurteil der ersten Ehe
- eine notariell beglaubigte Zeugenaussage (2 Zeugen) als Photokopie und
das Original
- eine Photokopie des Passes (kann auch ein abgelaufener jugoslawischer
sein)
- Geburtsurkunde

Achtung:
Scheidungsurteile von vor 1991 befinden sich mittlerweile in Serbien und
sind von hier aus nicht zugänglich!
 

b) Schwere Krankheitsfälle

Vor einer Woche trat Naim Bardhiqi, der stellvertretende Kommandeur des
40sten medizinischen Bataillons der TMK (entwaffnete ehemalige UCK, die
jetzt als eine Art Technisches Hilfswerk fungiert) an uns heran. Obwohl
dieses Bataillon eigentlich für die medizinische Versorgung ihrer
eigenen Leute zuständig ist, wendet man sich in unlösbaren Fällen an sie
und die TMK sich wiederum an uns, da alle anderen eventuell in Frage
kommenden Organisationen sie am Telefon abgewimmelt haben.
Naim Bardhiqi hat derzeit auf seinem Schreibtisch 84 Fälle von
überwiegend krebskranken Menschen, die hier nicht behandelt werden
können. Bisher haben nur das Rote Kreuz Lombardia und eine türkische
Organisation Fälle übernommen.

Als ein Beispiel schilderte uns Herr Bardhiqi folgenden Fall:
Es handelte sich dabei um einen 17-jährigen Jungen, der Lungenkrebs hat,
der aber laut Dr. Vuori und Dr. Reinicke von der
Weltgesundheitsorganisation durchaus im Westen behandelt werden könnte.
Es ist jedoch sehr schwierig von hier aus Spender oder ein Krankenhaus
in Deutschland zu finden, daß die Behandlung kostenlos oder billiger
vornehmen würde.
 

c) Ausländische Ehepartner

Ein weiteres Beispiel für die an uns gerichteten Anfragen handelt von
einem Ehepaar mit kleinen Kindern, bei dem er Kosovar und die Ehefrau
Afghanin ist. Der Mann muß Deutschland verlassen und die deutschen
Behörden befanden, daß das Ehepaar genauso gut im Kosovo wie in
Deutschland zusammenleben kann.
Dies ist ein außergewöhnlicher Fall, der aber sicher nicht der letzte
dieser Kategorie sein wird.
Grundsätzlich wäre eine Einreise dieser Frau hierher nicht nur rechtlich
und wirtschaftlich, sondern vor allem menschlich gesehen eine
Katastrophe.
Da nicht einmal gebürtige Kosovaren, die im Ausland leben, Anrecht auf
einen UNMIK Ausweis haben und sie sich nur für die Wahlen registrieren
lassen können, gibt es für diese Frau natürlich keinerlei Möglichkeit,
hier einen legalen Status zu erreichen.
Sozialleistungen gibt es außer einer winzigen Sozialhilfe (immer noch
120 DM Maximum pro Familie pro Monat) keine.
Wie aus früheren Berichten entnommen werden kann, werden Rückkehrer hier
nicht besonders gut angesehen und Frauen, vor allem in ländlichen
Gebieten, haben meist noch schwerer. Eine Ausländerin aber, die weder
die hiesige Sprache spricht, noch die Kultur oder Mentalität kennt,
würde (laut Aussage meines albanischen Kollegen) niemals integriert
werden. Ihre Kinder würden von der Familie des Mannes auf Albanisch
erzogen, Mitspracherecht von ihrer Seite wäre sicher nicht zu erwarten.
 

3 - Rückführung von Minderheiten

Seit letztem Jahr bemüht sich die UNMIK-Übergangsregierung, die
Voraussetzungen für die Rückkehr von Minderheiten, die laut der UN
Resolution 1244 gefordert wird, zu schaffen.
Für eine organisierte Rückführung von Serben und Roma ist es auch jetzt
noch viel zu früh, d.h. zu gefährlich, aber eine sogenannte spontane
Rückkehr von 45 serbischen Familien, die derzeit als Intern Vertriebene
in Serbien leben, wird momentan Vorbereitet (1  Details aus dem
"Framework for Returns 2001")
.
Es gibt 3 Komitees, die für die Planung zuständig sind:

1. Das 'Joint Committee on Return' auf der politischen Ebene vereint den
Chef der UNMIK Regierung Hans Haekkerup, den obersten Kommandanten von
KFOR, den Special Envoy von UNHCR Eric Morris, das UN Mine Action
Co-ordination Centre, politische Parteien aus Serbien und dem Kosovo,
und - seit Juni diesen Jahres - auch Vertreter der albanischen Parteien.

2. Das sogenannte 'Steering Committee', das dem oben genannten
untergeordnet ist und nur Vertreter des Kosovos umfaßt und

3. Die regionalen und lokalen Arbeitsgruppen, auf Bataillons- und
Brigadenebene, wobei auch lokale Organisationen und Gemeinden beteiligt
sind und die die praktische Seite des Problems angehen.
Seit die albanische politische Seite ein Abkommen zur Befürwortung der
Rückkehr von Serben unterschrieben haben, hat die letztgenannte Gruppe
einen Aktionsplan kreiert.

All dies hört sich theoretisch sehr positiv an, doch sieht die Realität
ein wenig anders aus:
Sofort nachdem die albanischen Politiker dieses Abkommen unter dem Druck
der Internationalen unterzeichnet hatten, dementierten sie es öffentlich
in den lokalen Medien. Es darf nicht vergessen werden, daß im November
Wahlen sind und die Unterstützung zur Rückführung von Serben einer
Partei sicherlich nicht zum Wahlsieg verhelfen wird - im Gegenteil. Auch
wenn die Gewalt gegen Minderheiten momentan nachgelassen hat, so nicht
der schwelende Haß, der noch Jahrzehnte andauern wird. Zusätzlich schürt
die Haltung der slawischen Parteien in Mazedonien den Glauben an die
panslawische Verschwörung gegen Albaner.

Aber erst einmal zurück zur geplanten spontanen Rückkehr (ein
Widerspruch in sich, denn ohne strikte Sicherheitsvorkehrungen und
Wiederaufbau wäre diese Rückkehr völlig unmöglich).

Die regionalen und lokalen Arbeitsgruppen schaffen demnach die
Bedingungen wie Wiederaufbau, Minenräumung, Nahrungsmittelhilfe, usw..
KFOR ist für die Sicherheit zuständig.

Die ursprünglich 25 vorgeschlagenen sicheren Zonen reduzierten sich
schließlich auf 10. Die von den Gruppen erwählten "Sicherheitszonen" (2
Action Plan for Return to Selected Framework Locations (Results of
Action Planning Exercise conducted by Regional and Local Working Groups
on return) werden aus Diskretionsgründen nicht veröffentlicht.

Eigentlich sollte die Schaffung von neuen Enklaven vermieden werden,
theoretisch lobenswert, praktisch aber nicht durchführbar.

Zunächst meldeten sich 45 serbische Freiwillige. Sie werden in das Dorf
Osojane zurückkehren. Dieses Dorf, vormals fast rein serbisch bewohnt,
ist heute vollkommen zerstört. Nur die Familienväter werden während des
Wiederaufbaus dort sein, ihre Familien bleiben solange in Serbien. Eine
internationale Hilfsorganisation hat angefangen,
Zelte für diese Menschen aufzustellen und wird das Baumaterial stellen
und technische Hilfe beim Aufbau leisten.

Für mehr Familien reichen die finanziellen Mittel von UNMIK in diesem
Jahr nicht.
Offensichtlich versucht man, diese Rückkehr nicht an die große
Medienglocke zu hängen (3  Interview mit dem Verbindungsoffizier
zwischen KFOR und UNHCR Capitaine Guido Guidi am 7. August 2001).

Nachdem sich all dies doch sehr gut anhört, beschloß ich, mir die Sache
vor Ort selbst anzusehen und die albanischen Nachbarn nach ihrer Meinung
zu fragen.

Ungefähr 10 km hinter Klina auf dem Weg nach Osojane werden die
Straßenverhältnisse denkbar schlecht. 20 km rund um das Dorf herum sind
alle Häuser komplett zerstört. Eine Geisterlandschaft - deshalb also
"sicher". Einen kleinen Laden fanden wir aber doch. Die Besitzerin
reagierte mit purem Haß. Alle Häuser rund um Osojane - albanische und
Ashkali Häuser - wurden nach ihrer Aussage von Serben zerstört. Alleine
in ihrer Familie seien fast alle Männer im Krieg getötet worden. Sie war
völlig entsetzt über die Rückkehr der Serben, genau wie ihre (allerdings
wenige) Nachbarn, die leider zum Zeitpunkt ihrer Befragung nicht zu
Hause waren. Auf die Frage, ob sie Schwierigkeiten erwarte, lächelte sie
nur.

Nach ein paar Kilometern durch wildes Land kamen wir an einen spanischen
KFOR Checkpoint. Dort war unsere Reise zu Ende, denn ohne 48 stündige
Voranmeldung, wie uns der Captain höflich mitteilte, dürfe er niemanden
durchlassen.

Das also nennt man eine sichere Zone für serbische Rückkehrer. Sicher
kommt niemand ihnen zu nahe, aber genauso sicher kommen sie dort nicht
heraus. Alle anderen Enklaven sind dagegen ein Paradies der
Bewegungsfreiheit.

Soviel zum Thema Minderheitenrückkehr.

Eine positive Entwicklung gibt es aber doch. Ein vorangegangener Bericht
informierte über den oft-nicht-sehr-freiwilligen-Verkauf serbischer
Häuser an Albaner. Dies soll jetzt durch eine UNMIK Regulierung
unterbunden, bzw. eingeschränkt werden.

Auch für albanische Minderheiten in serbischen Mehrheitsgebieten gibt es
jetzt Plexiglas- gesicherte Busfahrten von Zvecan nach Süd-Mitrovica.
KFOR fehlt jedoch die Kapazität, diesen Bussen Geleit zu geben.
 

4 - Sozialhilfe

Bisher erhalten 54,037 Familien (192,832 Personen) Sozialhilfe (4 Kosovo
Humanitarian Update, 24 July 2001, No. 38). Das Department für
Gesundheit und Soziales gibt aber zu, daß einige der Kriterien für den
Empfang dieser Hilfe so hoch angesetzt sind, daß dadurch viele sehr arme
Familien ausgeschlossen sind. So z.B. die Bedingung, daß eine Familie
der Kategorie 2 (kein Einkommen und kein arbeitsfähiges
Familienmitglied) mindestens ein Kind unter 5 Jahren haben muß. Dieses
Kriterium ist weit hergeholt und führt zur totalen Armut vieler
Familien.
Eine andere Bedingung besagt, daß eine Familie, die 0,5 ha Land besitzt,
von dem Empfang von Sozialhilfe ausgeschlossen ist. Die Qualität des
Landes wird allerdings nicht überprüft.
Die Weltbank und DFID (Britisches Department für Internationale
Entwicklung) haben einen Bericht zusammengestellt, der Empfehlungen für
den sozialen Schutz der Menschen im Kosovo durch UNMIK in den nächsten 5
Jahren gibt. Der Bericht heißt "A Strategy for Social Protection in
Kosovo" (5 erhältlich bei Catherine Lowery oder Julia Sandersley,
aah.pristina@wfp.org).
 

5 - Sonstiges

Falls noch nicht bekannt, dürfen Flüchtlinge bzw. Asylanten aus dem
Gebiet der Republik Jugoslawien, die ein deutsches Reisedokument
besitzen, mit dem sie bisher überall hin reisen durften, außer in ihr
Herkunftsland, künftig auch in den Kosovo bzw. in das Gebiet der
Republik Jugoslawien reisen.

Ein praktischer Tip

für alle, die in den Kosovo reisen und kein Bargeld mitnehmen wollen:
Die MEB (Micro Enterprise Bank) in Pristina (größte internationale Bank)
und allen größeren Städten im Kosovo nimmt Thomas Cook Traveller Checks.
Außerdem kann man mir Eurochecks Geld abheben, aber nur 400,- DM auf
einmal. Zusätzlich nehmen sie Visa und American Express.
 

Pristina, den 13. August 2001
Christina Kaiser
----------------------------------------------
Um sich in die Mailingliste von Kosova-Info-Line
ein- oder auszutragen, besuchen Sie bitte:
http://www.kosovo.de/hilfsorganisationen/mailingliste.php3



wplarre@bndlg.de  Mailsenden

Homepage    | Inhaltsverzeichnis - Contents
 

Seite erstellt am 29.12.2001