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Informationsstelle der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina
Monatsbericht Mai 2001
Kosovos Rückkehrer 2 Jahre nach Kriegsende
Einleitung
Die kosovoweiten Feiern am 10. Juni 2001 täuschten nicht über
die
Realität hinweg: Die Lage vor allem der Rückkehrer in dieser
Region ist
alles andere als rosig. Enthusiastischer Optimismus hat einer alles
lähmenden Perspektivlosigkeit Platz gemacht und das einzige Ziel
Tausender in diesem Sommermonat ist eine Rückkehr in den Westen.
Verzweifelt kommen sie täglich in unser Büro um sich noch
einmal
bestätigen zu lassen, daß weder Caritas noch Diakonie dazu
in der Lage
sind, Visa nach Deutschland zu besorgen.
Sie klammern sich an jeden Strohhalm: Unsere Interviews mit einigen
Rückkehrern führten zu dem Gerücht, daß diese
Interviewten zur
privilegierten Minderheit derer gehörten, die von uns ins
"Schlaraffenland" geführt würden.
Zusätzlich scheint ein gewisser Agim aus der Region Gllogovc sich
für
einen Caritasmitarbeiter auszugeben, der von Rückkehrern Geld
für seine
"Dienste" annimmt, die angeblich dabei helfen, daß Familien von
uns
entweder Kindergeld bekommen oder - wenn Kinder in Deutschland geboren
wurden - dort erneut Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.
Zusätzlich zu dieser ohnehin pessimistischen Stimmung erschweren
zwei
weitere Ereignisse die Situation im Kosovo: Einmal die Lage in
Mazedonien und die damit verbundenen Flüchtlingsströme in
eine Provinz,
die kaum ihre eigenen Rückkehrer verkraften kann und zum zweiten
das in
allen Medien angekündigte sogenannte Kongofieber.
Nach inoffiziellen Aussagen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind
derzeit etwa 37 Menschen am Kongofieber erkrankt, wovon 4 bisher
gestorben sind. Die am meisten gefährdeten Gebiete sind: Prizren,
Gjakova, Malishevo und Suha Reka.
Die Krankheit wird durch Nagetiere, Rinder, Schafe, Ziegen und vor allem
Zecken übertragen. Die Symptome sind unter anderem hohes Fieber.
Ist
dieses Fieber einmal ausgebrochen, ist die Krankheit auch von Mensch
zu
Mensch sehr ansteckend.
Es gibt kein Impfmittel.
Laut WHO erkranken von 100 von einer Zecke gebissenen Menschen 70, wovon
wiederum ungefähr 30% sterben.
Zur Beruhigung kann allerdings gesagt werden, daß ein Medikament
aus
Amerika eingetroffen ist, das die Krankheit - wird sie frühzeitig
erkannt - bekämpfen kann.
Bisher sind alle 42.000 Flüchtlinge (1 Angaben 15. Juni, Koha Ditore
und
UNHCR) aus Mazedonien in Gastfamilien im Kosovo untergekommen. Da viele
dieser Gastfamilien aber selbst bis vor kurzem vom Ernährungsprogramm
der UN (WFP) abhängig waren, kann nicht damit gerechnet werden,
daß
weitere Flüchtlinge privat aufgenommen werden können. 22.000
der 42.000
sind alleine in den letzten 6 Tagen im Kosovo angekommen. Sollte sich
die Lage im angrenzenden Land verschlechtern, könnte der Kosovo
mit an
die 150.000 Flüchtlinge rechnen.
Es werden im Moment 2 Flüchtlingscamps geplant - beide in vom
Kongofieber betroffenen Regionen. Es droht die Gefahr einer weit um
sich
greifenden Epidemie.
WHO arbeitet jedoch verstärkt an Präventivmaßnahmen.
Interviews mit Rückkehrern
Wir führten insgesamt 25 (2 Diese Zahl mag gering klingen, aber
es
dauert oft einen halben Tag, diese Menschen aufzufinden.) ausgedehnte
Interviews mit Rückkehrern aus Deutschland. Die Antworten unterschieden
sich stark von den Interviews, die wir letztes Jahr durchführten.
Während im Jahr 2000 zwar viele Menschen über Armut, zerstörte
Häuser
und Arbeitslosigkeit klagten, so waren doch 90% dieser Rückkehrer
froh,
wieder in ihrer Heimat zu sein.
Die Ergebnisse der Interviews diesen Monats sprechen weniger von einem
Mangel an Unterkünften - es sind sehr viele Häuser inzwischen
wieder
aufgebaut worden - sondern zeugten vielmehr von einer verbitterten,
resignierten Perspektivlosigkeit.
Ein neueres Phänomen illustriert die Stimmung in ganz besonderem
Maße:
In nur einer Woche begegneten uns 2 Beispiele von Jugendlichen, deren
Eltern sie zu ihrem eigenen Wohl zur Adoption von Deutschen freigegeben
haben. Trotz der so engen Familienbande in der albanischen Gesellschaft
denken diese Jugendlichen nur an eines: zurück "nach Hause".
Die von uns geführten Interviews waren vor allem qualitativer Natur;
eine repräsentative statistische Auswertung kann von mir nicht
durchgeführt werden - dies lag auch nicht in unserem Interesse.
Wichtig
erschienen uns die Stimmungstendenzen.
Die Interviewten kommen aus Dörfern und Städten der ganzen
Provinz
Kosovo. Zuerst ein paar allgemeine Angaben:
o Im Durchschnitt verbrachten die Befragten 7 Jahre in Deutschland.
o Der Großteil emigrierte aus Sicherheits- und wirtschaftlichen
Gründen
o 15 der 25 Befragten bekamen Familienzuwachs in Deutschland.
o 16 Familienväter hatten keine, 6 hatten eine Arbeitserlaubnis
(nicht
abhängig vom Ankunftsjahr in Deutschland), 2 hatten eine
Arbeitserlaubnis in den ersten Jahren und bekamen sie später entzogen,
einer gab zu, ohne Erlaubnis gearbeitet zu haben.
o Nur 5 kamen nicht freiwillig zurück. Der Großteil der
freiwillig
Zurückgekehrten tat dies, um später eine Wiedereinreisegenehmigung
zu
erhalten.
o Von 25 hätten 20 es bevorzugt, in Deutschland zu bleiben.
Zur Wohnsituation
o Von 25 Familien besitzen 8 ein eigenes Haus, die Restlichen leben
entweder bei Verwandten, in Containern oder Sammelzentren.
o Die Bedingungen sehen meist katastrophal aus: In 12 Fällen wohnen
durchschnittlich 7 Personen in zwei Schlafzimmern, bis zu 21 in einem
einzigen Schlafzimmer.
o 5 Familien haben kein Badezimmer, 5 haben kein fließendes Wasser
im
Haus, 5 weitere haben nur selten oder nur kaltes Wasser.
o 7 der Häuser der Interviewten sind in einem guten Zustand, 8
in einem
mittelmäßigen, der Rest ist mehr oder weniger am zusammenbrechen.
o 22 haben mittlerweile Strom.
o Eine Familie ist in einem Wiederaufbauprogramm.
Zur wirtschaftlichen Situation
o Die Hälfte der Befragten hat eine Arbeitsstelle hier. Welche
Art von
Arbeitsplatz und die Gehälter beschreibe ich weiter unten.
o Zwei Familien erhalten Sozialhilfe.
Zur schulischen Situation
o Die Kinder der 15 Familien, die in Deutschland geboren wurden, haben
zu 70% Probleme mit der albanischen Sprache und 50% haben Angst vor
ihren Lehrern und Probleme mit der Mentalität der Mitschüler
und den
Unterrichtsmethoden.
Der Fall Çabra
Im März letzten Jahres beschrieb ich in einem Sonderbericht die
Lage der
Familie Asani in Çabra, einem albanischen Minderheitendorf im
weitgehend
serbisch bewohnten Nordteil des Kosovo.
Wir besuchten diese Familie wieder, um zu sehen, was sich mittlerweile
an ihrer Situation geändert hat.
Von 200 völlig zerstörten Häusern in diesem Dorf sind
20 von einer
internationalen Organisation wiederaufgebaut worden. Weitere
Aufbauprogramme scheinen nicht geplant zu sein, aufgrund der ungeklärten
politischen Lage dieses Teils der Provinz.
1% der Männer in Çabra haben Arbeit. Die restlichen Familien
leben von
Geldern der schwindenden Diaspora oder von Sozialhilfe. Herr Asanis
fünfköpfige Familie lebt von den 120 DM Sozialhilfe, die
er seit 3
Monaten erhält (Ein Liter Milch kostet immer noch 1.20 DM).
Es gibt einige bearbeitete Felder in Çabra und ich fragte, ob
die
Erträge der Allgemeinheit zugänglich seien. Nein, die Familien,
denen
diese Felder gehören, haben selbst genug Münder zu versorgen,
erklärte
er mir.
Herr Asani hat eine permanente Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland
im
Gegensatz zu seiner Frau und Kindern. Er weiß, daß er zurück
nach
Deutschland muß, um seine Familie zu ernähren, hat aber
Angst, sie
alleine zu lassen. Während der Demonstrationen der Serben gegen
die
angeblichen Zölle der UNMIK zwischen Serbien und dem Kosovo im
Mai
diesen Jahres, wurde der einzige Zugang zum Dorf tagelang blockiert.
Im
Dorf gibt es nur einen kleinen Laden, der seine Waren aus dem
nahegelegenen Mitrovica bezieht.
Die Familie Asani lebt seit März 2000 in einem Container. 17 Personen
schlafen in 2 Räumen. Sanitäranlagen befinden sich in mobilen
Containern
außerhalb der kleinen Containersiedlung.
Arbeitsplätze
Die Arbeitsplätze der 50% Beschäftigten unserer Umfrage teilen
sich
folgendermaßen auf:
o Eine Person arbeitet bei einer internationalen Organisation
o Ein Familienvater ist ein Akademiker
o Zwei Personen arbeiten in Fabriken
o Ein Mann besitzt mehrere Lebensmittelgeschäfte
o Zwei besitzen kleine Kioske
o Drei arbeiten bei der Verwaltung
o Ein Mann ist in der Baubranche beschäftigt
Die internationale sowie die Baubranche sind extrem gut bezahlt, gelten
aber auch als "Auslaufmodelle".
Die Gehälter in der Verwaltung und den Fabriken liegen zwischen
200 und
600 DM pro Monat.
Die kleinen Geschäfte und Kioske stellen zwar keine großen
aber immerhin
einigermaßen gesicherte Einnahmequellen dar - solange es sich
um
Lebensmittel handelt. Die Einnahmen betragen zwischen 400 und 1.200
DM
pro Monat.
Viele Geschäfte, die mit Landwirtschafts- oder Bauartikeln handeln,
werden oft von internationalen Organisationen in den Bankrott getrieben,
da die Letzteren billigere Produkte entweder importieren und
weiterverkaufen oder spenden.
Taxifahrer und Minibusfahrer zählen zwar zur beschäftigten
Bevölkerung,
haben aber oft nur zwei bis drei Fahrten im Monat, da es viel zu viele
von ihnen gibt.
Die unbeschäftigte Hälfte der Interviewten lebt von Ersparnissen
aus dem
Westen. Alle bestätigten, daß diese bald aufgebraucht seien.
Wie soll es
weitergehen? Resigniertes Achselzucken.
Nur zwei erhalten Sozialhilfe.
Die Probleme der Kinder und Jugendlichen
Als die Kinder einer der befragten Familien mitbekamen, daß ihre
Eltern
über Deutschland interviewt wurden, fragten sie mich, wann ich
sie denn
"nach Hause" bringen würde. Seit dem plagen sie ihre Eltern täglich
mit
dieser Frage.
Die meisten der Jugendlichen, mit denen ich sprach, sehen ihren
Aufenthalt hier nur als temporär, wie in einem "Film" an. Sie
können
sich nicht vorstellen, länger in diesem Land zu bleiben, daß
sie als
Dritte Welt ansehen und dessen Mentalität ihnen völlig unverständlich
ist.
Schläge in der Schule gehen soweit, daß viele der zurückgekehrten
Eltern
den Lehrern nach deutschem System mit der Polizei drohen.
Viele der Kinder sprechen schon aus Trotz und offener Absonderung nur
Deutsch untereinander.
Die heutige Lage und die Zukunft
22 Mal war die Antwort auf die Frage: "Wie beurteilen Sie die heutige
Lage im Kosovo?" "Katastrophal!"
Es besteht jedoch ein deutlicher Unterschied zwischen den Antworten
der
Älteren und der jungen Generation. Während diejenigen, die
eine lange
Zeit ihres Lebens im Kosovo verbracht haben, Hoffnung auf Besserung
der
Sicherheits- und wirtschaftlichen Lage ausdrücken, lächeln
die Jungen
nur verächtlich: Sie haben keinerlei Interesse an dieser Provinz
und
sehen die enormen Unterschiede zum Westen ganz deutlich und in den
nächsten Jahrzehnten als unüberwindbar an.
Nur ein einziger 17-jähriger, Sprößling einer Intellektuellenfamilie,
ist daran interessiert in und für sein Heimatland zu arbeiten.
Doch auch
er will seine akademischen Dienste nicht für 300 DM monatlich
verkaufen.
Steigen die Gehälter nicht bis er mit dem Studium fertig ist,
sieht er
sich gezwungen, in den Westen zu gehen.
Besonders schlimm wurde die Lage in und um Mitrovica beurteilt. Die
Trepca-Minen werden nur einen Bruchteil der ehemals Beschäftigten
wieder
einstellen und ansonsten gibt es keine Industrie. Die ungeklärte
politische Situation lähmt jeglichen Unternehmungssinn.
Alle beklagen vor allem die hohe Gewalttätigkeit und die unsichere
Sicherheitslage. Es vergeht nicht ein Tag ohne irgendeine Katastrophe,
wie Schießereien, Bombenanschläge, usw.. Weder die lokale
noch die
internationale Polizei oder KFOR versehen ihren Job richtig, wird
beanstandet.
Vor allem die vielen arbeitslosen jungen Männer machen den Älteren
Sorgen. Sie laufen den ganzen Tag ziellos durch die Gegend und kommen
auf dumme, d.h. kriminelle Gedanken.
Sie verlangen von der Regierung mehr Arbeitsplätze und wünschen
sich
mehr Fremdinvestitionen.
Viele Menschen sehen ein, daß Freiheit ohne Sicherheit und Arbeitsplätze
nicht der Schatz ist, den sie erwartet haben.
Die wenigen, die nicht zurück nach Deutschland wollen, geben als
Begründung ihren dortigen unsicheren Status als Asylbewerber an.
Mit
permanenter Aufenthaltserlaubnis würden alle zurückgehen.
Die Zukunft sehen fast alle schwarz, wobei die Älteren noch glauben,
daß
sie mit viel Arbeit irgendwann auf eigenen Füßen stehen
werden.
Erstaunlich war vor allem die Aussage mehrerer Jugendlicher:
"Solange die Menschen im Kosovo ihre Mentalität nicht ändern,
d.h. aus
diesem geschlossenen, egoistischen Familiensystem herauskommen, wird
sich hier nie etwas ändern. Die Menschen müssen anfangen,
sich
gegenseitig zu helfen und ein gemeinnütziges Denken zu entwickeln,
was
bisher absolut nicht der Fall ist." (Zitat)
Allgemeines
Zentrale UNMIK Telefonnummern
Pristina: +381 38 504 604 4000
Mitrovica: 7200
Prizren: 8000
Peja/Gjakova: 3000
Gjilan/Ferizaj: 7600
Pristina, den 15. Juni 2001
Christina Kaiser
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