Human Rights Violations against Non-albanian Kosovars
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1Shqiptar i dorës së dytë
Sondierungsreise zur Lage der Roma und 2Ashkalia im Kosovo
01. 09. 99. - 11. 09. 99 - Nicolaus v. Holtey , Schalomdiakon
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1 Shqiptar i dorës së dytë - Albaner zweiter Hand (zweiter Klasse). Im Kosovo alter, allgemein üblicher Ausdruck für Roma und Ash-kalia.
2 Ashkali(s), Ashkalia (pl) oder Hashkali, Hashkalia, manchmal Ägypter (Egjyptian) werden von Albanern wie die Roma „Zigeuner“ (magjup) genannt. Sie selbst führen ihre Herkunft auf Ägypten zurück, von wo sie Alexander der Große auuf den Balkan gebracht haben soll. Sie sprechen als Muttersprache Albanisch. Die Roma halten sie für ihresgleichen, die sich an die albanische Kultur assimiliert und ihre Sprache Romanes aufgegeben haben Vieles spricht für letztere Erklärung. Ashkalia grenzen sich oft von den Roma ab und wünschen als eigene Volksgruppe anerkannt zu werden.
Donnerstag 02.09.99
10:00h : Besuch der Katholischen Pfarrgemeinde in Prishtina,
Gespräch mit Schwester Zojë Komani (Hl. Kreuz, Regel des Hl.
Franziskus). Sie berichtet den Fall eines Rom, der, verletzt bei Übergriffen
von Albanern in seinem Dorf bei Prishtina, Hilfe in der kath. Kirche sucht
und auf dem Weg dorthin durch einen Angriff mit einem Messer noch
einmal verletzt wird. Dieser Mann wird nach der Behandlung im Krankenhaus
von zwei UÇK-Soldaten nach Hause gebracht. Er ist bei einem reichen
Albaner, der in der Schweiz lebt, als Hausmeister für dessen Haus
in der Nähe von Prishtina angestellt. Schwester Zojë berichtet
offensichtlich von anderen, schwerwiegenderen Fällen, wie ich dem
Gesichtsausdruck des albanischen Dolmetschers entnehme. Hiervon wird mir
aber nichts übersetzt.
Auf die Frage nach Belästigungen der Katholischen Kirche im Kosovo
durch albanische Extremisten, meint sie, das seien Vorfälle minderen
Ranges, hervorgerufen durch Unwissenheit der einfachen ländlichen
Bevölkerung, die die Unterschiede der katholischen Kirche zur serbisch-orthodoxen
Kirche nicht kennen. Sie ist offensichtlich bemüht, Zurückhaltung
bei einer Einschätzung der Lage im Kosovo zu üben.
Nicht weit von der katholischen Kirche ist bereits ein Tempel einer
amerikanischen fundamentalistischen Sekte anzutreffen.
12:30-15:00 h Interview mit Jonuz Tërstena („Minister“ des
Inneren der Bukoshi-“Regierung“).
Herr Tërstena stellt mir die Problematik eines künftigen
Innenministers des Kosovo vor. Neben Sicherheitsfragen sieht er große
Schwierigkeiten im Personenstandswesen auf das Kosovo zukommen. Ein
großer Teil der Standesamtunterlagen in mehreren Rathäusern
seien verschwunden. Hierfür sieht er mehrere Gründe:
· Die Unterlagen sind von Einheiten
nach Serbien beim Abzug mitgenommen worden.
· Die Unterlagen sind im Zusammenhang
mit Kriegshandlungen zerstört worden.
· Die Unterlagen wurden von Paramilitärs
vernichtet.
Ein weiteres großes Problem stellen die teilweise verschwundenen Unterlagen der Katasterämter dar. Hier könnten seiner Einschätzung nach viele Streitigkeiten um Grund und Boden nicht zweifelsfrei geklärt werden. Wie bei den Personenstandsunterlagen seien dieselben Gründe:
· Unterlagen einiger Katasterämter
seien beim Abzug des serbischen Militärs nach Serbien verbracht worden
· Unterlagen seien bei Kriegshandlungen
zerstört worden
· Unterlagen seien von serbischen
Paramilitärs planmäßig zerstört worden.
Außerdem hätten die Sicherheitskräfte bei Vertreibungen
häufig sämtliche Unterlagen im Besitz der albanischen Familien
mutwillig und geplant vernichtet, darunter auch Besitzurkunden über
Grundbesitz.
Weiter sieht Herr Tërstena große Sicherheitsprobleme als
Folge des Machtvakuums und der, wie er meint, Unprofessionalität der
„Regierung aus dem Wald“, wie er die „Regierung“ der UÇK nennt.
16:30 h. Kurzer Besuch bei Herrn Adem Demaqi in seiner Wohnung.
Terminvereinbarung für den Abend im Hause meiner Gastfamilie. Kommt
dann aber nicht, da er einen wichtigen Termin in Pec hat.
16:45 h. Terminvereinbarung im OSZE-Büro mit den Roma-Beauftragten der OSZE für den 4.9.1999, 9:00 h.
Abends bin ich eingeladen bei Nachbarn meiner Gastfamilie, mit ca 20
Männern, die Bewunderung für Hitlerdeutschland vermitteln und
viele Fragen nach dem Weg zur Demokratie stellen. Wir diskutierten die
Aspekte:
· Mitverantwortung für das
Ganze,
· Selbstverantwortlichkeit für
den persönlichen Lebensbereich,
· Achtung der Menschenrechte, insbesondere
von Minderheiten, der Frauen und der Kinder. Mein Vorschlag, Kinder in
der Erziehung zu Hause und in der Schule nicht so viel zu schlagen, sondern
mehr auf Verständnis zu bauen, erregte größere Heiterkeit.
- Ein junger Mann meinte, die schweren und häufigen Prügel seines
Vaters hätten ihm gut getan und ihn zu einem gut erzogenen Mann
gemacht.
Alle beschwerten sich über den in Prishtina überall herumliegenden Müll. Mein Vorschlag, die vielen jungen Männer, die nichts zu tun hätten, könnten doch, organisiert etwa durch die UÇK, mit der Beseitigung des Mülls beginnen, wurde mit dem Hinweis beantwortet, es sei noch zu früh, man müsse auf den Aufbau der Verwaltung durch die Amerikaner warten. Als ich scherzhaft die Frage aufbrachte, vielleicht fehlten den Albanern die Roma, die sonst in den Stadtverwaltungen in der Stadtreinigung gearbeitet hatten, kam betretenes Schweigen auf. Es habe auch Albaner in der Stadtreinigung gegeben.
Freitag, 03.09.99
Interview mit Hydajet Hyseni („Stellvertretender Außenminister“
der Thaçi-„Regierung“), ein kultivierter, gebildeter Herr. In unserem
Gespräch über den Verbleib von Minderheiten im Kosovo, vor allem
der Roma und Ashkalia, drückt er sein Bedauern über die Vertreibungen
aus. Diese seien auf keinen Fall organisiert und geplant gewesen, vielmehr
hätten kriminelle Banden unter dem Vorwand einer Beteiligung der Roma
an serbischen Verbrechen gegen das albanische Volk das Machtvakuum für
ihre Ziele ausgenutzt und die Roma vertrieben, ausgeraubt und den größeren
Teil ihrer Häuser zerstört.
Er selbst teile die Meinung, die Albaner sollten die Minderheiten im
Kosovo besser beschützen. Es gebe aber noch keine Strukturen, um diesen
Schutz zu gewährleisten. So seien der UÇK die Waffen
weggenommen worden. Stünde die UÇK wieder unter Waffen, gäbe
es seiner Meinung nach keine Verfolgung der Minderheiten im Kosovo.
Die Reaktionen in Europa seien übertrieben. Schließlich
seien es Roma aus Mazedonien und Albanien, die als Kosovo-Roma in die Lager
des UNHCR gegangen seien. Auf meine Nachfrage schränkt Herr Hyseni
ein, daß unter den kosovarischen Roma-Flüchtlingen möglicherweise
auch einige nicht-kosovarische Flüchtlinge seien.
Oft hätten Roma, wie auch Serben, ihre Häuser selbst
angezündet, um so bei Ihrer Flucht vor Strafe wegen ihrer Beteiligung
an serbischen Massakern dem albanischen Volk zu schaden. Die meisten der
Roma seien Wirtschaftsflüchtlinge, die derzeit keine Arbeit als Saisonarbeiter
z.B. in der Vojvodina fänden. Ihre Flucht sei auch ein Ergebnis und
Erfolg serbischer Propaganda.
Man solle die albanischen Reaktionen beim Abzug der serbischen Truppen
nicht überbewerten.
Allerdings dürften die Roma keine Hilfe erhalten, bevor nicht
die Bevölkerung im Gebiet von Drenica ausreichend humanitäre
Hilfe erhalten habe.
Man dürfe in Europa auch nicht übersehen, daß serbische Paramilitärs aus dem Untergrund heraus Terrorakte gegen Minderheiten ausübten, um dem albanischen Volk zu schaden.
Nach diesem Interview arrangiert Herr Hyseni ein Gespräch mit seiner
Kollegin,
der „Stellvertretenden Ministerin“ für Gesundheit , ebenfalls
der Thaçi - „Regierung“, Frau Dr. med. Teuta Hadri. Sie begrüßt
mich mit den Worten
„Welcome, we are both from the same race, the Aryan race, so understanding should be easy“.
Ich überwinde meinen Schock und lasse mir nichts anmerken. Frau
Hadri klärt mich auf, daß die Roma allesamt an den Gewalttaten
der Serben beteiligt waren, und daß sie sich jetzt nicht über
die albanischen Reaktionen wundern sollten. Auf meine Nachfrage bestätigt
sie, dies betreffe „alle Roma“. Europa brauche sich nicht so viele Gedanken
machen, schließlich seien die Roma Analphabeten und ein großes
soziales Problem „gewesen“. Außer spontanen Akten der Vergeltung
habe es keine Vertreibung gegeben, vor allem keine organisierte. Die Roma
seien aus Angst vor Bestrafung geflohen.
Zehn Minuten nach Beginn unseres Gespräches kommt eine Mitarbeiterin
und schreibt mit.
Samstag 04.09.99
Entrinne frühmorgens meiner albanischen Gastfamilie, die
sich sehr bemüht, mir ein rein albanisches Programm zusammenzustellen.
9:00 h bei den Romabeauftragten der OSZE. Niemand fühlt sich zuständig.
Werde zum UNHCR geschickt. Von dort weiter auf den Berg Dragodan zu Fuß
zum Romabeauftragten des UNHCR. Die anwesende Dame weiß nur über
ihren Bezirk Bescheid, kann mir aber nichts über andere Regionen im
Kosovo vermitteln.
Werde vom Fahrer des UNHCR zum Bus nach Vucitrn gefahren. Dort aber
fährt kein Bus nach Vucitrn.Ich gehe zu Fuß zur European Comunity
Monitor Mission (ECMM) Prishtina. Der Leiter, Herr Obermüller, kennt
mich von meinen Rettungsaktionen für Roma in Vucitrn und Vrela und
fährt mich nach Vrela.
Dorthin haben sich Ashkalia-Bauern vor allem aus dem Dorf Magura bei
Prishtina geflüchtet.
150 Personen leben jetzt auf engem Raum im Gehöft ihres Verwandten
Sefa, der auch Bauer ist.
Die meisten Häuser der Ashkalia und Roma in Magura
seien zerstört. Es soll sehr grausam zugegangen sein. Herr O., zwanzig
Jahre lang Lehrer und zum Schluß Lehrer der Schule des Dorfes, wurde
in die von serbischen Truppen verlassene Kaserne von der UÇK verschleppt
und mit Eisenstangen zusam-mengeschlagen. Durch eine schwere Verletzung
der Wirbelsäule gelähmt, mit vier gebrochenen Rippen, sei er
vor seinem Haus aus einem Auto geworfen worden. Man habe wohl die Intelligenz
der Roma unsd Ashkalia treffen wollen. Seine Familie sei darauf hin mit
ihm nach Kragujevac in Serbien geflüchtet, wo er im Krankenhaus behandelt
werde. Er werde aber wohl für den Rest seines Lebens gelähmt
bleiben.
Derzeit erhalten diese Flüchtlinge nach ihren Angaben keinerlei
humanitäre Hilfe.So gibt es für die Kinder keine Milch, seit
langem haben sie kein Gemüse mehr erhalten, ärztliche Versorgung
wird ihnen nicht zuteil und für den Winter sind sie überhaupt
nicht ausgerüstet. Es fehlt an Öfen und Heizmaterial. Die Hilfsorganisation
„Mutter Tereza“ bringt wohl Hilfe in das Dorf zu den Albanern und verlangt
von den Ashkalia, ihre Rationen im Dorf bei den Albanern abzuholen. Dies
ist wegen der akuten Gefahr, mit Gewalt oder zumindest durch Belästigungen
vertrieben zu werden, für die Flüchtlinge nicht möglich.
Von diesen Menschen hatte ich in Heidelberg über Verwandte in Deutschland
einen Hilferuf erhalten, daß sie sich durch Albaner, die mit Morddrohungen
und Steinwürfen Druck auf sie ausübten, das Land zu verlassen,
an Leib und Leben gefährdet fühlten. Beeindruckt bin ich von
dem erklärten Willen, nicht zu weichen, sondern darauf zu warten,
bis sie wieder in ihr Dorf zurückkehren können. Sie sind alle
sehr besorgt um ihre Ernte.
Der freundliche, montenegrinische Fahrer des ECMM bringt mich zur richtigen
Abfahrtstelle des Busses nach Vucitrn.
16:00 h Ankunft mit Bus in Vucitrn
Suche Frau F. B., Ashkali, die mir durch Berichte ihrer Verwandten
in Deutschland ein Begriff ist, an ihrem Arbeitsplatz auf. Bewegende
Begrüßung mit vielen Tränen. Ein freundlicher Albaner bringt
mich zum Haus des A.B., Ashkali, Kaufmann mit gutem Ruf bei der albanischen
Bevölkerung. Er sagt, er habe bei der Rückkehr der albanischen
Flüchtlinge 3000 kg Mehl an sie verschenkt und während des Krieges
die UÇK mehrmals mit Lebensmitteln versorgt.
Dorthin ins Gehöft haben sich insgesamt 8 Familien geflüchtet;
sie sind die letzten einer einst 1700-köpfigen Gemeinschaft. Am 21.6.1999
und den Tagen darauf sind Trupps von Männern unter Begleitung der
UÇK, darunter auch ihrer Militärpolizei (PU, Policia Ushtarake)
in die Häuser der Roma und Ashkalia eingedrungen. Ihnen wurde gesagt,
jetzt sei eine neue Zeit angebrochen, und es gebe für Zigeuner (Magjupi)
keinen Platz mehr im Kosovo. Letztendlich habe die UÇK Herrn B.
aber doch in Ruhe gelassen und auch die zwölf Familien, die sich in
sein Haus geflüchtet hatten. Die Albaner seien mit Pferdefuhrwerken
und LKW`s in die Strassen gekommen, mit automatischen Waffen ausgestattet,
und hätten, nachdem sie in die Häuser eingedrungen waren, sofort
mit Holzknüppeln und Eisenstangen auf die Hausbewohner eingeschlagen.
Viele seien schwer verletzt worden. Sie seien unter massiven Morddrohungen
aufgefordert worden, sofort ihre Häuser zu verlassen. Die verlassenen
Häuser seien dann geplündert worden, die gestohlenen Gegenstände
wie Möbel und alle technischen Geräte wie Küchenherde,
Eisschränke, Waschmaschinen, Fernseher etc., auf die Fuhrwerke und
LKW´s geladen und eiligst abtransportiert worden. Einige Häuser
seien sofort in Brand gesteckt worden. Nie würden sie die Rufe vergessen
können: “Kein Platz für euch Zigeuner im Kosovo, haut ab!“
Die nicht in Brand gesteckten Häuser seien dann in den folgenden Tagen
schnell „ausgeweidet“ worden. Es wurde alles Verwertbare entfernt,
Dachziegel, Holzfußböden, Türen und Fenster mitsamt
der Holzrahmen, alle Armaturen in Küchen und Badezimmern, und sogar
die Stromkabel wurden aus den Wänden gerissen.
Einer Familie wurden die beiden teuren Autos weggenommen, und
werden von einem hohen albanischen Fuktionär ohne Nummernschilder
gefahren.
Ich suche die Häuser in der Nachbarschaft auf, vorsichtig, um
zu vermeiden, daß Albaner sich provoziert fühlen. Ich muß
feststellen, daß in einem sehr großen Areal alle Häuser
der Ashkalia unbewohnbar gemacht worden waren.Viele sind verbrannt. Ich
fotografiere sehr vorsichtig, um nicht mich und meine Gastgeber in Gefahr
zu bringen. Die Verwüstungen der Ashkalia-Häuser rund um das
Haus von Herrn B. sind vollständig. Nur ein Fachmann kann entscheiden,
welches Haus wieder aufgebaut werden kann.
Französische KFOR Truppen haben 45 Mann in diesem Viertel in einem
der unversehrt gebliebenen Ashkalia - Häuser stationiert, die in einem
24 Stunden Dienst ständig Streife gehen. Diese Präsenz der KFOR
war von mir durch ein Fax an die European Community Monitor Mission (ECMM)
initiiert worden,die ihrerseits KFOR in Vucitrn um Schutz gebeten hatte,
nachdem ich über Umwege von der verzweifelten Lage dieser Menschen
unterrichtet worden war. Andere, eigentlich zuständige große
Institutionen waren dazu nicht in der Lage.
Übernachtung im Hause B.
Sonntag, 05.09.99
Abfahrt mit A.B.zu seinem Laden in Mitrovica, dort Besuch bei
UNHCR. Die Dame hat keine Zeit, muß einen Bericht schreiben, ich
erhalte gar keine Information.
Mache mich selbst auf den Weg nach Obilic ins „Gypsie-Camp“. Ich fahre
mit einem Kombi-Taxi bis zum Kraftwerk Obilic, von dort einstündiger
Fußmarsch bis zum Lager. Werde von Herrn Ibrahim Hasani, dem Sprecher
der Lagerinsassen und von Herrn Paul Polanski, einem dort mit den Roma
und Ashkalia lebenden amerikanischen Schriftsteller empfangen.
Das Lager Obilic/Krusevac war als Ersatz für die Flüchtlinge
im Roma-Auf-fanglager in der Schule von Kosovo Polje/FushëKosovë
eingerichtet worden. Dorthin hatten sich bis zu 5000 Roma aus 25 Städten
und Dörfern in qualvol-ler Enge vor den Pogromen extremistischer Albaner
geflüchtet, denen die Flucht nach Montenegro und Mazedonien nicht
mehr gelungen war. Der UNHCR hatte beim Dorf Krusevac, Gemeinde Obilic,
etwa 1500 m vom Schornstein des veralteten Kohlekraftwerks Obilic entfernt,
ein Lager mit Zelten eingerichtet. Der Fall-out des Kraftwerkes bedeckt
alles mit schwarzem Ruß. Der Schutz durch zwei unbewaffnete UN-Polizisten
wird von den Insassen des „Zigeunerlagers“ als unzureichend empfunden-
sie befürchten ständig Angriffe extremistischer Albaner. Durch
die etwa 400 m entfernt stationierte britische Fernmeldeeinheit fühlen
sie sich nicht geschützt. Die Tatsache, daß Paula Ghedini
vom UNHCR eindeutig erklärt habe, das Lager nicht für den Winter
ausrüsten zu wollen, bereitet den Insassen große Sorgen. Sie
habe ihnen gesagt, wer bleiben wolle, könne dies tun, wer gehen wolle,
ebenfalls. Wohin, das könne sie auch nicht sagen. Es fehlen Öfen
und Brenn-material. Die Wasserleitungen liegen frei - im bitterkalten Balkanwinter
wird dann kein Wasser mehr fließen.Angesichts der Feindseligkeit
extremistischer Albaner, nicht von der UÇK behindert, sollten sie
auf keinen Fall versuchen, in ihre Wohnorte zurückzukehren, wo ihnen
die Häuser zerstört worden wa-ren. Oder hält der UNHCR die
Roma und Ashkalia für umherziehende Noma-den?
Diese unsicheren Perspektiven veranlassen die Insassen, über einen
Ausbruch und Marsch an die mazedonische Grenze auch gegen den Willen des
UNHCR nachzudenken.
Ich habe zwei Bodenproben vor dem Zelt meiner Gastfamilie entnommen,
um sie in Heidelberg analysieren zu lassen.
Den ganzen Tag bis in die Nacht werden mir bewegende Vertreibungsge-schichten
berichtet.
F. B aus dem Dorf V. Er war 1998 als abgelehnter Asylbewerber
in das Kosovo abgeschoben worden, und arbeitete in seinem Dorf in seinem
erlernten Beruf als Schlosser. Er hatte sich von seinem in Deutschland
ersparten Geld eine gute Werkstatt eingerichtet. Die albanischen Nachbarn
nahmen seine Dienste für alle möglichen Reparaturen in Anspruch.
Das Ende des Krieges brachte das Undenkbare: Eine große Gruppe von
Männern fiel in das Dorf ein und drang in die Häuser der Roma
und Ashkalia ein, so auch in das Haus von Herrn B. Die Männer schlugen
mit Knüppeln auf die Hausbewohner ein und drohten, sie zu töten,
wenn sie nicht sofort das Haus verließen. Dem ältesten Sohn
D. (12 Jahre) setzten sie ein Messer an die Kehle, um ihren Drohungen Nachdruck
zu verleihen. Mit ein paar wenigen Habseligkeiten verließ die Familie,
Herr F.B. verletzt, ihr Haus und das Dorf, und sie konnten beobachteten,
wie sofort die Einrichtung heraus-getragen wurde.
Herr Polanski hatte einige Zeit später mit der Familie das Haus
aufgesucht und fotografiert. Es ist abgebrannt.
Übernachtung im Zelt bei Familie F. B.
Montag, 06.09.99
Fahrt mit Paul Polanski, Theo Fruendt und H. B, unserem Dolmetscher
und Rom aus dem Camp Krusevac/Obilic nach Prizren. Wir suchen mehrere Dörfer
unterwegs auf und nehmen die Anzahl der zerstörten und unversehrt
gebliebenen Häuser, sowie die Anzahl der ursprünglichen Bevölkerung
und der verbliebenen Einwohner auf.
Stellvertretend einige Beispiele:
· Pirana In ihrem zerstörten
Haus besuchen wir die einzige übriggebliebene Familie
von etwa 300 Ashkalia und Roma in ursprünglich 45 Häusern im
Dorf. Die Roma und Ashkalia des Dorfes waren zu Beginn des Bombardements
gemeinsam mit ihren albanischen Nachbarn in die Berge geflüchtet.
In dieser Zeit wurden 12 Ashkalia- und Romahäuser von Serben verbrannt.
Nach Beendigung des Krieges und der Rückkehr ins Dorf gemeinsam mit
ihren albanischen Nachbarn wurden sie von einem organisierten Trupp unter
massiver Gewaltanwendung aus ihren Häusern verjagt. Als Roma und Ashkalia
seien sie Mittäter an serbischen Massakern, wurde ihnen als
Begründung genannt. Daß sie sich in dieser Zeit mit ihren albanischen
Nachbarn in den Bergen versteckt gehalten hätten, spiele jetzt keine
Rolle mehr. Es gäbe keinen Platz für „Zigeuner“ im Kosovo. Die
Mitglieder dieser Familie wirken sehr unruhig und verängstigt. Sie
erhielten gar keine humanitäre Hilfe, erklären sie. Sie lebten
noch von den Vorräten. Außerdem würden sie immer wieder
von Albanern bedroht, um sie zum Verlassen des Kosovo zu veranlassen. Sie
lebten vollständig isoliert und wagten sich nicht ins Dorf aus Angst
vor Erniedrigungen und Gewalttaten. Ihre Kinder könnten nicht die
ganz nahe gelegene Schule besuchen.
· Dushanovë: Nach unserer Ankunft
werden wir sofort von 30 bis 40 Männern umringt, die uns aufgeregt
ihre Vertreibungsgeschichte vermitteln wollen. Hierhin, einem Vorort von
Prizren, hätten sich etwa 1600 Flüchtlinge aus den Dörfern
der Umgebung geflüchtet, hören wir. Hier gebe es einen gewissen
Schutz durch deutsche KFOR Truppen. Die Versorgung sei schwierig. Organisierte
humanitäre Hilfe käme nicht regelmäßig bis zu ihnen.
Jetzt, da die KFOR auf ihre Lage aufmerksam geworden sei, sei alles
besser geworden. Aber im Dorf einzukaufen sei immer noch unmöglich
wegen der aggressiven Behandlung durch die Albaner. Ich habe eine Liste
von Namen vorgelesen von entführten Menschen der Umgebung. Niemand
weiß etwas über das Schicksal der Entführten, die Menschen
berichten von weiteren Entführungsopfern. Die Befragten vermuten,
daß diese nach Folterungen ermordet worden sind.
Übernachtung im Roma - Auffanglager Obilic im Zelt von Fam. F.B.
Dienstag 7.9.99
Fahrt mit Polanski, Fruendt und H. B. nach Pec. Besuch einiger Dörfer
auf dem Weg .
Klina. 40 Häuser von Roma und Ashkalia sind verbrannt,
fast alle anderen sind demoliert und verlassen.
Ihre Bewohner wahrscheinlich nach Montenegro gflohen.
· Besuchen ein Dorf in der Nähe
von Klina. Die Ashkalia dort sind Gärtner und Bauern. Nach der Rückkehr
der UÇK aus ihren Verstecken seien die Wochen schrecklich gewesen.
Es habe grausame Vertreibungen gegeben.Die Pogrome hätten damit begonnen,
daß Handgranaten in die Häuser geworfen wurden. Viele Kinder
seien dabei verletzt worden. Sie seien nicht mehr viele Roma und Ashkalia
im Kreis Klina. Die Menschen scheinen aber jetzt nicht so stark verunsichert
zu sein, wie in den anderen Gegenden des Kosovo. Zur Zeit sei es
friedlicher, als anderswo, dies sei darauf zurückzuführen, daß
die Bevölkerung in der Mehrheit katholisch ist. Außerdem habe
ein „großer Mann“, Pjetër Coli, seinen Einfluß geltend
gemacht, daß die Roma und Ashkalia in Ruhe leben können.
· Rudica bei Klina.Familie T. Der
Vater ist während der Pogrome gegen Roma und Ashkalia „verstummt“.
Er steht wohl immer noch unter Schock und benögt mit Sicherheit
ärztliche Hilfe. Allein, wie soll ein offensichtlich traumatisierter
Ashkali heutzutage die Dienste eines albanischen Arztes in Anspruch nehmen
können? Die Überfälle auf die Häuser der Roma und Ashkalia
sollen sehr brutal gewesen sein. Die Mehrheit von ihnen ist nach Meinung
der Familie T. nach Montenegro verschwunden, ihre Häuser verbrannt.
Die beiden Kinder aber können, etwas verspätet, die albanische
Schule besuchen, in die sie zuvor auch gegangen waren. - Verglichen mit
anderen Gebieten des Kosovo erscheint mir die ländliche Gegend um
Klina richtig idyllisch zu sein.
Am nachmittag Abfahrt nach Skopje mit Paul Polanski, Theo Fründt
und H. B., unserem immer gleichbleibend freundlichen Dolmetscher,
dem glücklicherweise bei den Angriffen der Albaner der Paß nicht
zerrissen worden war und der somit mit uns nach Mazedonien einreisen
konnte.
Unterwegs Besuch des Roma-Flüchtlingslagers Stenkovec 2. Ich suche
dort auf Bitte von Familien in Deutschland nach Vermißten. Ich finde
die gesuchte Familie A. Z., mit der nach Vergewaltigungen stark verstörten
Ehefrau. Das Ehepaar hat kleine Kinder.
Die aufgrund von Vergewaltigungen durch Albaner traumatisierten Frauen
und Mädchen sind für die Roma ein ganz besonders dunkles
Thema. „Nie hätten wir gedacht, daß die Albaner so etwas tun
würden.“ Ich erfasse im Auftrag von Roma in Deutschland eine
Liste der im Camp lebenden Familien aus Vitina.
Paul Polanski, Theo Fründt, H. B. und ich diskutieren den Plan
der Flüchtlinge im Roma-Auffanglager Krusevac/Obilic in einem Massenauszug
ihr Lager auch gegen den Willen des UNHCR zu verlassen. Wir nehmen die
Sorgen der Lagerinsassen ernst.
Übernachtung im Zelt der Familie F. B.
Mittwoch, 08.09.99
Fahrt mit Paul, Theo und H. B. nach Skopje
Besuch einiger Dörfer mit Resten der Roma/Ashkalia -Dörfer
unterwegs.
· Suha Reka. Wir treffen dort als
eine der letzten verbliebenen Familien die des Herrn S. B. an. Er war Gastarbeiter
in Deutschland gewesen und lebte seit Jahren in Frieden mit seinen albanischen
Nachbarn von seiner deutschen Rente. Mit ihm lebt seine Frau mit zwei halberwachsenen
an Multipler Sklerose erkrankten Kindern und seinem uralten Vater. Die
Häuser um sein Haus herum sind alle zerstört und unbewohnbar
gemacht. Für Herrn B. waren die Tage nach der Ankunft der UÇK
die Hölle, sagt er. Nie hätte er gedacht, daß Albaner sich
so verhalten können. Bei den vertriebenen Nachbarn hätten die
Albaner alles brauchbare geklaut. Die Vertriebenen hätten nur das,
was sie am Leibe tragen konnten, mitnehmen dürfen. Er erhalte auch
gar keine humanitäre Hilfe, sondern lebe immer noch von den Vorräten.
Wir verlassen die Familie um für sie frisches Gemüse einzukaufen.
Bei unserer Rückkehr stellen wir fest, daß Herr B. ganz verstört
auf uns reagiert. Nach behutsamem Nachfragen erfahren wir, daß direkt,
nachdem wir seinen Hof verlassen hatten, zwei „Polizisten“ der UÇK
zu ihm gekommen seien und ihn in barschem Ton gefragt hätten, was
die Ausländer von ihm gewollt haben. Er solle aufpassen, was er diesen
sage. Sie hätten ihn auch gefragt, wieso er immer noch mit seiner
Familie hier sei, man habe ihm doch deutlich gesagt, daß er zu verschwinden
habe, für Zigeuner kein Platz sei in Kosovo.
Mit diesen Warnungen hätten sie das Anwesen
verlassen.
· Zehn Tage vor unserem Besuch seien
um zwei Uhr nachts drei Männer der UÇK über die Mauer
geklettert und in sein Haus eingedrungen. Sie hätten schwarze
Uniformen getragen und Masken. Herr B. und seine Familie lagen im Bett.
Mit gezogenen Waffen hätten sie ihn nach seinem Sohn gefragt
und die Wohnung durchsucht. „Kein Platz für euch im Kosoco“ hätten
sie ihm gesagt, allein er wisse gar nicht, wohin er gehen solle. Das sei
ihnen egal, sei die Antwort gewesen.
Donnerstag 09.09.99.
Skopje. Besuch des Roma-Fernsehens RTB in Skopje, in einem Haus
der berühmten Sängerin vom Volk der Roma, Esma Redzepova, um
dort Korrespondenzen,Telefonate u.s.w. zu erledigen.
Besuch bei Dom Antun Cirimotic, Direktor der Makedonski Karitas, der
mir schon seit vielen Jahren als ein Streiter für die Menschenrechte
der Roma bekannt ist. Ich will ihn um seine Meinung bezüglich des
Wunsches der Roma vom Lager bei Obilic fragen. Er und ein Herr von CV äußern
Verständnis für den Plan, die Roma des Camps in Krusevac/Obilic
in ihrem Wunsch, diesen Ort zu verlassen, zu unterstützen und ihnen
bei einer Evakuierung zu helfen. Dom Antun Cirimotic bedankt sich für
mein Interesse für die Roma des Kosovo und für die Informationen,
die ich ihm liefere.
Übernachtung in der Wohnung von Theo Fründt.
Freitag 10.09.99.
Caritas Deutschland, Frau Friedrich. Sie warnt mich, den Plan einer
Evakuierung zu unterstützen.
Besuch des Catholic Relief Services (CRS) Der Leiter, Herr Nick Ford,
st an meinen Kenntnissen der Roma und Ashkalia des Kosovo interessiert
und hat ein gewisses Verständnis für Evakuierungspläne aus
dem Lager in Krusevac/Obilic. Will von mir auf dem Laufenden gehalten werden.
Fahrt mit Bus nach Veles, Besuch bei Dzansever Dalipova,
mir seit vielen Jahren persönlich bekannt, der beliebtesten Sängerin
der Romajugend des Balkan und gleichzeitig ein Star in der Türkei.
Sie erklärt sich bereit, ein oder mehrere Benefizkonzerte zu
veranstalten zugunsten der Roma und Ashkalia des Kosovo.
Genaues Vorgehen wird verabredet. Sie macht wahrscheinlich eine
Tournee mit türkischen Konzerten im November 1999 in Deutschland,
und im Anschluß daran wären Benefizkonzerte möglich.
Dzansever ist an „Morbus Bechterew“ erkrankt und bittet mich, ihr eine
gute Klinik zur Behandlung in Deutschland ausfindig zu machen. Ich sage
zu.
Abends im Büro des Romafernsehens. Treffen mit Frau Demirova aus
Stip/Mazedonien, Direktorin der Romahilfsorganisation „Cerenja“. Sie wird
mit mir bei meinem nächsten Besuch ein Interview für ihre Radiostation
machen.
Übernachtung in Theos Fründts Wohnung. Sichtung der Fotos.
Samstag, 11.09.99
Abflug nach Stuttgart
Es ist der Tag gekommen, dieHäuser zu verlassen
Große Trauer
Großes Weinen wir verschütten
Unsere Häuser wir verlassenFragt mich mein kleiner Demush
Wohin hat mich gebracht mein lieber Vater
Weine nicht, Demush, mein Sohn
Es kommt der Tag wir kehren nach Hause zurückGroßes Weinen wir verschütten, unsere Häuser zu verlassen
Es wird der Tag kommen: wir kehren zurück
in unsere Häuser
Großes Weinen wir verschütten
Unsere Häuser zu verlassen,
Großes Weinen wir verschütten
Unsere Häuser zu verlassenMusik und Text: Unbekannter Rom aus Kosovo September 1999
Übersetzung aus dem Romanes : Arif Zeka, Heidelberg