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                      FLORA BROVINA
                 eine kurze Biographie
                                                           von Hans-Joachim Lanksch


© Hans-Joachim Lanksch:
        "Sie können gern aus meinen Übersetzungen etc. zitieren, aber bitte unter Angabe der Quelle."
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         Ich bedanke mich bei Hans-Joachim Lanksch für die Erlaubnis, den Text hier wiedergeben zu dürfen.

FLORA BROVINA

Dr. Flora Brovina wurde am 30.9.1949 in Skenderaj geboren, dem Zentrum der Massaker-Region Drenica. Sie hat in Prishtinë/Priština Medizin studiert und in Zagreb ein Fachstudium in Pädiatrie absolviert. Sie arbeitete zunächst als Journalistin bei der kosova-albanischen Tageszeitung Rilindja und von 1981 bis 1990 als Kinderärztin in Prishtinë. Sie hat drei Gedichtbände veröffentlicht, Verma emrin tim (»Gib mir meinen Namen«) 1973, Bimë e zë (»Pflanze und Stimme«) 1975, Mat e çmat (»Messen und Abmessen«) 1995. In Tiranë (Tirana) wurde 1988 ein Auswahlband Luleborë (»Hortensie«) veröffentlicht. Neben Zeitschriftenveröffentlichungen ist Flora Brovina in drei Anthologien vertreten, Lulet në ballkon. Antologji e poezisë më të re të Kosovës (»Blumen auf dem Balkon. Anthologie der neuesten Lyrik Kosovas«) Prishtinë 1982, Kafshimi i mollës. Antologji e poeteshave shqiptare të Kosovës (»Der Biß des Apfels. Anthologie albanischer Lyrikerinnen Kosovas«) Prishtinë 1996 und Take të larta. Antologji e shkrimtareve shqiptare [»Hohe Absätze. Anthologie albanischer Schriftstellerinnen«] Prishtinë 2000.
Eine zweisprachige Auswahl ihrer Gedichte (albanisch-englisch) erschien 1999 in Prishtinë unter dem Titel Thirrje e Kosovë – Cry & Kosova. Eine kleine Auswahl in deutscher Übersetzung wurde 1999 in Heft 2/99 der Zeitschrift Albanische Hefte veröffentlicht. Im Verlag des serbischen Radiosenders Samizdat B92 erschien eine Gedichtauswahl in serbischer Übersetzung: Nazovi me mojim imenom [»Nenn mich bei meinem Namen«], Beograd 2000. Eine englische Ausgabe wird im Herbst/Winter 2000 in New York erscheinen, eine französische Übersetzung ist in Arbeit.
1992 hat Flora Brovina die Lidhje e Gruas Shqiptare (»Albanische Frauenliga«) gegründet und hat friedliche Demonstrationen von Frauen organisiert, darunter die am 1. und 2. März 1998 vor dem amerikanischen Büro und dem Roten Kreuz in Prishtinë abgehaltenen friedlichen Demonstrationen von etwa 2000 Frauen. Sie hat in Prishtinë ein Pflege- und Betreuungszentrum für kranke und verwaiste Kinder und Frauen gegründet und betrieben.
Frau Brovina ist am 20. April 1999 festgenommen worden. Sie wurde im Juni, vor dem Einmarsch der KFOR-Truppen, als die serbischen Truppen aus Kosova abrückten und laut dem serbischen Justizminister Dragoljub Jankovi? 1860 albanische Gefangene nach Serbien verlegt wurden, aus dem in Kosova liegenden Gefängnis Lipjan/Lipljan in das Gefängnis Požarevac in Serbien verbracht.
Frau Dr. Brovina wurden «terroristische Akte» nach Art. 136 jugoslaw. StGb vorgeworfen. Ferner wurde sie angeklagt, Gesundheitsministerin der Exilregierung Dr. Bukoshi gewesen zu sein. Ihr wurde zur Last gelegt, die Frauenliga zum Zwecke feindlicher Demonstrationen und in separatistischer Absicht gegründet und die Pullover, die in ihrem Frauen- und Kinderzentrum gestrickt wurden, für die UÇK («Befreiungsarmee Kosovas») angefertigt zu haben, sie habe Uniformen für die UÇK hergestellt. Die Hauptverhandlung vom 11. und 25.11.1999 wurde jeweils wegen des Fehlens (entschuldigt wegen “schlechten Wetters”) des serbischen Belastungszeugen Dobrašin Krži? vertagt, eines Arztes, der bei der Asservierung des in der Wohnung von Frau Dr. Brovina beschlagnahmten medizinischen- und Sanitätsmaterials geholfen hat, jedoch nicht bei der Beschlagnahme zugegen war. Als Beweismaterial für den Tatvorwurf des Terrorismus und der Unterstützung der UÇK diente ein Lichtbild, auf dem Frau Brovina mit einem UÇK-Kämpfer zu sehen ist.
In der Hauptverhandlung vom 9.12.1999 wurde die Anklage wegen Art. 136 in eine Anklage nach Art. 139, der sich auf eine Tatverübung im Kriegszustand bezieht, umgewandelt. Von Waffen, Munition oder Widerstand war im Verfahren nicht die Rede. Frau Brovina ist am 9.12.1999 vom Kreisgericht im serbischen Niš wegen »Zusammenarbeit zwecks feindlicher Tätigkeit in Verbindung mit Terrorismus in der Zeit des Kriegszustands« zu 12 Jahren Haft verurteilt worden.
Am 6. Juni 2000 hat der Oberste Gerichtshof Serbiens in Belgrad das Urteil aufgehoben, da er die erhobenen Beweise wegen formaler Mängel des Urteils als nicht ausreichend für das ergangene Strafurteil wegen der Straftat der Vereinigung zu feindlicher Tätigkeit in Verbindung mit der Straftat des Terrorismus annehmen könne, und hat das Verfahren an das erstinstanzliche Gericht in Niš zurückverwiesen. Die daraufhin am 14. September 2000 abgehaltene Verhandlung vor dem Kreisgericht Niš wurde auf Antrag der Verteidigung vertagt, da Flora Brovina der Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes Serbiens nicht zugestellt wurde, ihr im Gefängnis Papier und Bleistift verweigert wurden, und sie daher ihre Verteidigung nicht vorbereiten konnte. Die Wiederaufnahme der Verhandlung wurde für den 12. Oktober 2000 anberaumt. Der für den 12. Oktober angesetzte Termin fand nicht statt, sondern wurde “wegen Erkrankung der Vorsitzenden Richterin” auf den 16. November 2000 vertagt. Nach dem geplatzten Termin richtete Dr. Brovina am 15. Oktober über ihren Ehemann, der sie im Gefängnis besuchte, einen Appell an die Öffentlichkeit, in dem sie erklärte, sie wolle auch im Fall ihrer Freilassung im Gefängnis bleiben, bis der letzte in Serbien inhaftierte Kosova-Albaner ebenfalls entlassen werde. Am 21. Oktober forderte der jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica den jugoslawischen Justizminister auf, auf dem Dienstweg ein Begnadigungsverfahren für Flora Brovina einzuleiten. Am 26. Oktober erklärte der noch amtierende jugoslawische Justizminister Petar Joji? auf einer Pressekonferenz, er lehne eine Begnadigung ab, da keine triftigen Gründe dafür vorlägen. Am 1. November 2000 wurde Flora Brovina auf Anordnung von Präsident Koštunica freigelassen.
Am 10. Juli 1999 hatte die Washington Post über den Fall Brovina berichtet. Die New York Times hatte am 5. Juli, am 12., 18. und 29. November sowie am 10. Dezember 1999 über diesen Fall berichtet. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte am 25.11. und am 9.12. (in zwei Meldungen) berichtet. Noch am 9.12. hat James Dobbins, US special adviser for Kosovo and Dayton implementation, seitens der USA Protest eingelegt und eine Revision des Urteils verlangt. Am 12.12.1999 meldete die unabhängige serbische Nachrichtenagentur SENSE, daß Lord Russel-Johnston, Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, protestiert hat.
Für Flora Brovina und ihre sofortige Freilassung hat sich das amerikanische PEN Zentrum mit einer von so prominenten Autoren wie Seamus Heaney, Derek Walcott und Charles Simic unterzeichneten Solidaritäts- und Protesterklärung verwandt. Das serbische PEN Zentrum hat gegen das Unrechts-Urteil Protest eingelegt. Das schwedische PEN Zentrum hat Flora Brovina mit dem Tucholsky-Preis geehrt. Das Writers in Prison Committee des internationalen PEN hat Protestaktionen unternommen. In Deutschland sind die Gesellschaft für bedrohte Völker und der Exil PEN Club mit Protesterklärungen aktiv geworden. Der österreichische PEN Club hat Flora Brovina als Ehrenmitglied adoptiert. Am 13. März 2000 hat Erika Pluhar im Wiener Literaturhaus Flora Brovinas Worte vor dem serbischen Gericht in Niš sowie Gedichte von Flora Brovina gelesen. Am 19. März 2000 hat die ARD im »Kulturreport« ein sechsminütiges Feature über Flora Brovina gesendet, das am 8. April in der Kultursendung »Metropolis« bei ARTE nochmals ausgestrahlt wurde.
Am 10. April 2000 hat der amerikanische PEN Flora Brovina mit dem Barbara Goldsmith Freedom-to-Write Award ausgezeichnet.
Am 4. September 2000 hat das Literaturzentrum im Literaturhaus Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Writers in Prison Committee des deutschen PEN und mit Amnesty International einen Solidaritätsabend für Flora Brovina veranstaltet.
Am 19. Oktober 2000 gab die Heinrich-Böll-Stiftung bekannt, sie habe ihren Preis für Zivilcourage Flora Brovina verliehen.
Am 6. November wird das Writers in Prison Committee des deutschen PEN in Bremen eine Veranstaltung für Flora Brovina abhalten, weitere Veranstaltungen folgen in Berlin und Köln.
Im November wird Flora Brovina in einem Nachbarland der BRD ein weiterer – ein internationaler – Preis verliehen.

HANS-JOACHIM LANKSCH



© Hans-Joachim Lanksch
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Hans-Joachim Lanksch
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Flora Brovina
von Hans-Joachim Lanksch
  • eine Auswahl ihrer Gedichte
  • EIN VERLETZTER VOGEL BIN ICH

  • Flora Brovina in der kosova-albanischen Lyrik



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    Seite erstellt am 05.11.2000